Titelbild: jessica @ flickr | photopin | cc
Ihr kennt das bestimmt: Jedes Jahr muss man sich mit Klappstuhl bewaffnet an den Viennale-Kassen anstellen, um Karten für die Filme zu bekommen, die man sich vorher so besonders sorgfältig in einer dreiminütigen Speed-Recherche ausgesucht hat. Diese Idee haben leider auch viele andere eventhungrige Kinobegeisterte und so sind zwischen österreichischer „Ich war eh dabei”-Mentalität und der Hipster-Attitüde, etwas sehen zu wollen, bevor es cool war, Karten für Filme, deren Regisseure oder Schauspieler man zumindest schon mal gehört hat (Woody Allen? Gekauft!), schneller ausverkauft, als ihr „Rosebud” sagen könnt.
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Die Ironie an der Sache ist, dass diese Art von Filmen meistens ein paar Wochen später in den heimischen Kinos zu sehen sind, während man für die eher unbekannten Perlen schon ins Hochland Perus oder in das Wanderkino eines norwegischen Fischverkäufers reisen muss. Damit ihr euch die mühseelige Cineasten-Odyssee erspart, haben wir für euch die besten Perlen gesammelt und verlosen außerdem jeweils 2 Tickets pro Vorstellung. Wie ihr teilnehmen könnt? Einfach eine Mail mit dem Betreff „Viennale 2014″ an win@vice.at, den Wunschfilm und das Datum angeben und mit ein bisschen Glück seid ihr dabei.
Court
24.10. 10:30 Uhr Gartenbaukino
Wenn ihr ein Courtroom-Drama wollt, das Alley McBeal ungebummst in der Ecke stehen lässt und mehr Statisten als alle Law & Order-Folgen zusammen aufweisen kann, dann empfehle ich euch Court. Tatsächlich ist der Film der dritte einer stilistischen Triologie vom indischen Regisseur und Schreiber Chaitanya Tanhane. Mulitlingual und humanistisch ergreifend werden juristische Wahnsinnigkeiten im Strafgerichtshof von Den Haag thematisiert. Die Menschheit hat noch nie so berechnend gewirkt wie nach diesem Film.
P’tit Quinquin (Episode 1 + 2)
25.10 23:00 Uhr Gartenbaukino, 06.11. 13:00 Uhr Gartenbaukino
Wer wissen möchte, wie es aussieht, wenn ein kleiner Rotzbub einem französischen Provinz-Ermittler während der Aufklärung von Mordfällen, die fast so absurd-skurril wie P’tit Quinquin selbst sind, in die Suppe spuckt, der sollte sich diese wahnwitzige Mini-Series zwischen Humor und Wahnsinn nicht entgehen lassen.
Matar a un Hombre
25.10 23:30 Uhr Stadtkino im Künstlerhaus
Selbstjustiz ist eins dieser Themen, die filmisch schon so viele Blüten getrieben haben, dass man sich eigentlich eher Unkraut-Mittel dagegen wünscht. Von zelluloidenen Auszuck-Streifen wie Falling Down übers idiosynkratischen Kill Bill-Kompendium bis hin zum leicht idiotischen, anarcho-kindgerechten God Bless America hat das Genre schon alles gesehen, was an Revenge-Rampage möglich ist. Matar a un Hombre, der auf Englisch unter To Kill a Man anläuft, hat von allem ein bisschen was und macht trotzdem mehr als nur dieses Bisschen richtig. Der Deckel des Hochdruckwasserdampfkochtopfs wird diesmal in Chile gehoben, wo ein Arbeiter genug von seiner Opferrolle hat und gegen Verbrecher ins Feld zieht. Südamerikamok, quasi. Ein durchaus anschaubares Druckventil.
A Girl Walks Home Alone at Night
26.10 23:00 Uhr Gartenbaukino
Eine universelle Grundregel des Kinos, die seit Anbeginn der Zelluloid-Zeiten gilt, lautet: Wenn der Ort der Handlung nach seiner Haupteigenschaft benannt ist, kann der Film nur sensationell sein. A Girl Walks Home Alone at Night spielt in der iranischen Geisterstadt „Bad City” (versteht ihr?), wo sich gegen die düsteren Hijab-Konturen die erste Vampir-Geschichte des Landes abzeichnet. Weil wir aber nicht 2007 haben und das Genre nicht mehr mit unbedarfter Aggressions-Romantik bespaßt werden kann, geht es natürlich in erster Linie um viel Einsamkeit und am Rande auch ein bisschen um Western—obwohl es mit dem Iran als Schauplatz gar nicht weniger westlich sein könnte. Ein Muss des laufenden Filmjahres!
Deo Te-Reo La-I-Beu (The Terror Live)
29.10 23:00 Uhr Gartenbaukino
Was passiert, wenn ein Radiosprecher mit einem Hang zum Sensationsjournalismus in seiner kleinen Radiokabine nicht mehr zwischen der Wirklichkeit und medialer Übersteigerung unterscheiden kann? Der Terror im Titel dieses südkoreanischen Filmes bezieht sich auf das Grauen des Live-Charakters der Berichterstattung, während der Protagonist versucht, die katastrophalen Ereignisse, die rund um ihn passieren, medial zu verarbeiten. Ein beeindruckender Misch aus Kammerspiel, Actionfilm und (Psycho-)Thriller.
Happy Christmas
30.10. 13:00 Uhr Gartenbaukino
Hey, das ist der Film von Joe Swanberg, bei dem Lena Dunham mitspielt. Die Gefahr, dass ein ebenso langweiliger wie prätentiöser Bullshit wird, ist sehr groß, aber wir können gleich Entwarnung geben: der Film ist nicht in Schwarz/Weiß und außerdem geht es um eine betrunkene Schwester, die immer Scheisse baut. Weil das sehr nach der lustigeren Version von Only Lovers Left Alive klingt, solltet ihr ihn euch anschauen. Außerdem spielt Lena Dunham mit.
A History of Violence
31.10. 13:00 Uhr Gartenbaukino
2005 hat Cronenberg plötzlich ganz andere Filme gemacht. Die Parksheriffs werden jetzt behaupten, das „Körperkino” hat sich nur anders manifestiert, aber ich halte das für Bullshit, denn A History of Violence ist wie Match Point für Woody Allen. Es ist ein eher klassischer Thriller, aber gleichzeitig zeigt er uns wie kein anderer Film die unheilvolle Symbiose von Sex und Gewalt.
Jigoku de naze warui (Why Don’t You Play in Hell?)
02.11. 23:00 Uhr Gartenbaukino
Der Filmemacher und Poet Shion Sono bringt uns in seinem nächsten Film einen typisch japanischen (aber doch einzigartigen) Genre-Clash bei dem eine eigenwillige Teenager-Filmcrew mitten in den Bandenkrieg von Yakuza-Clans stolpert. Daraus entsteht eine wundervolle Melange, die das geordnete Chaos des Lebens und die Alltags-Weirdos, die unseren Planeten bevölkern, wunderbar in diesem Liebesbrief ans Filmemachen einfängt. Absoluter Geheimtipp!
The Duke of Burgundy
03.11. 15:30 Uhr Gartenbaukino
Ich steh auf Soft-Sex-Filme und The Duke of Burgundy klingt nach einem erstklassigen Exemplar dieser Gattung, der vielleicht sogar an Emanuelle herankommt. Nachdem hier von „einer sadomasochistischen Herrschaftsbeziehung” die Rede ist, es sich um eine lesbische Affäre handelt und ich Hans Hurch unterstelle, dass er ein genauso großer Schmuddelfreund ist wie wir, kann eigentlich nichts schief gehen.
Sky presents: Olive Kitteridge (Eintritt frei)
04. 11. 15:30 Uhr Gartenbaukino
Die schönsten Dinge im Leben halten am kürzesten. Der Satz fällt zwar nicht direkt in Olive Kitteridge, aber das liegt nur daran, dass sowohl die gleichnamige Protagonisten, als auch das gesamte restliche Dorf extrem wortkarg sind und sich lieber mit Kommunikationsvermeidung beschäftigen, durch den sich nach und nach ein Sturm über der Pampa zusammenbraut, der bereits in den ersten Sekunden dieser HBO Mini-Serie aufgelöst wird. Aber das eigentliche Drama passiert, wie so oft, in der Rückblende auf das Zustandekommen der Ereignisse, die uns schon eingangs gespoilert wurden. Was treibt die Verzweiflung an? Eine Antwort könnte (traurigerweise) lauten: Kleine Kätzchen. Aber auch Bill Murray, das Fehlen echter Gespräche am Familientisch und generelle emotionale Unterkühlung liefern essentielle Bestandteile zur Auflösung des Rätsels. Das Ganze basiert auf einer Romanvorlage aus 2009 und wird euch von Sky gratis auf der Viennale präsentiert—ihr müsst uns also keine Mail schreiben, sondern könnt einfach ins Gartenbaukino marschieren und die schönen vier Depri-Stunden einfach über euch hereinfallen lassen.
El Triste Olor de la Carne
05.11. 23:30 Uhr Stadtkino im Künstlerhaus
Anscheinend riecht unser Fleisch etwas traurig. Minimalismus ist König in diesem Außenseiterdrama in Echtzeit. Sozialer Realismus und Finanzkrisen verwandeln Südeuropa oder genauer gesagt eine namenlose spanische Stadt in eine fremdartige Wunderwelt der Arbeitslosigkeit. Armut und Protest gegen den ständig vorherrschenden Ökonomiegedanken brechen euch in den letzten Minuten des Films das Genick und ein ganzes Land verottet vor euren Nasen. Wie Saw mit Finanzpolitik und guten Schauspielern.
Time Lapse
05.11. 23:30 Uhr Gartenbaukino
2014 war das Jahr der Wiederentdeckung von Parallelwelten—aber nicht der „Alles ist wahr, es gibt unendlich viele Realitäten”-Art, sondern eher von der dunklen, existenziellen „Wir treffen unsere leicht zeitversetzten Ichs und bekriegen uns alle selbst”-Psychokiste. Das ist zumindest das Motto von Coherence und noch mindestens einem anderen Film, der allerdings so viel schlechter als Coherence ist, dass wir ihn nicht mal namentlich nennen wollen, weil ihr ihn sonst versehentlich noch auf iTunes ausborgt. Time Lapse ist nicht ganz so, aber genau wie der vom Zahn der Zeit schon leicht angedaute Independent-Film Time Crimes geht es darin um Zeitreisen auf Minimal-Niveau, nämlich 24 Stunden in die Zukunft. Und—wie eine weise Clickbait-Website sagt—was danach geschieht, werdet ihr nicht glauben, wenn ihr es nicht selbst seht.
Turist
06.11. 23:00 Uhr Gartenbaukino
Wenn man sich dafür interessiert, was ein in die Jahre gekommener, Gender-bewusster Altbaubewohner mit Umhängetasche macht, wenn eine Katastrophe auf ihn und seine Familie zurollt, dann ist Turist genau der richtige Film. Ok, der Umhängetaschenträger hat keinen Dreitagebart mehr, ist inzwischen ein wenig alt und befindet sich auf Urlaub mit seiner Familie, aber die Thematik ist die gleiche. Gibt es (Geschlechter-)Rollen, nach denen wir uns verhalten müssen? Wie gehen wir um mit Jemandem, der dem männlichen oder weiblichen Ideal nicht nachkommt? Befinden wir uns alle inzwischen auf einer Titanic voller Softies und haben bis jetzt nur den Eisberg verpasst? Ruben Östlund zwingt wie wenige andere die Opfer/Täter-Thematik in einen beengten Raum u hält die Kamera drauf: Ingmar Bergmann goes Wien Neubau—in 20 Jahren!