Es braucht eigentlich keinen ausschweifenden Artikel, um dir zu sagen, dass der Festivalzirkus von Männern dominiert wird. Ein Blick auf die jeweiligen Plakate reicht schon als Beweis. Manchmal gibt es aber nichts Schöneres, als ganz klassisch mit ein paar harten Zahlen anzukommen, um dir zu zeigen, wie schlecht die Dinge wirklich stehen. In dieser Tradition hat der Guardian einen Artikel von Jenny Stevens und Ami Sedghi veröffentlicht, in dem sie die Anzahl weiblicher und männlicher Künstler in den Line-Ups verschiedener britischer Festivals analysiert haben. Wir haben das letztes Jahr auch schon für Österreich gemacht. Und die Kollegen von The Gap haben heuer alle männlichen Künstler von den Line Ups getilgt. Es stehen, wenig verwunderlich, aber nicht minder deprimierend, 2.336 Männer auf den Bühnen—im Gegensatz zu 270 Frauen. Was allerdings doch etwas schockierender ist, ist die Tatsache, dass einige Festivalpromoter offensichtlich nicht der Meinung sind, dass das ihr Problem ist.
Von traditionell Rock-lastigen Veranstaltungen wie Reading und Leeds oder dem Download Festival, die jeweils einen Anteil von 94% bzw. 96% männlicher Künstler haben, ist es ja zu erwarten, dass sie unter einer dramatischen Ungleichverteilung der Geschlechter leiden. Aber wie der Guardian berichtet, zieht sich das Problem durch alle Genres. Obwohl es ein sehr Pop-lastiges Festival ist—ein Bereich, in dem Frauen tendenziell dominieren—ist das V Festival zum Beispiel immer noch zu 84% männlich. Das Wireless ist da mit 80% schon ein wenig besser gestellt, aber selbst die kleineren Festivals wie Bestival und Latitude schaffen es nicht, über ein 80/20 Verhältnis hinauszukommen. Am schlimmsten ist es beim Creamfields, dessen zu 97% aus Männern bestehendes Line-Up die Annahme unterstützt, dass elektronische Musik noch den weitesten Weg vor sich hat, wenn es darum geht, den alten Spruch „Abwechslung ist die Würze des Lebens“ Realität werden zu lassen.
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Auf die Frage, was getan werden kann, um dieses Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in den Festival-Line-Ups zu verbessern, sagt Veranstalter Melvin Benn, der sowohl das Reading und das Leeds, als auch das Latitude kuratiert: „Ich habe kein Problem. Wir haben kein Problem. Wir holen die Bands, für die die Leute Tickets kaufen, weil sie sie live sehen wollen—es ist also die Öffentlichkeit, die die Entscheidung darüber trifft, welche Bands auf Festivals spielen.“
„Wir geben den Leuten ihren Geschmack nicht vor“, sagt er und imitiert währenddessen aller Wahrscheinlichkeit nach das Waschen seiner Hände in Unschuld. „Ein Festival aufzuziehen ist ein gigantisches, finanzielles Risiko. Die einzige Art, mit der man seine Kosten wieder reinbekommt, ist der Ticketverkauf. Was meinst du, warum wir jedes Jahr immer wieder die gleichen, männlichen Künstler buchen? Weil sie Tickets verkaufen. Glaub mir, würde es im Rock einen weiblichen Headliner geben, der die gleiche Zahl an Tickets verkauft, wie einer der Headliner dieses Jahr, dann würde ich ihn sofort buchen. Warum gibt es keine Metalband wie Metallica in weiblich? Darauf weiß ich leider auch keine Antwort.“
Andy Copping, Booker des Download Festivals, ist ebenfalls der Meinung, dass das Problem eher mit einem Mangel an Frauen in Bands zu tun hat. „Also an Frauen, die unser Festival besuchen, fehlt es definitiv nicht. Sie scheinen sich aber lieber Bands angucken zu wollen, als selbst in einer zu spielen. Sie haben sich einfach noch nicht inspiriert genug gefühlt, um selbst eine Gitarre in die Hand zu nehmen oder Sängerin einer Rockband zu werden.“
Na gut, dann gehen wir doch mal ans Eingemachte. Ist es wirklich so verwunderlich, dass sich Frauen statistisch gesehen wohler dabei fühlen, Bands anzuschauen, als tatsächlich in einer zu spielen? In der Rockmusik herrscht immer noch diese recht unrühmliche Tradition, Frauen an den Rand der Bühne, in die Rolle des „Groupies“ und nicht der Gitarristin zu drängen—selbst wenn sie buchstäblich die Gitarristinnen sind. Natürlich gibt es da draußen unglaublich viele selbstbewusste Frauen, die keine Fußstapfen brauchen, in die sie treten können, aber im Großen und Ganzen kann man schon sagen, dass eine geringe weibliche Präsenz nur eine geringe weibliche Präsenz hervorbringen kann. Wenn du eine Musikzeitschrift liest, auf deren Cover an elf Monaten im Jahr ein Mann abgebildet ist, wirst du wahrscheinlich kaum auf die Idee kommen, dass du eines Tages die Titelseite schmücken könntest. Wenn du drei Tage vor der Mainstage eines Festivals standest und nur eine Frau auf der Bühne gesehen hast, dann wird dich das wahrscheinlich auch weniger motivieren, dich selbst eines Tages dorthin hochzuarbeiten. Es fehlt an Inspiration, an Ermutigung und an einem Zugehörigkeitsgefühl. Man könnte meinen, dass alle Chancen gegen dich stehen. Diejenigen, die es geschafft haben, haben dem Ganzen getrotzt—und auf dem Weg dorthin ihre eigenen Schlachten gegen den Sexismus in der Industrie geschlagen.
Zum Glück schieben nicht alle Veranstalter die Verantwortung einfach so von sich weg. Rob da Bank vom Bestival sagt zum Beispiel: „Ich habe mir dieses Jahr echt Mühe gegeben, mehr Frauen in unserem Line-Up zu haben, weil darüber in den letzten Jahren so viel geredet wurde. Viele dieser Frauen fordern vor allem über Social-Media-Kanäle starke, weibliche Performerinnen ein. Natürlich sind wir von einer gleichen Verteilung noch weit entfernt. Und wir haben das Problem, dass die meisten Acts immer noch männlich sind. Aber obwohl das jetzt nicht die Schuld eines Festivalveranstalters ist, ist es etwas, das wir damit ansprechen können, indem wir viele große, zugkräftige weibliche Namen an die Spitze unseres Line-Ups bringen.“
Das ist zugegebenermaßen eine der fortschrittlicheren Haltungen, die ich gehört habe, aber leider schlägt sich der gute Wille nicht wirklich in den 90% männlichen Künstlern im Line-Up des Bestivals nieder. Auch wenn er nicht ganz falsch liegt, wenn er sagt, dass der Mangel an Frauen in der Musikindustrie nicht unbedingt die „Schuld“ des Festivalveranstalters ist, so entbehrt ihn das trotzdem nicht von jeglicher Verantwortung. Das, womit wir es hier momentan zu tun haben, ist tiefsitzender Sexismus, der auf die Probleme einer Industrie trifft, die auf Erwartungen basiert—einer Industrie in ständiger finanzieller Gefahr, die lediglich Künstler unterstützt, die sich schon als erfolgreich bewiesen haben. Die geringe Präsenz von weiblichen Künstlern in Festival Line-Ups ist kein isoliertes Problem, es ist allgegenwärtig.
„Ich fände es super, ein Line-Up voller Frauen zu haben, aber es ist einfach nicht so leicht“, sagt Emily Eavis, die Bookerin des Glastonbury (mit einem Anteil von 86% Männern dieses Jahr). „Es ist komplizierter, als einen männlichen Künstler zu wählen und diesen einfach zu buchen. […] Die Frage, warum es so wenige Frauen gibt, reicht weit über uns hinaus. Wir buchen Bands—vor allem für die großen Bühnen—darauf basierend, wer in diese großen Slots passt. Und es ist auch wichtig, dass wir ebenso Frauen an der Spitze haben wie Männer, aber diese weiblichen Künstler müssen eben auch durchgesetzt werden—von Plattenfirmen, Radios und den Medien.“
Den ganzen Tag Männer auf derselben Bühne zu sehen, mag vielleicht „langweilig“ sein, wie John Giddins vom Isle of Wight Festival anmerkt, aber es ist nicht nur langweilig, es ist auch kurzsichtig. Unsere Festival-Line-Ups distanzieren sich immer mehr von unserer Popkultur, in der Frauen mit zu den innovativsten Stimmen des Punk, HipHop, Dance und der Kunst allgemein gehören. Ob es der unbändige Drang nach Kreativität von Perfect Pussys Meredith Graves ist, Dej Loaf, die als Queen of Detroit gehuldigt wird, oder das T-Shirt mit einer menstruierenden Vagina darauf von Petra Collins, Frauen erreichen unglaublich viel in der Musik und in der Kunst. Warum wird das also nicht zelebriert? „Es ist alarmierend“, schreibt Jenny Stevens vom G, „dass ein junger Musikfan 2015 das ganze Wochenende damit verbringen kann, sich Acts bei einem britischen Musikfestival anzusehen, und dabei keiner einzigen weiblichen Performerin zuhört.“
Es erscheint beinahe unrealistisch, dass Florence Welch die erste britische Frau sein wird, die seit dem Auftritt von Skunk Anansie 1999 die Pyramid Stage beim Glastonbury headlinen wird. Und ursprünglich war das nicht einmal geplant, aber hey, so ist es nun mal. Diese Line-Ups sind vielleicht das unmittelbare Resultat einer männlich dominierten Industrie, wie Emily Eavis anmerkt: „Jedes Jahr treffe ich dort die großen Booking-Agenten und Repräsentanten von Bands und oft bin ich die einzige Frau im Raum“.
Es ist allerdings nicht die Antwort, sich an ein Problem anzupassen. In den letzten paar Jahren haben Versionen der Plakate dieser Festivals, auf denen die ausschließlich männlichen Acts wegretuschiert wurden, die sozialen Medien überschwemmt und zu Schlagzeilen über das Fehlen von Frauen bei Festivals und zu Diskussions-Panels gleichermaßen geführt. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem Sexismus nicht nur wirklich offensichtlich, sondern auch nicht länger toleriert ist. Die Leute wollen eindeutig mehr Frauen auf der Bühne sehen.
Die Tatsache, dass wir diesen Punkt überhaupt erreicht haben, ist ein Zeichen von Fortschritt, aber die einzige Sache, die uns dieses Hindernis überwinden lässt, ist, wenn Leute in Machtpositionen so etwas wie Verantwortung akzeptieren, anstatt sie auf „die Industrie“ abzuwälzen. Unsere Musikfestivals werden immer rasanter zu den wichtigsten kulturellen Events des Landes. In einem Klima, in dem die wichtigsten und historische Veranstaltungsorte auf wöchentlicher Basis gefüllt werden können, Tickets für das diesjährige Glastonbury immer noch in Rekordzeit (25 Minuten) ausverkauft waren, erreicht die Anziehung des „Festival-Erlebnisses“ mittlerweile weit mehr als nur die Musikfanatiker.
Wir brauchen Festivals, die gewillt sind, diesen Kreislauf zu durchbrechen und sich nicht die ganze Zeit auf ein sich selbst erhaltendes Problem beziehen, sich selbst als stilprägend rühmen, wenn es ihnen passt, und ihre Verantwortung zurückweisen, wenn es ihnen nicht passt. Indem sie den Sexismus der Musikindustrie erkennen und auch noch dazu beitragen, bleiben Festivals ein wichtiger Teil des größeren Problems und nicht, wie sie dich glauben lassen wollen, ein Ergebnis davon.
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