Ausstieg aus der „Firma Österreich“: Zu Besuch am Schloss des ersten Freeman

Michaela W. arbeitete als Masseurin, bis sie irgendwann ihre Schulden nicht mehr bezahlen konnte. Bei Recherchen im Internet stieß sie auf One People’s Public Trust (OPPT)—eine internationale Bewegung, in deren Weltanschauung Nationalstaaten nichts als Firmen sind und denen es somit an jeglicher Legitimation fehle. Michaela W. vernetzte sich mit Gleichgesinnten und die Bewegung unterstützte sie in dem Gedanken, ihre Schulden nicht mehr bezahlen zu müssen. Weil sie sich weigerte ihre Schulden zu begleichen, wurde ein Gerichtsverfahren gegen sie eingeleitet.

Während diesem Verfahren wurde Michaela W. aufgrund ihrer angeblich labilen psychischen Verfassung von der Rechtsanwältin Margit M. teilbesachwaltet. Da die Sachwalterin, wenig überraschend, nicht im Interesse der Bewegung handelte, rückte sie in den Fokus und Zorn des OPPT.

Videos by VICE

Einer, der damals als wichtigster Vermittler zwischen OPPT und der Polizei auftrat, ist Johannes Ewald Kreissl. Kreissl bezeichnet sich selbst als „Freeman” und will in seinem Leben vor allem eins: frei sein. 2012 richtete er deshalb ein Schreiben an den Staat Österreich, in dem er erklärt, dass er nun aus dem System austrete. 2014 machte er sich gemeinsam mit Mitgliedern des OPPT und der Souveränen (eine dem OPPT sehr ähnlichen Bewegung) ins waldviertlerische Hollenbach auf, um „ihrer Freundin” Michaela W. aus ihrer Notsituation zu helfen. Das Ganze endete mit gezogenen Waffen und schließlich der Räumung des Hofes.

Nachdem die OPPTler versucht hatten, eine Gerichtsverhandlung nach Naturrecht gegen die Sachwalterin Margit M. zu organisieren, bekam diese es mit der Angst zu tun und erstattete Anzeige. Bei der Konfrontation zwischen Vertretern des OPPT—darunter auch der selbsternannte Sheriff Terrance O’Connor—und der Polizei drohte die Lage dann zu eskalieren.

„Terrance hatte ein Messer dabei, aber er ist Survival-Trainer—das ist einfach ein Werkzeug für ihn und keine Waffe”, erinnert sich Kreissl. „Ein anderer hatte eine Waffe im Auto. Die einzige, die wirklich bewaffnet war, war die Sachwalterin selbst. Das muss man sich mal vorstellen. Wir wollten ihr nur den Brief für die Gerichtsverhandlung bringen und sie läuft mit einer Waffe auf ihrem Grundstück herum.” Kreissl hat bis heute wenig Verständnis für die Reaktion der Exekutive.

Nachdem Kreissl im Waldviertel bei einem Showdown zwischen selbsternannten Sheriffs und der Polizei dabei war, ist er nun Guru und Freeman.

Einer der selbsternannten Sheriffs wurde daraufhin wegen des Vorwurfs der Verfolgung, Nötigung und Anstiftung zum Amtsmissbrauch festgenommen. Für die Hofbesitzerin Michaela W. endete der Tag in der Psychiatrie des Landesklinikums Waidhofen an der Thaya, wie Profil berichtete. Was genau damals im Waldviertel passierte, ist heute schwer zu rekonstruieren. Sachwalterin Margit M. lässt VICE über ihre Sekretärin ausrichten, dass das Strafverfahren noch laufe und es noch keinen genauen Zeitpunkt für die Verhandlungen gebe. Auch Michaela W. ist nicht erreichbar.

Kreissl selbst distanziert sich inzwischen von dem Vorfall. Für ihn geht es vor allem um Selbstbestimmung. Nach dem Intermezzo im Waldviertel hat er nun eine neue Gemeinde gefunden, in der er nicht nur Vermittler, sondern auch Guru ist. Er selbst ist dabei weder ein Anhänger des OPPT noch der Souveränen, sondern der selbsternannte erste „Freeman” Österreichs.

Laut eigenen Angaben ist er damit der einzige, auch wenn sich ihm immer mehr Menschen anschließen und in den letzten Jahren eine regelrechte Bewegung entstanden ist. Trotzdem: Seine Anhänger können selbst nicht zum Freeman werden; Freeman sei nur er alleine. Der Rest ist ein Sammelbecken unterschiedlichster Philosophien und Glaubensrichtungen, die sich durch den gemeinsamen „Systemausstieg” und die Skepsis gegenüber allen offiziellen Institutionen und Staaten definieren. Kreissl und seine Gefolgsleute leben in einem Schloss in Walchen bei Vöcklamarkt in Oberösterreich, wo er vor ein paar Monaten den Staat „Erlösterreich” ausrief.

Das riesige Schloss ist von einem noch größeren Garten umgeben. Am Tor hängt ein Zettel mit der Aufschrift: „Schön, dass du da bist. Sei gewahr, dass du dich im Begriff befindest, das fiktive Staats- repräsentative Hoheitsgebiet der Republik Österreich zu verlassen! Aber keine Angst.” Davor parkt ein roter KIA mit Stickern darauf, auf denen steht: „Ich bin gar nicht meine Person? Ich werde aber durch sie zum Zinssklaven? … WTF!”

„WTF” denke auch ich mir, als ich an den Toren von Erlösterreich ankomme. Plötzlich höre ich jemanden laut „EVVAAAAAA” rufen, sehe aber niemanden. Dann noch einmal: „EVA, folge meiner Stimme!” Ich öffne das Tor und gehe an einer Feuerstelle, einem Glashaus und einem Schuppen vorbei. Am Ende steht Kreissl und winkt. Mit „Jetzt hast du uns endlich gefunden” umarmt er mich zur Begrüßung ganz fest. Auch Gudrun Hanreich und ihr Partner umarmen mich. Es riecht nach den unterschiedlichsten Formen von Tabak. Ich folge den dreien in eine kleine Wohnung im Schloss. Hier wohnt Joe Kreissl, wie er sich selbst nennt. Ein neuer iMac steht im Zimmer, am Wohnzimmertisch angezündete Kerzen. Nicht durchschnittlich, aber doch ziemlich bürgerlich, denke ich mir. „Setz dich doch, Eva, und erzähl mir, wer du bist.” Ich bekomme Wasser aus einem Krug, in dem ein großer Steinlöffel liegt.

Um nicht unvorbereitet auf den Freeman zu treffen, habe ich mir im Vorfeld die unterschiedlichen Systemausstiegsphilosophien und die Bewegung rund um den „Freeman” Kreissl von einem Experten genauer erklären lassen. Franz Winter ist Beauftragter bei der Bundesstelle für Sektenfragen. „Der Begriff ,Freeman’ ist kein neuer” erklärt er. „In den 60er und 70er Jahren gab es in den USA einige Freeman—die ein Gebiet, etwa vom Ausmaß einer größeren Ranch zu ihrem eigenen, kleinen Reich erklärten. Dahinter stand vielfach das Motiv, sich möglichst weit von allen staatlichen Einflüssen entfernt zu halten oder auch keine Steuern mehr zu bezahlen. Diese frühen Freemen waren meist sehr religiös, konservativ und christlich”, so Winter. Die Freeman-Bewegung in Österreich sieht er als noch sehr jung, aber wachsend. „Es gibt einige Charakteristika, die alle Freemen verbinden; egal ob OPPT, Reichsbürger, Souveräne oder wie sie sich auch immer nennen, sie alle haben irgendeine Erklärung parat, warum der jeweilige Staat—in dem sie leben—nicht rechtmäßig ist. Diese Ansichten untermauern sie dann mit pseudo-juristischen Phrasen, die eigentlich keinen Sinn ergeben”, so Winter.

Joe Kreissl sitzt mir in einer braunen Weste gegenüber, den Reißverschluss bis zum Kinn hochgezogen. Er hat einen Ziegenbart und wirre Haare und erinnert mich an Roland Düringer. Früher sei er hauptberuflich Musiker gewesen, erzählt er, bis er vom Finanzamt eine Strafe von 3.500 Euro bekam, weil er eine Frist übersehen hatte—und das gleich zweimal. Die Polizei habe ihn dann erpresst; auf Raten habe er 2.500 Euro bezahlt, den Rest aber nicht mehr.

In dieser Phase stieß er auf ein Video des Freeman John Harris in England. Darin wurde entsprechend dem gängigen Freeman-Mythos behauptet, dass sämtliche Polizeistationen und Bezirk in England eigentlich Firmen seien, gegen die man sich wehren müsse. Diesen Gedanken fand Kreissl auf Anhieb interessant. „3 Jahre lang hab ich nachgedacht und gelesen. Ich habe in dieser Zeit meine Freunde ganz narrisch gemacht. Nach der Strafe vom Finanzamt war für mich der perfekte Zeitpunkt für den Austritt gekommen.”

Da er den Rest der Strafe nicht mehr bezahlte, musste er ins Gefängnis. Dafür stellte er der Republik Österreich eine Rechnung von 4.800.000 Euro aus. In seiner selbst verfassten Austrittserklärung hat Kreissl nämlich festgehalten, dass er für den Fall, gegen seinen Willen festgenommen zu werden, einen Tagessatz von 50.000 Euro verlangen würde. 50.000 Euro à 96 Tage macht 4,8 Millionen Euro. „Die Forderung ist bis heute vom Staat Österreich nicht beglichen worden”, beschwert er sich. „Jedes Mal, wenn ich jetzt eine Strafe bekomme, antworte ich, dass ich es ihnen erlaube, diesen Betrag von meiner Forderung abzuziehen—aber nur unter der Bedingung, dass sie mir den Rest endlich überweisen.” Da muss er selbst lachen.

Nach der Ausstellung seiner Rechnung bekam er ein Sachwalterschafts-Verfahren. Seinen eigenen Erzählungen zufolge habe der Richter seinen Austritt als „intellektuell sehr reizvoll” beschrieben und das Verfahren eingestellt. „Was ich mache, ist hochrechtsmäßig. Der Freeman ist legal illegal.” Solche Wortspiele benutzt er im Gespräch immer wieder—„Pseudo-Etymologisierungen” nennt Winter solche semantischen Spielereien, gängige Begriffe mit anderen Bedeutungen versehen und in einem sehr speziellen Sinn umgedeutet werden. Auch das sei typisch für solche Bewegungen.


Auf dem Bild: Wuki, Mario und Joe beim Sun-Gazing.

Früher habe er in Vöcklabruck gelebt, bis er vor wenigen Monaten Gudrun Hanreich, die sich selbst „Wuki das Wunderkind” nennt, kennengelernt habe. Er sei zu ihr in das Schloss gezogen, weil es hier so viele Bäume gebe und er sich seinen Traum vom Baumhaus endlich erfüllen wolle. Hanreich hat das Schloss von ihrer Familie geerbt und auch schon überlegt, ob sie es verkaufen solle. Dann habe sie ihren Freund Mario und später Joe kennengelernt. Seither versuchen sie gemeinsam eine neue Art des Wohnens: Keiner bezahlt Miete und jeder gebe in den „Topf”, was er habe. „Ich habe halt ein ganzes Schloss in den Topf geworfen”, sagt Hanreich und lacht.

Insgesamt leben 13 Personen auf dem Grundstück, alle Systemaussteiger—„offiziell” ausgetreten ist aber nur Kreissl. „Wir sind hier auch nicht die Freeman-Zentrale, nur damit das mal klar ist”, meint Hanreichs Partner. Alle im Schloss finanzieren ihr Leben durch Spenden. Hanreich verdiene zusätzlich noch Geld über das Kindermuseum im Schloss, Kreissl durch seine Vorträge. „Es geht sich gut aus, davon zu leben, aber übrig bleiben tut mir nichts”, meint er. Immer wieder betonen sie, wie gut das Zusammenleben hier funktioniere—bis aus dem Nebenzimmer auf einmal wie auf Kommando laute Schreie zu hören sind. Kreissl springt auf und läuft hinüber, wir folgen ihm.

In der Küche sitzen einige Männer, rauchen, trinken Kaffee und sehen zu, wie sich zwei anbrüllen. Kreissl versucht, im Streit zu vermitteln, doch sie beachten ihn nicht. Erst nach einigen Minuten Schreien wird der Grund klar. Der eine habe dem anderen eine Scheibtruhe voller Steine vor die Tür gestellt. Mit dieser wollte der andere aber Holz holen. Einer der beiden—der Empfänger der Scheibtruhen-Botschaft—ist deutlich aufgeregter. Er trägt einen weißen Bademantel, hat graue Haare und eine Zigarette in der Hand und lässt sich nicht beruhigen. Kreissl gibt auf und meint entschuldigend zu mir: „Nicht sehr freemanhaft. Aber die sollen sich halt richtig streiten, dann können sie sich danach wieder richtig lieb haben.”

„Joe Kreissl ist ein Entertainer, Geschäftemacher und Guru”, sagt Christian Kreil über den Freeman. Er ist Ethnologe und beschäftigt sich seit 2 Jahren mit der Bewegung Freeman und der Person Kreissl. Er ist auf Kreissl durch eine Aussendung eines Bio-Ladens gestoßen. Als er sich anschließend seine Videos anschaute, wurde Kreil richtig wütend. „In dem Laden wird nicht einmal Fleisch verkauft, weil es ihnen zu unethisch ist und dann laden sie einen Typen, der den Holocaust leugnet und dazu aufruft, dass Strache regieren soll, ein”, erzählt er mir am Telefon aufgebracht. Kreil spricht von braunem Gedankengut, das es in der Community rund um Freeman geben soll.


Screenshot via welcometofreedom.at

Der Freeman Tassilo Alge rief auf der Seite der Bewegung zum Beispiel zur Solidarität für die Verhandlungen rund um Wolfgang Fröhlich auf, der für seine Bücher, in denen er die Existenz von Gaskammern im Nationalsozialismus anzweifelt, in der rechtsradikalen Szene ein gewisses Standing erreichte. Kreissl meint dazu, dass Alge in diesem Moment nicht bewusst gewesen wäre, wer Fröhlich sei—er wollte sich angeblich nur für die Meinungsfreiheit an sich einsetzen. „Und ich brauche mich davon nicht zu distanzieren, weil alles, was ich schreibe und sage und meine Schwingungen, das Gegenteil besagen. Darum ist es nicht nötig, extra zu sagen, dass ich nicht rechtsradikal bin”, so Kreissl. Eine Anzeige gegen Kreissl wegen Wiederbetätigung nach dem Verbotsgesetz durch die Verleugnung des Holocausts liegt derzeit beim Verfassungsschutz. Auch seine Wohnung wurde durchsucht: „Die wollten sehen, ob ich hier Hitlerschreine habe oder so”, sagt Kreissl.

Grundsätzlich ist Kreissls Philosophie von dem Prinzip geprägt, nichts zu glauben, was er nicht selbst gesehen hätte. In einem Video erklärt Kreissl außerdem, dass der Holocaust nie aufgehört habe. Ich frage ihn, wie er das meint. „Es gibt zwei Bedeutungen des Begriffs. Eine ist die Vernichtung der Juden im Zweiten Weltkrieg und die andere ist Vernichtung generell. Und da muss man sagen: Ja es werden immer noch Menschen vernichtet, der Holocaust ist noch nicht beendet. Zu der Vernichtung der Juden muss ich aber sagen … ja, keine Ahnung”, meint er und lacht.

„Wie keine Ahnung?”, frag ich ihn.

„Ich war nicht dabei, so wie du auch nicht dabei warst. Ich habe nur Bilder und Videos gesehen. Darum habe ich dazu keine Meinung, außer dass ich nicht dabei war.”

Ich versuche es noch mal anders: „Aber dass Juden von den Nationalsozialisten in Österreich und Deutschland massenhaft umgebracht wurden, glaubst du schon?”

„Hm, ich habe versucht, mich zu informieren. Die New York Times schrieb bereits vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs von einem europäischen Holocaust. Komisch, oder? Ich weiß es nicht. Der Freeman möchte es wissen”, so Kreissl.

„Was soll das heißen?” frage ich ihn erneut.

„Dass es komisch ist und ich nicht dabei war, also glaube ich es nicht.” Er fragt nach, ob ich ihn verstehen würde und holt zur Rechtfertigung gleich noch weiter aus: „Ich glaube es nicht ist nicht gleichbedeutend mit Leugnen. Der Zionismus verarscht die ganze Welt und das muss endlich aufhören. Da ist Obama genauso beteiligt wie die UNO, der Faymann, die Bilderberger, die Rothschilds und die Rockefellers.” Als er diese gängigen Verschwörungsthesen vor sich hin betet, erhebt sich seine Stimme zum ersten Mal merklich—gleich darauf erwähnt aber auch, dass jeder Jude, der gestorben ist, einer zu viel sei.

Im Gespräch betont er immer wieder, dass er selbst der liebevollste Mensch sei, den er kenne und allein schon wegen seiner Überzeugung nicht rechtsradikal sein könne. Nach der Vermischung von Zionismus mit Obama und dem Diktat der Juden und Bilderberger ist diese Selbstbeschreibung für mich der zweite Anlass innerhalb sehr kurzer Zeit, der mich sehr skeptisch werden lässt; ich für meinen Teil habe sehr selten gütige, liebevolle Menschen erlebt, die von sich selbst als besonders gütige, liebevolle Menschen gesprochen haben.

Gegen Kritik und Skepsis scheint der Guru sich aber immunisiert zu haben. Mir erklärt er, dass ihm im Leben besonders wichtig ist, alles von sich fernzuhalten, was nicht unmittelbar mit ihm zu tun habe. Dinge wie Gedenktage, Nachrichtenmeldungen, aber auch Pädophilie gehören für ihn in eine Kiste gesperrt. „Das alles verschmutzt meine Gedanken und ich finde es schade, dass es mir jemand erzählt hat. Ich wäre vielleicht selbst nie auf die Idee gekommen”, sagt Kreissl. Soweit, so eskapistisch. Schwieriger wird es schon, wenn er erklärt, dass man erst durch das Verbreiten von Nachrichten ihre Ursache heraufbeschwört: „Wenn wir Kindern nicht dauernd von schlimmen Dingen erzählen würden, würde es vielleicht gar nicht dazu kommen.” Ob die Opfer von sexueller Gewalt zustimmen würden, dass ihre Erfahrungen besser verschwiegen werden sollten, darf man zumindest in Frage stellen.

„Wir haben uns in den letzten 13.000 Jahren auf alle erdenklichen Arten ermordet—aber das hört jetzt auf, davon bin ich überzeugt”, erklärt er weiter. Immerhin würde jetzt das Wassermann-Zeitalter beginnen, sich in den nächsten 13.000 Jahren dadurch unser drittes Auge öffnen und wir in das Paradies kommen. Warum? „Weil in den nächsten 13.000 Jahren ein ganz anderes Licht scheint als bisher. Das eine war dunkle Nacht und das andere wird heller Tag. Wir sind gerade im Morgen dieses neuen Tages”, sagt Kreissl. Er beginnt „The Age of Aquarius” zu singen und meint: „Nur dass jetzt nicht dawning ist, sondern der morning.”

Eine wesentliche Hürde sieht er, ganz Freeman, natürlich noch in den heute bestehenden Institutionen. „Würde man die UNO heute abdrehen, dann gäbe es morgen keinen Nah-Ost-Konflikt und keine Flüchtlinge mehr. Alle Probleme wären gelöst.” In diesem kommenden Paradis soll es aber ohnehin weder eine österreichische Regierung geben, noch irgendein anderes Herrschaftssystem. Für Kreissl bedeutet das auch: keine Religionen und keine Probleme. Die Freeman-Bewegung sieht er natürlich außerhalb all dieser Bereiche.

So sehr er sich durch Informationsverweigerung aber selbst von Kritik abschottet, so großzügig geht er anderen gegenüber damit um. Was die österreichische Regierung angeht, hat Kreissl überraschend viele Übereinstimmungen mit mindestens einer regulären Systempartei, der FPÖ: „Das sind verantwortungslose Kasperl, die uns grob fahrlässig in den Abgrund steuern und das Volk schaut dabei mit offenen Augen zu”, sagt er. „Faymann ist der Chef einer Schlepperorganisation, ja die ganze Regierung ist eine riesige Schlepperorganisation. 100.000 Menschen haben sie durch Österreich geschleppt. Die verschachern Menschen und betreiben Menschenhandel mit Erdoğan”. In einem seiner Vorträge verlangte Kreissl darum auch die Verhaftung der Regierung und forderte die Angelobung von Heinz-Christian Strache als neuen Kanzler.

Der einzige Politiker, auf den er wirklich etwas hält, ist allerdings ein anderer: „Der Frank Stronach hätte es nicht Not, sich den Dreck unserer Politik an den Kopf werfen zu lassen und tut es trotzdem. Den schätze ich sehr”, sagt Kreissl. Deshalb habe er 2013 auch einen Wahlkampfsong für die Nationalratswahlen namens „Otto Normalverbraucher” für Stronach geschrieben und gesungen. Kreissl habe auch neben dem Budget für den Song und zahlreichen Auftritte Geld von Stronach erhalten, wie er uns gegenüber sagt: „Was die Freihheitsbewegung in Österreich betrifft, hat der alte Mann echt einiges möglich gemacht. Er hat uns 60.000 Euro für die Installierung der Website und die Auto-Sticker und so bezahlt.” Das Presseteam vom Team Stronach sieht das auf Anfrage von VICE anders: „Joe Kreissl hat für das Team Stronach im Zuge des Wahlkampfs 2013 Auftritte absolviert, wofür er entsprechend bezahlt wurde, aber OPPT und Freeman Austria haben niemals Geld von uns erhalten. Grundsätzlich schätzen wir Quer- und Freidenker, aber wir leben in einem Rechtsstaat und dessen Gesetze sind einzuhalten.”

Wenn es ums Geld geht, treffen sich jedenfalls die Freeman und die Systemler. Auch aussteigen kostet Geld. Gudrun Hanreich und ihr Partner wollten beispielsweise vor drei Wochen einen Scheck über 15.000 Euro von der WeRe Bank auf der Sparkasse in Linz einlösen. Gegen diese Bank liegt aber eine Warnung der Finanzmarktaufsicht, kurz FMA, vor. Die Polizei nahm das Paar inklusive ihres Schecks daher wegen des Verdachts auf Betrug mit. „Peter of England hat diese Bank initiiert und sie basiert auf Naturrecht”, rechtfertigt Kreissl. In seinen Augen ist das Geldinstitut eine „sehr ethische Bank”.

Die 15.000 Euro, die die beiden einlösen wollten, stammen dabei von Investoren aus England. „Sie haben uns das Geld gespendet”, so Hanreich. Dass sie diese Summe nicht ausbezahlt bekommen haben und ihnen niemand erklärt habe, warum, finden sie eine Frechheit. Auf Nachfrage von VICE meint die Sparkasse Oberösterreich dazu nur: „Zu Kundenbeziehungen geben wir generell keine Auskunft. Was die WeRe Bank betrifft, ist die Einlösung von Schecks in Österreich als ein konzessionspflichtiges Bankgeschäft eingestuft. Das heißt, die WeRe Bank ist nicht berechtigt, konzessionspflichtige Bankgeschäfte—wie die gewerbliche Ausgabe und Verwaltung von Zahlungsmitteln wie Kreditkarten, Bankschecks und Reiseschecks—zu erbringen.”

Auch Kreissl habe einen Scheck der WeRe Bank über 10.000 Euro geschenkt bekommen und meint: „In Tschechien weiß ich von jemanden, der den Scheck einlösen konnte und mit Bargeld heimging.” Geht es nach dem Freeman, würden sich die österreichischen Banken ganz bewusst gegen die WeRe Bank wehren, da sie Angst davor hätten, dass ihr System langsam zusammenbrechen könnte.

Screenshot via Facebook via Peter Of England. Peter of England steht hinter der WeRe Bank.

Generell gibt es neben dem Geld natürlich auch Bereiche, wo sich das Freeman-Dasein mit dem System kreuzt. Kreissl hat beispielsweise einen Handy-Vertrag, besitzt ein Auto, benutzt Straßen und bezahlt Mehrwertsteuer, wenn er sich etwas kauft. Auch im Schloss würden sie Wasser und Kanalgebühr bezahlen, wie der Bürgermeister Josef Six von Vöcklamarkt erzählt. Von einem vollständigen Austritt aus dem System kann daher eigentlich nicht die Rede sein. „Man hat oft den Eindruck, dass dieser vermeintliche Austritt aus dem System immer mit einem Sicherheitsnetz verbunden ist, weil einen das System letztendlich doch auffängt”, erklärt Sektenexperte Winter dazu. „Wenn ein Freeman beispielsweise einen Unfall hat oder krank wird, dann wird er behandelt und er wird dieses Service wohl auch in Anspruch nehmen. Das wirkt eigentlich nur wie ein halber Ausstieg.”

Andere Bewegungen wie OPPT, die Reichsbürger oder auch die Souveräne begrüßt Kreissl grundsätzlich. Für ihn haben sie aber den Gedanken des Freiseins jedoch noch nicht zu Ende gedacht. Im Gegensatz zu den genannten Bewegungen wolle er sich auch nicht mit den Behörden anlegen, sondern einfach nur seine Ruhe haben. „Ich bin der erste in Österreich, der alles ganz durchgedacht hat”, so Kreissl.

Angesichts des Finanzierungs- und Erhaltungsmodells seiner Freeman-Kommune bestehen daran zumindest Zweifel. Trotzdem ist es auch für Franz Winter von der Bundesstelle für Sektenfragen wichtig, die Bewegung und ihr Gedankengut ernst zu nehmen und sie nicht von vornherein mit dem Prädikat „rechtsradikal” abzutun. „Es gibt Gründe, warum ihm Leute überhaupt zuhören und zu seinen Vorträgen kommen”, meint Winter. „Der große Vorteil von Verschwörungstheorien ist, dass sie eine einfache Lösung auf komplexe Fragen bieten. Ist man einmal auf eine Verschwörungstheorie eingestiegen, kommt es zu einer Reduktion der Komplexität, die nun einmal die Wirklichkeit ausmacht.” Kreissl hat auf alles eine Antwort: Flüchtlingskrise und Syrienkrieg? Einfach die UNO abschaffen. Unfähigkeit der Politiker und Steuern? Die Regierung verhaften. Finanzkrise? Banken und Finanzwesen abschaffen. Pädophilie? Nicht darüber sprechen. Rassismus—ebenso. Kurz: Fuck the system, ab jetzt lieb zueinander sein und dem Paradies entgegensehen. Der Grundgedanke, der nicht nur im Namen der Bewegung steckt, ist Freiheitsliebe und das tiefe Bedürfnis, die Welt zu einem besseren Ort machen zu wollen. Eigentlich ein schöner Gedanke.

Mit dieser Philosophie hat Kreissl der Freeman-Bewegung auch in Österreich eine neue Zielgruppe eröffnet. Sie ist ländlich, steht für Gleichberechtigung und signalisiert Anpacken und Veränderung. Außerdem schließt sie an den derzeitigen Konsens quer durch die österreichische Bevölkerung an, dass es so „nicht mehr so weitergehen kann”. Auch nach der ORF-Sendung Am Schauplatz zum Thema Freeman habe es bei der Bundesstelle für Sektenfragen immer wieder dahingehend das Feedback gegeben, dass zwar Gesetzesbrüche nicht in Ordnung seien, aber Kreissl doch irgendwie wichtige Fragen anspreche, so Winter.

Um Fans und Jünger nicht zu verschrecken, wandert Kreissl daher auf einem schmalen Grat. Während meines Besuches im Schloss wurde der Eindruck noch verstärkt, dass Kreissl ganz genau weiß, was er tun und sagen darf und was nicht. Auch sein Umgang mit Medien wirkt nach einer kalkulierten Eigen-PR-Kampagne, genau wie seine starke Präsenz im Netz. Er provoziert gerne, philosophiert über Sprache, nutzt möglichst wirksame Reizwörter, von Rothschilds bis Zionismus, lässt grundlos „Allahu Akbar” in Gespräche einfließen, beteuert wiederholt, dass es eigentlich keine Flüchtlinge in Österreich gebe und garniert diese pseudointellektuellen Gedankenexperimente mit viel Esoterik, Astrologie und anderem Hokuspokus.

Trotz seiner Redegewandtheit und den Rechtfertigungsversuchen im rein Theoretisch-Spielerischen liegt derzeit seine Holocaustverleugnung beim Verfassungsschutz und die BAWAG hat, wie mir Kreissl auch selbst bestätigt, sein Konto aufgrund des Verdachts auf Terrorismus und Geldwäsche gesperrt. Die Oberösterreichischen Nachrichten berichten am Mittwoch außerdem, dass ein Konkursverfahren gegen Kreissl beim Landesgericht Wels eröffnet wurde; sie fordern 17.000 Euro von ihm.

Als ich während des Interviews kurz aufs WC gehe—mein Aufnahmegerät läuft währenddessen weiter—, fragt Hanreich verständnislos, warum Kreissl so lieb zu mir wäre.

„Sie erinnert mich an meine Tochter. Sie ist auch eine Liebe, nur halt noch sehr jung”, meint Kreissl.
„Sie kann es halt noch nicht glauben”, sagt Hanreich und lacht.

Zum Abschied versucht Kreissl noch mal sein Bestes, mir doch noch das System auszutreiben und gibt mir mit auf den Weg, dass mich das Rechtswesen auch noch enttäuschen werde. Wenn es soweit ist, wäre ich jederzeit willkommen in ihrem Schloss. Zum Abschied wird wieder viel umarmt und alles ist wieder Liebe (die ihnen das System offenbar nicht geben kann).

Eva auf Twitter: @immerwiederEva