Ein Musikfestival in der Corona-Pandemie. Das klingt erstmal so verantwortungsvoll wie Zigaretterauchen auf einem Öltanker. Aber es ist möglich. Und zwar ohne dass sich Tausende Menschen anstecken – wenn man nur etwas Kreativität investiert. Das haben die Macher des 3000Grad-Festivals an einem Wochenende Mitte August gezeigt.
Eigentlich zieht die Mini-Fusion jedes Jahr 5.000 Leute nach Mecklenburg-Vorpommern. Diesen Sommer sollte sie ihr Zehnjähriges feiern. Aber wegen Corona musste der 3000Grad-Verein umdenken. Eine Mischung aus IT-Spezialistinnen und Techno-Hippies stellte in der mecklenburgischen Pampa ein virtuelles Festival auf die Beine. Die Konzerte, Performances, Lesungen und DJ-Sets sollten nicht aus Studios und leeren Hallen gestreamt werden. Sondern von einem Festival mit echten Bühnen, echter Technik, Security, Feuerwerk. Alles von einem geheimen Ort aus, den man jetzt für drei Monate online besichtigen kann.
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Die Fotografin Franziska Lange hat diesen Ort im August besucht. Ihre Bilder zeigen einen Teil eines Festivalsommers, wie es ihn bislang noch nie gab. Ebenfalls mittendrin war Ronny Mollenhauer alias Mollono.Bass, einer der Gründer des 3000Grad-Kollektivs. Molle, wie ihn die meisten nennen, hat uns am Telefon von seinen Erfahrungen mit dem virtuellen Festival erzählt. Und ob es im nächsten Jahr noch ein 3000Grad geben wird.
VICE: Hi Molle, wie habt ihr sichergestellt, dass euer Festival nicht von ungebetenen Gästen überrannt wird?
Molle: Wir haben den Ort geheim gehalten. Eigentlich veranstalten wir das Festival in Feldberg, aber dieses Gelände kennt jeder. Der ehemalige Gutshof, auf dem wir hier im mecklenburgischen Wustrow leben und arbeiten, ist weniger bekannt. Also haben wir alles auf dem zwölf Hektar großen Wald- und Wiesengrundstück aufgebaut. Kurz vorher haben wir an der Straßenseite abgedeckte Bauzäunen aufgestellt und ringsherum dafür gesorgt, dass der Zaun dicht ist. Am Wochenende waren dann nicht nur Crew, Künstler und Performer hier, sondern auch Sicherheitskräfte. Das ganze Team bestand pro Tag aus 100 bis 150 Leuten. Eine Infrastruktur wie bei einem echten kleinen Festival. Mit echten Bühnen und echter Technik.
Ihr solltet dieses Jahr eigentlich euer Zehnjähriges feiern, wann war euch klar, dass das nichts wird?
Relativ früh. Schon im März war es utopisch, im August 5.000 Leute aus halb Europa nach Mecklenburg zu bringen. Und das, obwohl Mecklenburg vergleichbar niedrige Infektionszahlen hatte. Aber das wäre unverantwortlich gewesen und es hätte uns auch niemand genehmigt.
Ihr hattet die Besucher dazu aufgerufen, die Tickets nicht zurückzugeben. Hat das funktioniert?
Wir hatten schon um die 4.000 Tickets verkauft, etwa ein Drittel hat uns die Tickets gespendet. Das hat sehr geholfen. Auch wenn das Festival nicht stattfindet, haben wir ja laufende Kosten für Büroräume und Personal an den Hacken. Außerdem haben wir viel Geld in unser Gelände investiert. Wir wollten die Leute aber nicht einfach nur nach Geld fragen, sondern ihnen auch etwas dafür bieten. Das war die Idee des virtuellen Festivals.
Was habt ihr aus der ganzen Situation gelernt?
Unter anderem wie man Festivals für Leute in Szene setzt, die das am Laptop schauen. Bis jetzt ist es nur eine Idee, das im nächsten Jahr auch zu machen. Wir können uns vorstellen, für Leute, die kein Ticket bekommen, ein paar Konzerte auf der Website zu übertragen.
Wie hat es sich angefühlt, mitten in der Pandemie den ganzen Techno-Zirkus zusammenzurufen und ein Festival hinzustellen?
Wir hatten einige Zweifel, ob alles gut wird und wir das Richtige tun. Aber am Ende war es gut, unser Netzwerk zusammenzubringen und etwas gemeinsames auf die Beine zu stellen. Auch wenn wir keine großen finanziellen Möglichkeiten hatten und nicht die üblichen Gagen zahlen konnten, hilft das den Leuten, mit denen wir auch die Jahre davor zusammengearbeitet haben.
Habt ihr hinter den Kameras euer eigenes Festival veranstaltet und gefeiert?
Es gab schon Leute, die dachten, wir machen dort unser eigenes Festival. Die Realität sah aber anders aus. Vor den Bühnen standen große Kamerakräne, alles war großräumig abgesperrt, damit niemand durchs Bild läuft. Gute 40 Meter von den Bühnen weg hatten wir kleine Monitorboxen aufgebaut. Da konnte man die Bühnen sehen und hören, aber richtig gefeiert wurde da nicht. In Mecklenburg herrscht ein Tanzverbot, weshalb wir uns sogar absichern mussten, dass die Performer überhaupt auftreten dürfen.
War die Polizei auch Fan eurer Veranstaltung?
Wir hatten natürlich alles angemeldet und alle Auflagen umgesetzt, aber am Sonntag kam trotzdem eine Polizeistreife. Die wussten gar nicht, was los ist, und dachten, wir veranstalten ein illegales Festival. Als sie dann alle Papiere gesehen haben, waren sie aber auch wieder entspannt.
Das Festival ist jetzt vier Wochen her: Gab es danach Corona-Fälle in eurer Crew?
Nein, alles ist gut gelaufen, da ist nichts passiert.
Du hast selbst auch aufgelegt. War es für dich seltsam, zwar auf einer Bühne zu spielen, aber ohne direktes Publikum?
Es war schwer für mich, weil ich gerne mit dem Publikum arbeite. Ich versuche immer zu schauen, welchen Sound und welche Stimmung die Leute wollen. Das Feedback der Leute zeigt mir, wohin ich mit ihnen gehen kann. Wenn das fehlt, weiß ich nicht, was ich spielen soll. Also musste ich mir davor eine Choreografie überlegen. Sonst lese ich die von den Leuten ab.
Haben auch Acts unter diesen Bedingungen abgesagt?
Es gab zwei Arten von Absagen. Manche DJs sagten, vor Kamera und ohne Leute, das krieg ich nicht hin. Damit kann ich gut leben.
Was ich dagegen kritisieren muss: Ein paar Headliner antworteten, ja, machen wir gerne, aber die Gage muss eine gewisse Höhe haben. Wir haben versucht zu erklären, dass es schwierige Zeiten für alle sind. Aber das hat nicht jeder so gesehen.
Wie überlebst du gerade selbst finanziell als DJ und Produzent?
Es gibt für DJs aktuell keine wirklichen Fördertöpfe. Man kann beim Arbeitsamt einen Zuschuss für die Lebenskosten beantragen, eine Art Hartz IV. Ich für meinen Teil wurschtel mich gerade so durch. Ich habe Streams gemacht, die teilweise mit kleinen Gagen bezahlt wurden, mache mehr bezahlte Remixe für andere Labels. Und wir bereiten eine Tour vor, bei der es Sitzkonzerte geben wird.
Habt ihr jetzt genug Geld, um nächstes Jahr wieder ein Festival zu veranstalten?
Leider ist das nicht so. Wir konnten mit dem Geld die laufenden Kosten herausholen, die das Festival dieses Jahr gehabt hätte. Bis Ende November, Anfang Dezember kommen wir damit hin. Aber dann ist unser Verein bei null und wir müssen uns fragen, wie es weiter geht. Wir haben Fördergelder beantragt. Einen Plan B gibt es nicht. Dafür müssten wir im Dezember eine Genehmigung fürs nächste Jahr bekommen, um mit dem Kartenvorverkauf anfangen zu können. Ich glaube aber nicht, dass uns die irgendjemand gibt. Deshalb müssten wir ohne staatliche Förderung im Dezember Personal, Mietverhältnisse und so weiter kündigen.
Seid ihr also weiterhin auf Spenden angewiesen?
Die Community hat uns in den ersten Tagen sehr geholfen. Durch gespendete Tickets und andere Spenden. Das ist jetzt aber auch aufgebraucht. Wir können nicht erwarten, dass die Leute das ewig weitermachen. Von der Politik erwarten wir dagegen mehr. Die Veranstaltungsbranche ist ein großer Arbeitgeber und Wirtschaftsträger. Da muss die Politik genauso einen Fallschirm spannen wie für die Autoindustrie.