“Untitled Whirlpool” (2015) | Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Juno Calypso
Juno Calypso liebt Essen, aber sie liebt es am meisten, wenn es nicht gegessen wird. Essen ist für die in London lebende Fotografin eine mächtige Metapher, die es ihr erlaubt, das gestörte Verhältnis unserer Welt zu Frauen zu dekonstruieren. Mit ihren 26 Jahren ist Calypso schon mit Künstlerinnen wie Cindy Sherman und Gillian Wearing verglichen worden und hat beim Catlin Art Prize 2013 den Visitor Vote gewonnen. Ihre Arbeit ist bereits in London, New York und Miami ausgestellt worden. Diese Woche kehrt sie nach London zurück, um in der 71a Gallery ihre neue Einzelausstellung zu eröffnen.
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Calypso macht Selbstporträts als eine Figur namens Joyce. Wenn Joyce etwas zu essen wäre, dann wäre sie eine karamellisierte Mandel: Außen perfekt und süß, doch nach dem ersten zuckrigen Bissen kommt im inneren etwas Zäheres, Bitteres zum Vorschein. Zu viele Mandeln können giftig sein. Calypsos Arbeit spiegelt das perfekt wieder. Unter dem zuckersüßen Äußeren lauert etwas Düsteres—etwas voller Verzweiflung.
Für ihre neueste Fotoreihe ist Calypso für eine Woche in ein Flitterwochenhotel im US-Bundesstaat Pennsylvania gezogen, wo sie Fotos geschossen, beim Zimmerservice Essen bestellt und in dem Versuch, sich die grüne Farbe vom Körper zu waschen, das Badezimmer verwüstet hat. Als Joyce erforscht Calypso die physischen Strukturen der Femininität. Sie zeigt, wie Schönheit ein Konstrukt aus Waxing und Ganzkörper-Algenmasken und Sich-niemals-satt-essen ist. Als Teil ihrer Ausstellung wird sie zusätzlich zu ihren Selbstporträts kitschige gefundene Fotos zeigen.
„Einer meiner Lieblingstitel für meine Arbeit ist ‚12 Reasons That You’re Tired All The Time.’ Das habe ich aus einer Frauenzeitschrift, die im Haus meiner Oma herumlag, Marie Claire oder so. Es stach hervor, weil ich genau auf diese Art damals Joyce darstellte: müde. Ich las den Artikel, und die ganzen Gründe schienen so trivial, so offensichtlich. Dinge wie: ‚Trink mehr Wasser!’ und ‚Schlafe mehr!’. Es wirkte, als würde da nur an der Oberfläche gekratzt, und ich dachte mir: „Warum sind Frauen wirklich ständig müde, und warum sind es immer nur Frauen?”
Als Joyce erforscht Calypso die verschiedenen Arten des sozialen Drucks, der von außen—und von innen—auf Frauen ausgeübt wird. „Ich dachte, vielleicht gibt es tiefgreifendere Dinge, die uns erschöpfen. Wir behandeln nur die Symptome unserer Müdigkeit, aber nicht die Ursache.” Ich erwähnte, dass ihre Arbeit mich an ein berühmtes Zitat von Naomi Wolf erinnere: „Eine Kultur, die auf die weibliche Schlankheit fixiert ist, ist keine Kultur, die von weiblicher Schönheit besessen ist, sondern von weiblichem Gehorsam.” Ist es das, worauf sie mit Bildern wie „12 Reasons That You’re Tired All The Time” anspielt?
„Es ist witzig, dass du Naomi Wolf erwähnst—ich entdeckte ihre Arbeit, als ich gerade mit diesem Projekt anfing. Der Mythos Schönheit wurde zu meiner Bibel. Eine Sache, die mich wirklich inspiriert hat, war die Ironie, dass Frauen beigebracht wird, dass wir uns nicht von innen nähren sollen, indem wir essen, aber es werden Beauty-Produkte an uns vermarktet, die an Essen erinnern sollen—Körperbutter, Mangomousse, Kaviar für die Haut … üppiges, luxuriöses Essen für unsere Körper, aber nicht für unsere Münder.”
Das komplexe Verhältnis, das Frauen zu ihren Körpern haben, bildet den Kern von Calypsos Arbeit. In einem früheren Projekt, Popcorn Venus, steigt Joyce aus einem pinkfarbenen Kuchen von grotesker Größe, der auf einem Tisch steht, der sich unter Fingerfood wie Käsestangen, Ananasspießchen und Marmeladentörtchen biegt.
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„Essen scheint einfach immer wieder unterbewusst in meiner Arbeit aufzutauchen. Ich habe die Texturen geliebt—klebrig, süß, phallische Würstchen und welke Sandwiches. Dann fing ich an, den Vergleich zwischen Frauen und Essen zu ziehen. Die Art und Weise, wie wir Frauen fotografieren, und die Art, wie wir Essen fotografieren. Oder die Art, wie sowohl Frauen als auch Essen mit Konservierungsstoffen vollgestopft und aufgespritzt werden, um ihren natürlichen Verfall zu verhindern.”
Joyce ist in ihren Fotos immer alleine und sieht selten in die Kamera. Ich frage Calypso nach Joyce—wer ist sie? Was ist ihre Geschichte?
„Joyce ist eine fiktive Figur, die keine Geschichte hat. Ich will ihr keinen Hintergrund geben—ich bin nicht wirklich dagegen, aber ich hatte noch nie den Drang dazu. Ich überlasse das lieber der Fantasie der Betrachter. Sie heißt zwar Joyce, doch sie ist offensichtlich nicht voller Freude. Ich bin aber auch nicht sicher, ob sie unglücklich ist. Ich glaube, sie ist in Wirklichkeit mehr enttäuscht von allem.”
Um die Reihe zu fotografieren, verbrachte Calypso eine Woche alleine in dem Flitterwochenhotel. „Ich liebe es, allein zu sein, vor allem wenn ich arbeite. Dieses Zimmer die ganze Woche für mich zu haben, war wie ein wahr gewordener Traum. Es war nur ein wenig unangenehm, das Zimmer zu verlassen, um mit den Hotelangestellten zu reden, oder den vieräugigen Blicken der Paare aus dem Weg zu gehen, wenn sie im Hotelflur an mir vorbeiliefen. Ich bin fasziniert von den Dingen, die Menschen denken und tun, wenn sie wirklich alleine sind.”
Es war irgendwie unvermeidbar, dass Calypso während ihres einwöchigen Aufenthalts in einem Flitterwochenhotel über ihr eigenes Liebesleben nachdachte. „Liebe, Monogamie, Bindung, Hingabe gingen mir ständig durch den Kopf. Ich bin sehr zynisch, was die ewige Liebe angeht, aber gleichzeitig bin ich davon fasziniert—und die Dinge, die uns zynisch machen, sind meist auch unsere geheimen Wünsche. Ich bin seit drei Jahren Single und ich habe schon vergessen, wie Beziehungen funktionieren. Wie fangen sie an? Was tun die Menschen? Was ist der Sinn und Zweck des Ganzen?
Es heißt, dass jegliche gute Kunst ein wenig kontrovers sein muss. Calypso bekam neulich ihr erstes bisschen Kontroverse, als sie negative Kommentare unter einem Profil über sie im Guardian las. In diesen Kommentaren warf man ihr vor, sie habe eine „Porno-Ästhetik”.
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„Frauen zu sagen, sie seien keine richtigen Feministinnen oder Künstlerinnen, weil sie angeblich Pornos kopieren würden, ist nur ein neuer Versuch, die Sexualität von Frauen zu kontrollieren. Jeff Koons hat sich selbst fotografiert, wie er mit seiner Frau, die Pornodarstellerin war, Sex hatte. Ich mache Fotos von mir selbst. Alleine. Niemand wird penetriert. Ist das Porno? Würde es einen Unterschied machen, wenn mir die Ästhetik von Pornos gefallen würde?”
„Ich bin einfach nur eine junge Frau, die sich selbst erforscht, die nach innen blickt und gleichzeitig versucht, ihre gesellschaftliche Stellung und die Erwartungen der Gesellschaft an Frauen zu verstehen. Ich lerne noch.”