So leben Drogenabhängige und Sexarbeiterinnen in Lissabons In-Viertel

Portugalska seksualna radnica puši krek.

“Scheiße, ist die jetzt dünn!”, sagt der Fremde neben mir. “Als sie hier ankam, sah die noch super aus.” Ich frage ihn, wann das war. “Das ist nicht mal drei Monate her.” Wir schauen der Frau noch etwas hinterher, wie sie eine der belebten Straßen Intendentes entlangläuft. Eine drogensüchtige Sexarbeiterin. Ich kenne die Frau bereits, sie ist ein wichtiger Teil meines Fotoprojekts.

Intendente ist eines der ältesten Stadtviertel von Lissabon. In den vergangenen Jahren wurde die Gegend gentrifiziert, heute prägen Touristen das Straßenbild. Doch hinter den neuen Bars und hochgezogenen Investment-Banken, die langjährige Anwohner an den Stadtrand verdrängten, existiert eine ganz andere Realität. Eine Realität, die die portugiesische Regierung anscheinend lieber unter den Teppich kehrt.

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In den 60er Jahren wurde Intendente für seinen extrem liberalen Charakter bekannt. Zuerst kamen die Bars, dann die Sexarbeiter und -arbeiterinnen und schließlich folgte hartes Durchgreifen. Am 8. August 1977 berichtete die Zeitung A Capital, dass allein in der ersten Hälfte des Jahres 1.313 Sexarbeiter und -arbeiterinnen zwischen 16 und 24 Jahren verhaftet worden waren.

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Dieses Durchgreifen nahm in den darauffolgenden Jahrzehnten wieder ab und die Anzahl der Sexarbeiter und -arbeiterinnen in Intendente wieder zu. Anfang der 2000er führte die Polizei in Casal Ventoso und Curraleira, den beiden berüchtigsten und heruntergekommensten Gegenden von Lissabon, neue Maßnahmen gegen Drogen ein. Das löste das Suchtproblem der Stadt allerdings nicht, es wanderte nur in andere Stadtteile weiter. Plötzlich florierte die Drogenszene in Intendente.


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Ende 2012 beschlossen die örtlichen Behörden, in Intendente zu investieren. Das bedeutete: mehr Polizei auf den Straßen, weil Lissabon ja wieder attraktiver für Touristen werden sollte. Die Mieten stiegen, die langjährige Anwohnerschaft wurde aus den Wohnungen vertrieben und war plötzlich auf sich allein gestellt. Intendente wurde Stück für Stück von Luxushotelketten und Investmentbanken aufgekauft. Der neue Alltag in dem Viertel hat den alten aber nicht komplett ersetzt, sondern nur außer Sichtweite geschoben.

Über ein Jahr hinweg habe ich viel Zeit mit einigen der Drogensüchtigen und Sexarbeiterinnen verbracht, die in dieser Parallelwelt ums Überleben kämpfen. Dabei wollte ich sie nicht nur besser kennenlernen, sondern auch verstehen, wie und warum die Regierung so tut, als würde diese düstere Seite von Intendente nicht existieren.

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Soraia

Spät abends bin ich ich in einem Treppenhaus mit Soraia, der drogenabhängigen Sexarbeiterin, verabredet. Sie hat mir erlaubt, mit ihr abzuhängen und sie und ihre Freunde zu fotografieren, während sie Crack rauchen.

Ein paar Tage später ist sie nicht mehr so freundlich zu mir, als sie mit einem Freund über den Largo do Intendente läuft, einen beliebten Platz mitten im Viertel.

“Kann ich mitkommen?”, frage ich.
“Wohin?”, fragt sie zurück.
“Wo auch immer ihr hingeht.”
“Wir sind auf dem Weg in ein Zimmer.”
“Kein Ding, ich würde gerne mit.”
“Keine Chance, tut mir leid.”

Die beiden laufen weiter, überqueren die Straße und begrüßen einen wartenden Mann. Das Trio steigt in ein Taxi und fährt fort.

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Soraia

Am Ende eines besonders frustrierenden Tages, an dem ich nicht ein einziges Foto schießen konnte, kreuzen sich unsere Wege wieder. Es ist zwei Uhr nachts, als ich gerade nach Hause gehe und Soraia direkt auf mich zu läuft. Sie ist genervt, weil sie den ganzen Abend lang nicht einen Kunden hatte.

Jetzt will sie mit mir reden. Deshalb schlage ich vor, eines der nahegelegenen Motels aufzusuchen, in denen sie und ihre Kunden dem Geschäft nachgehen dürfen. Ich will die Sexarbeiterin in ihrem tatsächlichen Arbeitsumfeld ablichten. Soraia klingelt, die Tür geht auf. Wir steigen eine Treppe hoch und laufen über einen schummrigen Flur einem Empfangstresen entgegen. Ich reiche der Empfangsdame fünf Euro für das Zimmer und bekomme dafür einen Schlüssel hingeschoben. “Ihr habt eine Stunde”, sagt sie.

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Soraia geht vor. “Macht es dir was aus, wenn ich rauche?”, fragt sie, als wir unser Zimmer erreicht haben. Sie zieht sich aus, dann zündet sie ihre Pfeife an. Crack helfe ihr dabei, nichts zu fühlen, während sie Kunden hat. Es komme aber auch immer auf die Qualität des darin enthaltenen Kokains an: “Wenn das Ganze zu sehr gestreckt ist, ist mein High oft schon vorbei, bevor der Kunde fertig ist”, sagt Soraia.

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Soraia ist in Portugal geboren, wurde aber von ihrer Großmutter in Spanien aufgezogen. Durch schlechte Freunde und eine rebellische Phase landete sie in einem Ring von Drogen- und Waffenschmugglern. Eine Zeit lang arbeitete sie in Deutschland und arrangierte dort Scheinehen für osteuropäische Immigranten und Immigrantinnen. Jetzt ist sie zurück in Portugal, hier hat sie einen Sohn. Verwandte ziehen das Kind am Stadtrand von Lissabon groß.

“Jahrelang habe ich Drogen nach Spanien geschmuggelt. Selbst konsumiert habe ich währenddessen nie. Ich habe Frauen in meinem jetzigen Zustand gesehen und so mitbekommen, wie schnell es mit Drogen bergab geht. Ich hätte niemals gedacht, selbst in dieser Lage zu sein”, sagt Soraia.

In das Notizbuch, auf dem Soraia gerade ihre Pfeife vorbereitet hat, schreibt sie Gedichte und Texte auf Spanisch. Sie liest mir ihre Lieblingsgedicht laut vor: “Viene y va”, auf Deutsch so viel wie “Kommen und Gehen”.

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Soraias Notizbuch

Unsere Stunde ist noch nicht um, als die Empfangsdame an die Tür klopft und zu uns hereinruft, dass wir gehen müssten, weil unsere Zeit vorbei sei. Nervös fängt Soraia an, ihre Pfeife und ihr Taschenmesser wegzupacken. “Mach die Tür noch nicht auf”, sagt sie. “Die dürfen nicht wissen, dass wir hier geraucht haben.” Ich halte die Angestellte etwas hin, wenig später ist Soraia wieder angezogen und bereit. Als ich die Tür öffne, wartet die Empfangsdame bereits mit einem anderen Pärchen. “Lass dich hier nie wieder blicken”, schreit sie Soraia hinterher.

Ein paar Tage später nimmt mich Soraia mit zu sich nach Hause, in ein verlassenes Haus in einer der steilsten Straßen der Gegend. Hier wohnt sie zusammen mit zehn anderen Menschen. Um reinzukommen, muss man sich durch die Gitterstäbe eines Tors quetschen und dann eine Holzplatte beiseite schieben, die als provisorische Tür dient. Im Haus stehen überall Eimer herum und sogar ein Zementmischer – die Überreste einer Baustelle, auf der irgendwann nicht mehr weitergearbeitet wurde.

Soraia sagt, es gehe ihr nicht so gut. Einer ihrer Mitbewohner habe sich in sie verliebt und gefragt, ob sie seine Freundin sein wollen würde. Als Soraia diese Frage verneinte, habe der Mitbewohner vor Wut all ihre Klamotten zerrissen.

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Soraia in dem Haus, das sie sich mit zehn anderen Menschen teilt

Erineu

Erineu sitzt auf den Stufen einer geschlossenen Bar und konzentriert sich auf eine Crack-Pfeife, die früher mal ein Flaschenhals war. Mit der Feder eines Kugelschreibers säubert er die Pfeife, bevor er sie mit Alufolie abdeckt, ein paar Löcher in die Folie pikst und dann einen Zug nimmt.

Einige Touristen laufen vorbei und schauen nervös. Ihr Ziel ist der Largo do Intendente, aber ihre Navigations-App hat ihnen nicht gesagt, dass der kürzeste Weg nicht der schönste ist.

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Erineu

Später treffe ich erneut auf Erineu. Er ist gerade auf dem Weg ins Mouraria-Viertel, um sich Drogen zu kaufen. Er fragt mich, ob ich ihn begleiten will, aber warnt mich, dass ich dabei keine Fotos machen könne. Die Straßen werden immer enger. Wir laufen über winzige Plätze, auf denen Kinder Fußball spielen und alte Männer Bier trinken und Karten spielen. An den Straßenecken halten junge Männer Ausschau nach der Polizei und sagen Bescheid, wenn es sicher ist, Geschäfte zu machen.

Erineu holt einen Zehn-Euro-Schein aus seiner Tasche und gibt ihn an den Dealer weiter. Der zieht daraufhin einen kleinen, weißen Ball aus seinem Mund und reicht ihn Erineu. Auf unserem Rückweg kommen wir an einem kleinen Lebensmittelgeschäft vorbei, in dem Erineu 20 Cent für ein bereits zurechtgeschnittenes Stück Alufolie bezahlt. Der Einzelhandel hier hat sich an die Bedürfnisse der Anwohner angepasst.

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Erineu (links) mit Soraia und einem weiteren Bekannten

Ich verbringe den Rest des Tages mit Erineu und Soraia. Er zündet immer wieder an, was von dem weißen Bällchen noch übrig ist. Als sich Soraia schließlich auf den Nachhauseweg macht, läuft sie an einem Typen vorbei, der Erineus Namen ruft. Als er meine Kamera erblickt, rennt er direkt auf mich zu.

“Wer bist du?”, schreit er.
“Ich bin Fotograf und arbeite hier an einem Projekt – “, setze ich an und werde unterbrochen.
“Stell dich mit dem Rücken zur Wand! Polizei!”

Der Mann zeigt mir seine Dienstmarke und murmelt in sein Revers, dass er Verstärkung brauche.

“Was hast du in deinen Taschen?”
“Meine Hausschlüssel …”
“Hol alles raus!”

Ich zeige dem Undercover-Polizisten meine Schlüssel, mein Handy und ein paar Münzen. Er fordert mich auf, das Handy an- und auszuschalten, damit er weiß, dass es echt ist. Ich tue, was von mir verlangt wird, und bekomme danach alles wieder. “Hau ab, ich will dich hier nicht mehr sehen”, schnauzt mich der Beamte schließlich an. Ich versuche, ihm zu erklären, dass ich hier Bilder machen darf und gegen kein Gesetz verstoße, aber er hört mir nicht zu. “Hast du mich nicht verstanden? Du sollst dich verpissen! Ist besser für dich. Fotografier irgendwas anderes, ich will dich hier nicht mehr sehen.” Kleinlaut ziehe ich ab. Ich schäme mich ein wenig dafür, Erineu in dieser Situation alleine zu lassen.

Am nächsten Tag gehe ich zurück, um herauszufinden, wie es Erineu geht und was noch passiert ist. “Alles gut”, sagt Erineu. “Wer ist der Typ? Was will er?”, frage ich. Aber Erineu antwortet nicht.

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Anabela

Eigentlich hatte Anabela alles. Sie wuchs umgeben von Luxus und Privilegien in einem armen Land auf, das sich gerade von einer 48 Jahre anhaltenden Diktatur erholte. Wir sitzen in einer Barund trinken Whisky. Anabela erzählt von Ausflügen in Cabrios, Segeltouren auf dem Mittelmeer und hochwertigem Koks bei Edelpartys. Dann kam die Scheidung. Ohne ihren angesehen Nachnamen gehörte sie plötzlich nicht mehr zur High Society und konnte sich den teuren Lifestyle, an den sie sich gewöhnt hatte, nicht mehr leisten. Also prostituierte sie sich.

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Während unseres Gesprächs wird eine Sache klar: Trotz ihrer luxuriösen Vergangenheit weiß Anabela genau, wie sie sich in ihrer neuen Umgebung zu verhalten und zu verteidigen hat. Die 50-Jährige sagt, sie mache Kampfsport, und spannt ihre Muskeln an, um das zu untermauern. Sie habe keine Angst davor, auch mal zuzulangen, wenn es hart auf hart kommt.

Ich erzähle ihr, dass ich dem Undercover-Polizisten erneut begegnet bin. Er beschäftigte sich mit einer Gruppe Drogensüchtiger, als er sich nach vorne beugte, um eine Zigarette aufzuheben. Dann kickte er den Glimmstängel aber auf einmal weg. Einer der Junkies erschrak sich. In diesem Moment blickte der Beamte auf und sah mich. “Hab ich dir nicht gesagt, dass du hier nie wieder fotografieren sollst?”, sagte er. “Ich sehe in deinem Blick, dass du hier nicht hergehörst. Du kommst hier noch um. Ich will dich nie wieder sehen.”

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Anabela

Anabela lächelt. “Der Typ macht hier im Viertel Geschäfte. Er taucht auf und ist kurz darauf wieder verschwunden, wenn es Ärger gibt.” Weil der Typ mal in Kanada lebte, nenne man ihn nur “den Amerikaner”. Er hat Anabela von dem Abend erzählt, an dem er sich mir als Polizist vorstellte: “Er lachte sich schlapp darüber, wie viel Angst du hattest”, sagt sie.

Anabela ist bei ihren Freiern wählerisch und trifft sich normalerweise nur mit Stammkunden. Die haben ihre Nummer und buchen sie manchmal gleich für ein ganzes Wochenende. Einmal dauerte der Sex ganze zehn Stunden, weil der Kunde vorher Viagra eingeschmissen hatte. Das Ganze war erst vorbei, als Anabela sagte, dass sie nicht mehr könne. Und vor Kurzem hatte Anabela einen verheirateten Freier, der mitfilmte, um das Video später seiner Frau zeigen zu können.

Anabela erzählt, dass sie an solchen Wochenenden bis zu 400 Euro verdient. Doch die Stundenpreise der Sexarbeiterinnen in Intendente schwanken stark. Einige junge Mädchen, die neu in der Gegend sind, verlangen 25 Euro, während sich andere schon mit 10 Euro zufrieden geben, weil sie schnell Drogen brauchen. Als ich mich an einem anderen Nachmittag mit Anabela auf der Straße unterhalte, werden wir von einer ihrer Kolleginnen unterbrochen. Sie ist wütend, weil ein potenzieller Kunde ihr nur 7,50 Euro geben wollte. Das reicht gerade mal für eine Schachtel Zigaretten.

Wenige Tage später lerne ich eine weitere Sexarbeiterin kennen. Sie lehnt an einer Hauswand und trinkt Sherry. Sie will mir ihren Namen nicht verraten und sei heute nicht auf Kunden aus, sondern wolle nur etwas trinken und Freundinnen treffen. Nachdem ich ihr versichert habe, dass ich mit ihr nur über den Alltag in Intendente reden will, ist sie aber einverstanden – solange ich für das Zimmer bezahle.

Früher hatte sie zwei Jobs, dann wurde ihr einer gekündigt, und sie stand kurz davor, das Haus zu verlieren, in dem sie mit ihrem Sohn lebte. Alkohol helfe ihr dabei, die meisten Tage zu überstehen. Zum Crack sei sie Im Gegensatz zu vielen Kolleginnen noch nicht übergegangen.

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Die 19-Jährige, die erst vor wenigen Wochen als Sexarbeiterin angefangen hat

Später betrete ich ein Motel, um dort eine 19-Jährige zu fotografieren, die aus “familiären Gründen” von zu Hause ausziehen musste – obwohl sie kein Geld hatte. Jetzt geht sie anschaffen. Als wir durch die Tür des Motels gehen, kommt uns eine ältere Sexarbeiterin entgegen. “Ach, du arbeitest auch hier?”, fragt sie meine Begleiterin. “Du bist doch noch so jung!” “Ich habe vor einer Woche angefangen”, antwortet die 19-Jährige.

Viene y va – besser kann man Intendente wirklich nicht beschreiben.

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