Frauen erzählen, warum sie sich nicht mehr rasieren

Behaarte Beine

Ich kann mich noch ganz genau an den Tag erinnern, an dem ich zum ersten Mal meine Beine rasiert habe. Mit meinen zarten dreizehn Jahren ist damals eine Schulkollegin von mir in der Klasse auf mich zugekommen und hat mir einfach so ins Gesicht geschnauzt: “Wieso rasierst du eigentlich deine Beine nicht?”

Weil ich natürlich schon damals angehende Philosophin und Amateur-Feministin war, habe ich sofort zurückgeschossen: “Weil es mir egal ist. Meinen Freunden ist es nicht wichtig, ob ich Haare auf den Beinen habe, oder nicht. Die lieben mich so, wie ich bin. Und der Rest kann mir den Buckel runterrutschen.”

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Ich würde jetzt gerne sagen, dass ich danach nie auch nur ein einzige Haar von meinem Körper entfernt habe. Die Wahrheit ist aber, dass ich an diesem Tag nach Hause gegangen bin, ein bisschen geweint und schließlich mit dem Rasierer von meinem Papa beide Beine enthaart habe. Am nächsten Tag dann die Achseln und die Woche darauf meine Intimbehaarung.


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Obwohl ich gerne an mein eigenes Anti-Rasur Statement geglaubt hätte, hatte ich auf einmal das Gefühl, dass mich alle wegen meiner Körperbehaarung verurteilen. Es war mir zwar völlig fremd, aber ich habe es einfach als neue Regel in meinem Leben akzeptiert, weil ich – wie jeder Teenie – einfach nur dazugehören wollte.

“Es wird uns halt von der Gesellschaft vorgeschrieben.”

Sieben Jahre lang habe ich mich also jeden zweiten Tag rasiert, um, wie die Damen in der NIVEA-Werbung, glatt und eben zu sein. Die Frauen, mit denen ich übers Rasieren gesprochen habe, bestätigten mir, dass sie sich die Beine vor allem wegen des Glattheitsgefühls und der Ästhetik rasieren. Bei der Achselrasur geht es den meisten darum, Schweißgeruch zu vermeiden. Was die Intimrasur angeht, haben einige Frauen, mit denen ich geredet habe, Angst, dass ihre Partner und Partnerinnen sie sonst unattraktiv finden. Andere meinen wiederum, dass sie es auch gerne für ihren Partner oder ihre Partnerin machen, wenn es sich für sie besser anfühlt. Und die wohl am häufigsten verwendete Erklärung: “Es wird uns halt von der Gesellschaft vorgeschrieben.”

Das spiegelt sich auch ganz klar in den Zahlen wider. Laut einer Studie von der Universität Leipzig rasieren sich fast 90 Prozent der 18- bis 25-jährigen Frauen ihre Schamhaare ab. Aber nicht nur die Intimbehaarung wird fleißig entfernt: Ein Großteil der Frauen, die regelmäßig ihre Körperbehaarung entfernen, setzen den Rasierer auch an Achseln, Beinen und anderen Körperstellen an.

Bei der genauen Psychologie hinter dem Rasieren scheiden sich die Geister. Haarlose Frauenkörper werden von manchen lediglich als Trend angesehen, so wie zum Beispiel Schnauzer bei Männern in den 80ern. Es gibt aber auch sehr viele Frauen, die sich aus Unsicherheit der Gesellschaft unterordnen und sich mehr oder weniger unfreiwillig Beine, Achseln und Intimbereich rasieren, um nicht schief angeschaut zu werden.

Ich will meinen Körper schön finden, so wie er ist: behaart und trotzdem – oder genau deswegen – wunderbar weiblich.

Auch ich habe mir Argumente wie den Gesellschaftsdrucks, die Ästhetik oder den Schweißgeruch immer wieder vorgebetet wie ein Rasur-Mantra, obwohl ich die meisten dieser Statements auf persönlicher Ebene gar nicht bestätigen konnte. Eines schönen Tages hat es mir deshalb endgültig gereicht. Als ich wieder mal brillenlos, mit meinen sechs Dioptrien und einem BIC-Rasierer unter der Dusche gestanden bin und mir dank verschwommener Sicht zum dritten Mal die Haut am Knöchel mit den Klingen aufgerissen habe, habe ich beschlossen: Aus. Scheiß drauf. Nicht mit mir.

Ich hatte mich sieben Jahre lang rasiert, aus selbst auferlegten und gefühlten gesellschaftlichen Zwängen, und alles, was ich davon hatte, waren Schnitte auf den Beinen, trockene Haut und einen Haufen rausgeschmissenes Geld für komplett überteuerten Plastikschrott mit Metallklingen dran.

Seit mehr als fünf Monaten habe ich nun behaarte Schenkel und Unterschenkel. Und ich könnte nicht glücklicher sein. Mein 13-jähriges Ich hatte nämlich Recht: Meine Freunde und Familie lieben mich, ob ich Beinbehaarung habe oder nicht. Viele meiner Freundinnen haben mir sogar öfter gesagt, wie mutig sie es finden, dass ich mich das traue. Für mich hat es aber weniger mit Mut zu tun; vielmehr mit Selbstliebe. Ich will meinen Körper schön finden, so wie er ist: behaart und trotzdem – oder genau deswegen – wunderbar weiblich.

In meiner neu gefundenen Körperbehaarung-Euphorie habe ich mich deshalb auf die Suche nach Frauen begeben, die die Haare auf ihren Körpern ebenfalls ungezähmt sprießen lassen. Um herauszufinden, was sie dazu geführt hat, sich nicht oder nur sehr selten rasieren, habe ich sie gebeten, mir ihre Geschichten zum Thema Rasur zu erzählen – und warum sie lieber darauf verzichten.

Sarah, 20

Meinen Schambereich rasiere ich seit mehr als einem Jahr nicht mehr. Hauptsächlich, weil das Rasieren da unten immer wehtut und ich finde, dass es hässlich ausschaut, wenn überall kleine rote Punkte zu sehen sind. Außerdem finde ich eine komplett glatt rasierte Vagina einfach komisch. Wenn ich mich untenrum austoben will, rasiere ich mir maximal einen Landestreifen. Meine Beine und Achseln habe ich auch jetzt im Sommer seit einem Monat nicht mehr rasiert. Aber diese Stellen enthaare ich noch öfters; hauptsächlich für den Sport. Da tut es nämlich manchmal weh, wenn die Haare vom engen Gewand eingedrückt werden. Jetzt, wo meine Beine unrasiert sind, trage ich aber auch nur lange Hosen. Ich muss schon sagen, wenn ich meinen Körper zeige, fühle ich mich persönlich ohne Haare wohler.

Élise, 23

Regelmäßig rasiert habe ich mich noch nie. Aber erst vor ungefähr zwei Jahren habe ich aufgehört, mein Gewand nach meiner Beinbehaarung zu richten. Denn zu genau der Zeit begann ich, Bal Folk zu tanzen, europäische Volkstänze, und da diese Szene grundsätzlich sehr offen ist, gibt es dort genauso rasierte wie auch zahlreiche unrasierte Menschen. Kurz gesagt: seitdem ich Folk tanze, rasiere ich mich noch unregelmäßiger als davor. Und vor allem ziehe ich seither an, was ich möchte – unabhängig davon, ob ich rasiert bin oder nicht.

Ich weiß mit meinen täglichen 24 Stunden mindestens hundert andere Dinge anzufangen, als mich zu rasieren.

Meine Beine rasiere ich vielleicht einmal, meine Achseln dreimal im Halbjahr. Meinen Intimbereich rasiere ich auch nicht regelmäßig. Warum ich das so tue, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht wirklich. Es sind hauptsächlich persönliche und nicht feministische oder gesellschaftskritische Gründe. Achselhaare finde ich ganz ästhetisch, Beinhaare sind mir schlicht und ergreifend egal. Ich weiß mit meinen täglichen 24 Stunden mindestens hundert andere Dinge anzufangen, als mich zu rasieren. Faulheit spielt auch eine große Rolle. Rasierklingen und Rasierer sind außerdem teuer und tragen dazu bei, dass noch mehr Plastik produziert und weggeworfen wird. Grundsätzlich würde ich es sehr begrüßen, wenn Körperbehaarung bei Frauen kein so ein großes Thema wäre.

Ich bin überzeugt, dass viele – vor allem junge – Frauen und Mädchen sich unter Druck gesetzt fühlen, sobald sie Körperbehaarung bekommen. Neben den ökologischen Aspekten ist das nur einer von vielen Gründen, warum Rasur bei Frauen durchaus problematisch ist.

Lea, 20

Ich hab schon alles ausprobiert, um die Zeit, die ich mit der Rasur verbringe, zu verkürzen beziehungsweise zu erleichtern. Von Rasiercremen, bis hin zu wachsen und epilieren. Letzteres spart meiner Meinung nach am meisten Zeit, tut dafür halt verdammt weh. Diesen Sommer hab ich mich immer öfter dabei erwischt, meine Bein-Epilation vor mir herzuschieben, weil ich einfach keine Lust hatte und mich meine Haare auch nicht wirklich gestört haben. Zwischen den letzten Prüfungen an der Uni und meinem Vollzeitpraktikum, hatte dieser mühsame Zeitfresser einfach keine Priorität.

Es soll einfach eine ganz normale Entscheidung sein, die jede Frau und jeder Mann treffen können sollte, ohne von Vorurteilen heimgesucht zu werden.

“Wozu mach ich das eigentlich überhaupt?”, habe ich mich gefragt. Ich wurde sehr rasch daran erinnert, als mein Freund den Urwald entdeckt hat. “Igitt, du bist behaart wie ein Mann”, hat er zu mir gesagt. Daraufhin hab ich ihm erstmal eine Standpauke gehalten. Frauen seien auch nur Menschen – und warum ist Armbehaarung in Ordnung aber Beinbehaarung ein tabu? Das ist doch alles völlig willkürlich. Außerdem ist und bleibt es meine Entscheidung, ob ich mich rasiere oder nicht.

Ich habe immer noch die Hoffnung, dass eines Tages behaarte Beine bei uns Frauen genauso normal sind wie bei Männern. Oder zumindest, dass man die Entscheidung selbst treffen darf, ohne gleich in die Vegane-Feministinnen-Hippie-Schublade gesteckt zu werden. Und auch, ohne sofort als stark und tapfer gelabelt zu werden. Es soll einfach eine ganz normale Entscheidung sein, die jede Frau und jeder Mann treffen können sollte, ohne von Vorurteilen heimgesucht zu werden.

Meggi, 19

Immer wieder plage ich mich und bringe dann die Anstrengung auf, meine Beine zu rasieren, zu epilieren oder was auch immer. So kannte ich das bis jetzt. Manchmal fühlt es sich für mich auch einfach toll an, frisch und glatt wie ein Nacktmull zu sein. Oft bin ich aber einfach zu faul oder habe zu wenig Zeit. Abgesehen davon denke ich, dass meine Haare durchaus eine Existenzberechtigung haben, weil sie ganz einfach ein Teil von mir und von Frauen generell sind. Nur weil das Rasieren in unserer Gesellschaft genormt wurde, heißt es nicht, dass wir dem blind folgen müssen.

Ob ich meine Körperbehaarung jetzt wachsen lasse oder rasiere, kommt ganz auf den Tag an.

Aus diesen Gründen wachsen die Zeitabstände, in denen ich meine Härchen stutze, immer mehr. Vielleicht klingt das bescheuert, aber nachdem ich festgestellt habe, dass es meinen Freund genauso wenig kümmert, ob ich jetzt rasiert bin oder nicht, habe ich gelernt, damit noch lockerer umzugehen als zuvor. Ob ich meine Körperbehaarung jetzt wachsen lasse oder rasiere, kommt ganz auf den Tag an.

Anna, 23

Ich habe vor zwei Jahren aufgehört, mich zu rasieren, weil es mir damit einfach besser geht. Man spart eine Menge Zeit und Wasser beim Duschen, bekommt keine Hautrötungen und es ist medizinisch gesehen einfach gesünder. Am Anfang war es komisch, mit einem Tanktop rauszugehen und meine Arme anzuheben, ohne mir darüber den Kopf zu zerbrechen, oder mit unrasierten Beinen in der U-Bahn ein Kleid zu tragen. Aber nach einiger Zeit habe ich gemerkt, dass es den meisten Leuten anscheinend egal ist. Ich fühle mich allgemein femininer und mein Freund hat damit auch kein Problem. Haare an seinem Körper zu haben, ist ganz normal und wir sollten als Gesellschaft aufhören zu glauben, dass Frauen, die sich nicht rasieren, ungepflegt oder unfeminin sind.

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