Warum ich Fremdgehen hasse und es trotzdem tue

Ich bin jetzt Ende Zwanzig und hatte noch nie eine ernsthafte Langzeitbeziehung. Es ist nicht so, als hätte ich noch nie ernsthaftes Interesse an jemandem gehabt. In den meisten Fällen endeten die Geschichten nur recht schnell und halbwegs dramatisch—und nicht selten damit, dass der Mann sich einer oder mehreren anderen Frauen zugewendet hat. Das war für mich immer ein ganz klarer Dealbreaker. Wie konnte man nur etwas mit anderen Personen anfangen, wenn man bereits eine Person hat und diese doch so gerne mag? Niemals würde ich sowas machen, habe ich mir gedacht.

Sowas hat sich dann aber schon in den ersten Wochen und vor den ernsthaften Gesprächen abgespielt. Somit war das Enttäuschtsein genauso schnell vorbei wie ich das nächste Gspusi gefunden habe. (Ich weiß schon, man soll auch alleine sein können und alles, aber wenn wir uns ehrlich sind ist Schmusen dann doch deutlich besser.) Es war dann irgendwie auch egal, mit wem ich jetzt gerade was am Laufen hatte—ich mochte sie schon alle, aber gleichzeitig waren sie auch komplett austauschbar (und ich vermutlich umgekehrt genauso).

Das hört sich jetzt wahrscheinlich ein bisschen traurig an, aber ich glaube, dass das in der Essenz ein sehr weit verbreitetes Muster unserer Generation ist. Es scheint fast, als wäre vielen von uns nicht bewusst, dass es zu einer Beziehung eventuell mehr braucht, als zwei Leute, die sich zu einem Zeitpunkt heiß finden und aufeinander „einigen” können—inklusive der ungefähren Vorstellung, dass das mit dem Verlieben schon irgendwie gehen wird.

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Ich habe meine Auserwählten meistens über gemeinsame Bekannte kennengelernt, aber viele meiner Freundinnen und Freunde gehen auf Facebook oder Instagram auf Partnersuche (natürlich nicht auf Tinder—man hat ja ernsthafte Absichten). Man wählt eine Person aus und kann sich schon mal die zukünftige Beziehung im Kopf ausmalen, bevor man die Person überhaupt persönlich kennengelernt hat.

Auswahlkriterien wären nach diesem Prinzip somit Aussehen, Freundeskreis und sozialer Status (Followers, „Gefällt mir”-Angaben, allgemeiner Bekanntheitsstatus und so weiter). Dank Social-Media lässt sich auch schnell erfahren, wo man ihn/sie antreffen kann: „Hey, ich glaub, wir kennen uns noch nicht … (aber ich weiß wo du maturiert hast, wie der Hund deiner Mutter heißt und dass du vor 3 Jahren eine komische Frisur hattest).” Von Facebook aus werden immerhin schnell Pläne geschmiedet, auf welcher Party oder Ausstellung man ihn oder sie stalken und im Idealfall kennenlernen könnte—womit man schnell wieder im echten Leben ist.

Dass es eigentlich auf den Charakter und die zwischenmenschliche Chemie ankommen sollte, lässt man da oft außer Acht. Aber gleichzeitig fällt es auf diese Art auch leichter, schnell mal wieder drauf zu scheißen und die Beziehungszelte abzubauen. Was für die einen mangelnder Ernst und eine Garantie für kurze Beziehungsdauer ist, war für mich vor allem eine Möglichkeit, meine Ungebundenheit auszuleben. Vor allem, wenn der/die Nächste ohnehin schon am nächsten sozialmedialen Eck wartet und man immer auch was verpassen könnte.

Trotz der ganzen Schnelllebigkeit und Austauschbarkeit dachte ich aber immer auch, dass es nur eine Frage der Zeit (und des Schicksals) wäre, bis ich doch auf den Richtigen treffe.

Letztes Jahr wäre es dann auch fast soweit gewesen. Alles lief für ein paar Monate super (in meinem Universum eine gefühlte Ewigkeit). Um zukünftigem Drama vorzubeugen und weil ich auch echt ein gutes Gefühl hatte, hab ich ihn schon nach einem Monat gefragt, wie das jetzt mit uns so ist.

Das beiderseitige Bekenntnis: Wir wollen nichts mit anderen haben und sind sozusagen „exclusive”—also in einer festen Beziehung, was für mich nicht nur die Erfüllung eines romantischen Traums war, sondern auch der Garant dafür, dass absolut nichts mehr schiefgehen könnte. Das dürfte euch eine ungefähre Vorstellung davon geben, wie kitschig und beziehungsunerfahren ich tatsächlich bin.

Meine Logik: Solange ich fremdgehen will, kann es wohl nicht der Richtige sein.

Ein paar Monate voller Verliebtheit später sind schließlich doch erste Probleme aufgetreten. Ihn hat das alles etwas gestresst und ich habe mich vernachlässigt gefühlt. Als er mich dann zum wiederholten Mal versetzte, hat mein betrunkenes Ich eine interessante Entscheidung getroffen—es hat mich nämlich in die Arme des erstbesten, schmusewilligen Mannes getrieben.

Natürlich konnte ich meine verquere Doppelmoral damals vor mir selbst auch total toll argumentieren. Ganz genau kann ich es mittlerweile nicht mehr rekonstruieren, aber es ging in diese Richtung: „Naja, ihn interessiert es anscheinend ohnehin nicht mehr, sonst hätten wir schließlich keine Probleme sondern nur perfekte Momente miteinander, also ist jede Ausflucht in die Arme jedes x-beliebigen anderen Mannes gerechtfertigt.” Oder, einfacher gesagt: „Solange ich noch fremdgehen will, kann es wohl nicht der Richtige sein.”

Das Ganze wiederholte sich in ähnlicher Form noch zwei weitere Male in 5 Monaten, bevor die Beziehung beendete wurde—durch meine Initiative. Mein damaliger Freund hatte, nebenbei bemerkt, kein einziges Mal was mit einer anderen.

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Rückblickend sehe ich ein, dass ich mir da ein schönes Paralleluniversum aufgebaut habe, in dem die Regeln immer zu meinen Gunsten ausgelegt und verbogen waren. Nüchtern betrachtet führt kein Weg daran vorbei, dass ich diesen Mann, in den ich eigentlich Hals über Kopf verliebt war, mehre Male betrogen habe—und das als Moralapostel der ersten Stunde.

Natürlich könnte man jetzt sagen, dass er wohl nicht der Richtige für mich war. Man könnte quasi vom Ende her argumentieren und sich einreden, dass es in der perfekten Beziehung wohl gar nicht erst zu so etwas gekommen wäre. Aber rechtfertigt das irgendwas?

Ich glaube eher, ich habe mich einfach schon so dermaßen an dieses Austausch-Prinzip gewöhnt, dass ich immer wieder alles dafür tue, um das alte Muster zu wiederholen um meine eigenen Ängste zu bestätigen.

Wenn man das Ganze nämlich zusammenfasst, wäre die Logik dahinter in etwa so: „Ich liebe dich und bin treu, aber sobald das kleinste Problem entsteht, stürz ich mich auf den Nächsten, bis ich irgendwann den perfekten Traumprinzen finde und endlich für immer glücklich bin—was ich dann bestimmt daran merke, dass ich treu bin und solange ich das nicht sein kann, wird es wohl auch nicht der Traumprinz gewesen sein.” Überflüssig zu sagen, dass das natürlich nicht die Anleitung für die perfekte Beziehung, sondern zum endlosen Scheitern ist.

Das sage ich zumindest jetzt. Ob ich mich daran bei nächsten Mal noch erinnern kann—oder will—, sei dahingestellt. Ich hoffe nur, ich verpasse durch diese Ungeduld nicht unabsichtlich meinen Traumprinzen, an den ich immer noch glaube. Denn es gibt nichts Schlimmeres, als sein eigenes Unglück wie eine selbsterfüllende Prophezeiung heraufzubeschwören.