Stripclubs haben etwas Mythisches. Sie dienen als Kulisse für Serien wie Die Sopranos, Filme wie Drive oder Spiele wie Grand Theft Auto. Die Stripperinnen selbst kommen allerdings nur selten zu Wort. Wie finden sie ihren Beruf? Was halten sie von ihrer Kundschaft? Warum haben sie damit angefangen?
Das Buch Wanting You to Want Me will das ändern. Die Autorinnen Bronwen Parker-Rhodes und Emily Dinsdale waren selbst Stripperinnen. Sie lernten sich bei der Arbeit in einem Club kennen und freundeten sich sofort an. Bald darauf beschlossen sie, “die komplizierte Schönheit dieser Welt” festzuhalten, wie Parker-Rhodes es formuliert.
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Die Frauen sammelten Erlebnisberichte von Stripperinnen aus London, Parker-Rhodes machte Fotos. Das Buch führt seine Leserinnen und Leser tief in die Clubs und die Umkleideräume, in denen die Tänzerinnen tratschen, sich auf ihre Auftritte vorbereiten und die Zeit totschlagen. “Die Leserinnen sollen das Gefühl haben, mit Freundinnen abzuhängen”, sagt Dinsdale.
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“Wir wollten zeigen, dass es nicht diese eine Erfahrung als Stripperin gibt”, sagt Parker-Rhodes. “Die ganze Sache ist weitaus komplizierter und differenzierter.”
Hier sind zwei von uns überarbeitete und übersetzte Auszüge aus Wanting You to Want Me, das jetzt im Hardie Grant Verlag erschienen ist. Die Namen der Clubs haben wir wie im Buch gestrichen.
Poppy: “Ich hatte keine Ahnung vom Strippen”
Mein erster Auftritt war … Ich hatte keine Ahnung vom Strippen. Ich trug eine Melone, also den Hut. Vielleicht hatte ich sogar einen Gehstock dazu. So schlimm! Mit meinem Hut-Kostüm machte ich Beinwürfe wie bei einer Varietéshow. Als ich jünger war, hat mich meine Mutter immer zum Tanzunterricht gebracht. Meine Tanztechniken umfassten dementsprechend Jazz, Stepptanz und Musical Theater. Also habe ich auf der Bühne eine Musicalshow abgeliefert. Wahrscheinlich haben viele Leute über mich gelacht. Ich selbst fand mich super. Wie man halt mit 18 so ist. Aber wenn ich an meinen ersten Auftritt denke – eigentlich meine Auftritte der ersten paar Jahre –, dann müssen die schrecklich gewesen sein. Sie waren sicher witzig anzusehen, Comedy Gold. Ich erinnere mich an den Song fürs Vortanzen, alle hatten nämlich denselben. Es war dieses, “No diggity, I like the way you work it”. Ich stand also da und habe mein Hutding und die Beinwürfe zu “No Diggity” gemacht.
Es gab da einen Typen im [gestrichen]. Da war ich 18 und jeder Betrag war automatisch viel Geld für mich. Es waren die am leichtesten verdienten 50 Pfund meines Lebens, umgerechnet knapp 60 Euro. Er erzählte mir, dass er ein Vampir sei, und er trug einen Haufen Ringe und Medaillons – eigentlich sah er mehr wie ein Vampirjäger aus. Er trank sein Bier aus, gab mir die leere Flasche und sagte: “Füll sie mit Pisse auf. Ich trinke sie aus und gebe dir 50 Pfund.” Also bin ich auf die Toilette, habe ihm die Flasche aufgefüllt und dann zugeschaut, wie er mir in die Augen gestarrt und sie mit großen Schlucken ausgetrunken hat. Dann gab er mir die 50 Pfund und ich dachte mir nur: geil. Meine am leichtesten verdienten 50 Pfund aller Zeiten.
Er hatte sich als Vampir bezeichnet, weil er Menstruationsblut mochte. Er fragte mich, ob ich gerade meine Tage hätte und ob er meinen Tampon haben könnte. Aber ich hatte sie nicht. Ich liebe so abgedrehte Leute.
Einer meiner Lieblingskunden kam immer mittwochs tagsüber. Kennst du Mr. Magoo? Den super alten Typen? Er hatte eine große Brille und war richtig verdorben. Er war wirklich alt, vielleicht Anfang 90. Jeden Mittwoch kam er und hat seine Rente ausgegeben. Er hat mir nie viel gegeben, aber ich werde mich immer an ihn erinnern, weil er so regelmäßig kam. Und alles, was er wollte, war … kennst du dieses kleine Privatzimmer? Das mit einer einzigen Kabine? Er setzte sich ans Ende und ich legte mich auf den Boden mit gespreizten Beinen und machte Kegel-Übungen, bewegte meine Pussy. Das habe ich vielleicht drei Songs lang gemacht und 60 Pfund dafür bekommen, knapp 70 Euro. Dann hat er mir immer eine kleines Minzbonbon angeboten. “Möchtest du ein Mentos?” Wegen seiner Art werde ich mich immer an ihn erinnern, auch wenn ich mit ihm nicht viel Geld verdient habe.
Chiqui: “Mein Lieblingsort ist auf der Bühne vor einem gut gelaunten Publikum”
Der erste Laden, in dem ich getanzt habe, war das [gestrichen] in Shoreditch. Die Londoner Pub-Szene passte besser zu mir als die großen Clubs. Es war nicht der glamouröseste Laden der Welt, bei weitem nicht, aber dieses etwas schmutzige Ambiente gefiel mir mehr als ein großer Club mit Leopardenteppich und hundert Mädchen pro Schicht. Ich habe also da angefangen und die Bezahlung war eigentlich OK damals. Das war 2003. Vergessen wir außerdem nicht, dass ich aus Südamerika stamme. Egal, wieviel Geld ich verdiente, für mich war es viel.
Davor hatte ich in der Gastro gearbeitet, hinter der Bar gestanden und solches Zeug. Das Geld, das ich dann im [gestrichen] verdiente, war vielleicht nichts im Vergleich zu den großen Clubs, aber für mich war es viel. Obwohl der Laden abscheulich war, ist es bis heute der einzige, in dem es eine echte Auswahl unterschiedlicher Tänzerinnen gab: füllige Frauen, Schwarze Frauen, Asiatinnen, eine Tänzerin kam sogar aus Bangladesch. Ich blicke heute voller Liebe auf diesen Laden zurück, weil es einfach so verdammt cool war, so viele verschiedene Mädchen zu haben. Es ist einer der diversesten Stripclubs, in denen ich jemals gearbeitet habe. Es gab da eine Tänzerin, die vielleicht 70 Jahre alt war: Mona. Sie war großartig. Und ich habe seitdem nichts Derartiges mehr gesehen. Danach wurde es ziemlich weiß und viele hatten diesen Püppchen-Look.
Als ich Vollzeit arbeitete, war das Letzte, was ich wollte, jemanden zu daten. Ich war so fertig von diesen Unterhaltungen: Wo kommst du her? Wie alt bist du? Wie lange bist du schon hier? Im Club führst du dieses Gespräch zehnmal pro Nacht. Wenn du dann mal frei hast, bist du emotional ausgezehrt. Außerdem bist du so tief in deiner Rolle, dass manchmal die Grenzen zwischen Schauspielerei und dir selbst verwischen. Du bist flirty, ungezogen und liebevoll – und das sechs, neun Stunden pro Nacht. Jetzt, da ich wegen der Pandemie über ein Jahr nicht mehr getanzt habe, hatte ich endlich die Energie dazu und bin sieben Monate mit einem Typen ausgegangen. Die Sache ist aber, dass man Männer so deutlich durchschaut, dass man viel weniger Geduld mit ihnen hat. Ich habe sogar schon Probleme, im selben Bett mit einem Typen zu schlafen. Ich ficke und dann muss ich nach Hause.
Vielleicht hat das auch mit dem Alter zu tun. Ich bin jetzt fast 40 und da zieht man die persönlichen Grenzen vielleicht etwas strenger. Es hilft einem definitiv dabei, die guten von den schlechten Männern zu unterscheiden. Ich sage Typen immer sofort, womit ich mein Geld verdiene, und ich finde, dass ihr Umgang mit einer marginalisierten Frauengruppe viel über sie aussagt. Ich sage es immer beim ersten Date. “Das mache ich und das wird sich nicht ändern, weil es ein wichtiger Teil meines Lebens ist.”
Ich sehe jünger aus, als ich bin, aber ich habe nie über mein Alter gelogen. Manchmal hat man es mit Typen zu tun, die durchdrehen, weil sie superjung aussehende Mädchen wollen, was ich schon immer ein bisschen creepy fand. Mir ist aber auch aufgefallen, wenn zum Beispiel ein Vater mit seinem Sohn reinkommt, dass der Vater eine jüngere Stripperin wählt und der Sohn mich. Ich glaube, ich bin irgendwann für jüngere Typen zu einer Art Erfahrungsquelle geworden. Das übt eine starke Attraktivität auf sie aus. Ich bekomme also immer wieder Mittzwanziger, weil sie dich als Göttin des Wissens sehen. Allerdings fühlen sich die älteren Typen, also die vernünftigen, manchmal wohler, einen Solotanz mit mir zu haben als jemand, der 21 ist.
Ich will mehr ältere Frauen auf der Bühne sehen. Ich will damit anfangen, Workshops mit Frauen zu geben, die in ihren 40ern, 50ern oder 60ern sind. Mit dem ganzen Wissen und der Weisheit, die ich jetzt habe, fühle ich mich nämlich so sexy wie noch nie. Und ich finde es richtig cool, die Vorstellung davon infrage zu stellen, wer auf der Bühne sexy sein darf. Ich denke mir nur: Scheiß drauf, ich werde für immer auf der Bühne sexy sein. Und jedes Mal, wenn ich eine andere Frau sehe, die auf der Bühne ihre Titten zeigt, denke ich mir: Geil, richtig so.
Wie es sich anfühlt, auf der Bühne zu stehen? Ich glaube, die Bühne ist mein Wohlfühlort. In meinem Leben sind meine Lieblingsmomente die, wenn ich vor einem guten Publikum auf der Bühne stehe. Ich liebe es mehr als Sex, mehr als Essen, mehr als Reisen – und ich liebe Reisen, ich liebe es, neue Länder zu besuchen. Oh, ich will einfach nur auf der verdammten Bühne stehen. Und ich will, dass die Leute Spaß haben. Es gibt nichts Vergleichbares. Das ist es, was mich am glücklichsten macht. Mehr als alles, sogar als Spaghetti Bolognese, die ich verdammt liebe. Auf der Bühne vor einem gut gelaunten Publikum: das ist mein Lieblingsort.
‘Wanting You to Want Me’ von Bronwen Parker-Rhodes und Emily Dinsdale, erschienen im Verlag Hardie Grant. Alle Fotos © Bronwen Parker-Rhodes
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