Wie sich Parteien für die Wienwahl gegen das System positionieren

Foto: Flickr | Franz Johann Morgenbesser | CC BY-SA 2.0

Letzte Woche habe ich mir nachts ein Taxi aus der Inneren Stadt Richtung Ottakring genommen. Während der Fahrt geriet in eine politische Diskussion mit meinem Taxler.

„Der Taxler” hat für Journalisten und andere Kommunikationshandwerker eine fast sakrale Bedeutung und eine seltsame Doppelfunktion: Zum einen ist er normalerweise der einzige „kleine Mann von der Straße”, mit dem man Kontakt hat—was man ja tun sollte, um nicht abzuheben. Zum anderen hat er fast die Rolle eines Gatekeepers, weil er ständig zufälligen Kontakt mit verschiedensten Menschen hat. Sein Wort hat also Gewicht. Irgendwie.

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Mein Taxler erklärte mir also kurz und knapp, dass er „natürlich FPÖ” wählen würde. Das war jetzt nicht so überraschend, wo die Partei doch in Umfragen bei knapp 33 Prozent liegt. Überraschender war die Begründung: Er wähle FPÖ „wegen Leuten wie Grasser, die nicht verurteilt werden!”

Mir ist natürlich klar, dass Karl-Heinz Grasser kein freiheitlicher Kaderpolitiker war und wahrscheinlich auch auf einem Ticket der Bierliste ins Kabinett eingezogen wäre, wenn diese ihm das angeboten hätte. Aber trotzdem: Er war FPÖ-Mitglied, FPÖ-Politiker und FPÖ-Minister. Deshalb liegt da natürlich die Frage nahe: Wählt mein Taxler FPÖ aus Protest gegen die FPÖ?

Die Beschwörungen der anderen Parteien, dass die FPÖ an vielen politischen Schweinereien beteiligt war, greifen bei den FPÖ-Wählern nicht.

Was hier in verkürzter Form vielleicht absurd klingt, ist genau genommen ein relativ gängiges Phänomen. Auch die Empörung über die Hypo schadet den Freiheitlich nicht, zumindest nicht außerhalb Kärntens. Eher im Gegenteil: Die Politikverdrossenheit, die Ablehnung gegen ein politisches System, das sie mit nähren und gelegentlich auch mit gegen die Wand fahren, scheint ihnen zu nutzen.

Die stetigen (und sachlich völlig richtigen) Beschwörungen der anderen Parteien, dass die FPÖ an vielen politischen und finanziellen Schweinereien der jüngeren Vergangenheit zumindest beteiligt war, greifen bei den FPÖ-Wählern nicht. Und es interessiert die Wähler offenbar genauso wenig, dass sich die FPÖ dort, wo sie mitregiert, meist recht schnell mit dem System arrangiert.

So wie einst unter Jörg Haider hat Straches Partei den Aufstieg der letzten Jahre auch dadurch geschafft, dass sie sein Chefideologe Kickl zumindest teilweise als Anti-Systempartei positionierte. Das sieht man auch daran, dass sie sich bei den meisten Wahlen nicht mal ein Match suchen muss. Zur Erklärung: Taktisch versuchen Parteien bei Wahlkampagnen meist in den Infight mit einer bestimmten anderen Partei zu gehen, um ihre Wähler zu mobilisieren. Die ÖVP Wien positioniert sich als Autofahrerpartei, auch weil sie hofft, dass genug Menschen Angst vor den Grünen (der „Anti-Autofahrer-Partei”) haben.

Bei der Wien-Wahl hilft das postulierte Duell Häupl vs. Strache dem FPÖ-Chef, und natürlich auch der SPÖ. Aber eigentlich braucht sich die FPÖ meist kein Match suchen, weil sich fast immer automatisch alle an ihr reiben—wie man es auch bei der Elefantenrunde gesehen hat.

Auch wenn die alarmierenden Sonntagsreden über die Politikverdrossenheit meist übertrieben sind, gibt es in Österreich (so wie fast überall in Europa) eine wachsenden Teil der Bevölkerung, der Ohnmacht verspürt. Der das Gefühl hat, seine Stimme würde eh nichts ändern. Der registriert, dass ihm immer weniger in der Geldbörse bleibt. Der den Eindruck hat, dass es sich „die da oben” richten würden. Der merkt, dass die Eliten in Medien und Politik mit Verachtung auf ihn herabblicken. Und der weiß, dass er diese Eliten mit einer Sache auf die Palme bringen kann wie mit keiner zweiten: In dem er sein Kreuz bei den Freiheitlichen macht.

Das ist das Klientel, in dem Strache wirklich erfolgreich ist. Auch weil er—wie Corinna Milborn letztens richtig anmerkte—der einzige ist, der dem „angry white male” explizit Würde zugesteht und verspricht, ihm diese auch im öffentlichen Diskurs zurückzugeben. Was aus Sicht der SPÖ besonders weh tut: Das waren alles mal ihre Stammwähler.

Wer NEOS wählt, hat sich nicht vom System abgewandt, sondern ist eher genervt davon, dass es ihm Steine in den Weg legt.

Wir können nicht über Anti-Systemparteien reden, ohne die NEOS zu erwähnen. Auch bei den NEOS geht es immer um „Veränderung” (ihr wichtigstes Schlagwort in diesem Wahlkampf) des Bestehenden. Sie wollen eine Kraft sein, die von außen kommt. In den USA ist das eine erprobte Taktik. Dort müssen sich Kandidaten eigentlich fast als jemand positionieren, der es „denen in Washington” mal so richtig zeigen wird—selbst wenn der Kandidat seit Jahren in Washington arbeitet.

Die NEOS wollen gegen die herrschenden Verhältnisse angehen. Damit sind eher die formellen und informellen Verkrustungen im politischen und wirtschaftlichen System gemeint. Es geht nicht um Totalopposition. Das würde man dem Kernklientel (Gewerbetreibende, Anwälte oder auch ehemalige Grünen-Wähler, denen Michel Reimon zu links ist) auch nicht abnehmen.

Wer NEOS wählt, hat sich vom System nicht abgewandt, sondern ist eher genervt davon, dass es ihm Steine in den Weg legt. Wer die Lohnnebenkosten senken und die Reformpartnerschaft „überdenken” will, mag Österreich sicher neu justieren wollen. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass er morgen mit der Fackel vor dem Parlament steht.

Die NEOS haben—wie alle Kleinparteien in diesem Wahlkampf—das Problem gehabt, von dem so übermächtigen wie unwahrscheinlichen Duell Häupl/Strache zerrieben zu werden. Sie haben aber darüber hinaus streckenweise einen eher schwierigen Wahlkampf geführt.

Der zwischenzeitliche Hauptclaim „Veränderung ohne Strache” ist nämlich für drei Worte erstaunlich kompliziert. Normalerweise senden Parteien eher einfache Botschaften aus: Wählt mich, und es gibt Veränderung. Wählt mich, weil ich euch vor zu viel Veränderung beschütze. Wählt mich, sonst kommt Strache.

Wählt mich, weil ich Veränderung bringe und gleichzeitig Strache verhindere, hat da noch einen Ecke mehr, wodurch er emotional nur mehr schwer fängt—man versteht es schon mit dem Kopf nur halb. Aktuelle Umfragen sehen die NEOS knapp im Gemeinderat, aber bei der Schwankungsbreite ist natürlich alles möglich.

Es wird auf die Dauer schwierig, Ursula Stenzel und Revolution unter einen Hut zu bekommen.

Zurück zur FPÖ. Die Köpfe hinter der Partei sind smart genug, zu wissen, dass der Aufstieg auf dem Rücken der Modernisierungsverlierer endlich ist. Wenn die FPÖ an die Macht will—eventuell irgendwann sogar nicht als Juniorpartner—muss sie auch in andere Schichten ausstrahlen. Selbstständige, Bürgerliche, eh klar. Im Grunde dorthin, wo die Partei unter Norbert Steger schon einmal war—nur dass sie damals halt irgendwo bei fünf Prozent herum gurkte. Man braucht diese Kräfte also zusätzlich. Die Aufstellung der enttäuschten Ursula Stenzel war ein klares Zeichen in die Richtung.

Das Ganze führt aber zu einem Spagat. Für die Wähler am Viktor-Adler-Markt musst Strache ein bisschen so auftreten, als könnte er das Rot/Schwarze hinwegfegen und jeden Ausländer persönlich wieder Richtung Ungarn tragen. Wer aber Stenzel wählt, der goutiert normalerweise genau diesen Krawall nicht.

Will die FPÖ 2018 also wirklich stärkste Partei werden, wird es wohl unter anderem genau darum gehen. Die schwierige Verbindung zu schaffen zwischen den Wählern, die wenig gebildet sind, und denen, die ihre Kinder nach der Volksschule zum Geigenunterricht fahren. Beide zu bedienen, ohne eine Seite zu verprellen. Momentan ist die FPÖ in der relativ komfortablen Situation, dass ihnen die Präsenz des Ausländer-Themas in die Hände spielt. Ob das in zwei Jahren die Mittelschicht noch genauso in Angst und Schrecken versetzt, kann aktuell noch niemand sagen.

Es wird also schwierig. Historisch gesehen gibt es aber Beispiele dafür, dass Parteien auch dauerhaft Wähler hinter ihren Themen vereinen können, die sozioökonomisch wenig miteinander zu tun haben. Für die ganz Jungen unter uns: Man nannte diese früher mal „Volksparteien”.

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