Hast du als angehender Erwachsener jemals die Beherrschung verloren? Eher selten, oder? Und im Nachhinein war es dir meistens peinlich. Als Kleinkind, klar, da rastest du ständig komplett aus, locker fünf-, sechsmal am Tag. Im Grundschulalter brennen dir immerhin etwa einmal die Woche die Sicherungen durch und du wirst so sauer, dass du anfängst zu heulen. Stampfen, Brüllen und literweise Tränen sind charakteristisch für diese Phase. Manchmal schmeißt du auch wutentbrannt schluchzend eine Schüssel Rote Grütze auf den Teppichboden im Wohnzimmer. Als Teenager knallst du vor allem Türen. Wer nicht?
Aber als Erwachsener übst du dich in Zurückhaltung. Einmal im Jahr geht es vielleicht noch mit dir durch. Wenn’s hochkommt. Oft sind es totale Kleinigkeiten, an denen sich die aufgestaute Wut entlädt. Jemand vor dir auf dem Bürgersteig geht zu langsam, und nach 20 Metern drängst du dich “Wir sind hier nicht bei der Schneckenpost” keifend vorbei. Oder jemand überholt dich rechts auf der Autobahn und du folgst dem Auto hartnäckige 387 Kilometer, bis es endlich abfährt. Verbissen, aber mit dem nötigen Sicherheitsabstand natürlich. Du bist ja nicht wahnsinnig. Generell halten deine Zorn-Phasen aber nicht lange an. Mit einer Tasse Erdbeer-Rooibos-Tee oder ein paar geübten Handgriffen zwischen den eigenen Beinen löst sich die Wut schnell wieder in Wohlgefallen auf.
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Manchmal gibt es allerdings Wutanfälle, die so elegant, so eindrucksvoll und so kreativ sind, dass du dir die Frage stellst, warum du nicht öfter mal etwas Dampf ablässt. Was ich eigentlich sagen möchte: Schau dir an, wie dieser Typ mit einem Minibagger im Foyer eines Travelodge-Hotels wütet:
Twitter-User @joefblue, offenbar sein Kollege, schreibt in etwa Folgendes: “Ich habe auch dort gearbeitet und hätte eigentlich am Freitag vor Weihnachten bezahlt werden sollen. Ich hätte auch komplett pleite sein können, das wussten die ja nicht. Bis zur zweiten Januarwoche habe ich mein Geld nicht bekommen. Nur eine Frage der Zeit, bis so etwas passiert.”
Was genau war da passiert? Die BBC berichtet, dass “ein wütender Bauarbeiter” am Montag vergangener Woche mit einem Minibagger den Eingangsbereich eines Travelodge-Hotels zerstörte, nachdem er am Freitag davor (also drei Tage später, nicht drei Wochen, wie @joefblue von sich schreibt) seinen Wochenlohn von 600 Britischen Pfund nicht erhalten hatte. In Großbritannien ist Freitag Zahltag. Ein Augenzeuge, Deckenmonteur Samuel White, schilderte das Geschehen folgendermaßen: “Die Übergabe war heute. Alles war fertig, wir hatten die letzte Deckenplatte eingelegt, aufgeräumt und dafür gesorgt, dass alles perfekt ist. Dann hat sich irgendein Idiot in einem Minibagger dazu entschieden, einfach mitten ins Gebäude zu fahren.” Und weiter: “Der Bauleiter rannte rum wie ein kopfloses Huhn. Er war überhaupt nicht glücklich.” Irgendwie nachvollziehbar.
Einen Verletzten gab es bei der Aktion übrigens auch. Laut BBC musste ein Mann von Sanitätern wegen einer Augenreizung behandelt werden, die er durch die Dieseldämpfe erlitten hat, als er wahrscheinlich versuchte, den Minibaggerfahrer zum Aufhören zu bewegen. Ganz schön erbärmlich, wenn ich ehrlich bin.
Trotz allem habe ich Fragen, fünf um genau zu sein:
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Geht dem Baggerfahrer wirklich alles am Arsch vorbei, wie der Mann hinter der Kamera behauptet?
Natürlich ist die Zerstörung des Eingangsbereichs eines Travelodge-Hotels mit einem Minibagger an und für sich von poetischer Schönheit. Die britische Budget-Hotelkette, das sollte man hier wohl erwähnen, steht für ein gewisses Unwohlfühl-Ambiente: freudlose Ziegelfassaden, lila-blaue Teppiche, muffiger Staubsaugergeruch, juckreizinduzierende Bettwäsche und ausgedörrte Croissants zum Frühstück.
Was das Video aber letztendlich zu einem wahren Kunstwerk macht, ist der Kommentar von der Person hinter der Kamera: Da wäre das “FUCK OFF!”, hier etwa im Sinne eines “LECK MICH!” zu verstehen, beim ersten Aufeinandertreffen von Bagger und Eingangstür in Sekunde zwölf; oder die Behauptung “Das ist ein kranker Typ! Das ist ein kranker Typ, Alter!” in Sekunde 38, während der Typ, sichtlich krank, mit einem Minibagger die Lobby des Billighotels zerlegt. Doch dann ist da noch der immer wiederkehrende Ausruf “He’s not arsed”, was sich in etwa mit “Es geht ihm am Arsch vorbei” übersetzen lässt. Und an dieser Stelle muss ich widersprechen. Für mich scheint unserem Minibaggerfahrer die Sache so gar nicht am Arsch vorbeizugehen.
Kurze Frage: Du hast die Woche hart geackert, aber dein Arbeitgeber kriegt es nicht geschissen, dir die Kohle zu überweisen. Du bist komplett blank und es ist nicht das erste Mal, dass du das erlebst: Der besagte Arbeitgeber macht das ständig mit dir. Es ist Freitagmorgen, Reminder: Freitag ist Zahltag in Großbritannien, du hockst auf deiner Couch und checkst deinen Kontostand und stellst fest, dass das Gehalt noch nicht da ist. Jetzt geh kurz in dich: So wirklich geht dir das nicht am Arsch vorbei, oder? Es fuchst dich sogar mittel bis schwer. Welches dieser “am Arsch vorbei”-Verhalten wirst du an den Tag legen?
1. “Leck mich” sagen und dein Handy einmal quer durch den Raum auf einen weichen Gegenstand schleudern, das Bett oder eine andere Couch zum Beispiel.
2. Eine WhatsApp-Nachricht an die Leute von der Arbeit schicken, ob sie auch nicht bezahlt wurden.
3. Einer Gewerkschaft beitreten.
4. Den Eingangsbereich eines Hotels mit einem Minibagger massakrieren.
Wenn du “4. Den Eingangsbereich eines Hotels mit einem Bagger massakrieren” gewählt hast, dann hast du leider versagt. Viel mehr nicht Am-Arsch-vorbeigehen geht gar nicht. Ich würde sogar sagen, dass unser Held der Arbeit während seiner Minibagger-Amokfahrt “Britain’s Most Arsed Man” war. Immer wieder zu sagen “es geht ihm am Arsch vorbei” ist nicht weniger als eine dreiste Lüge.
Das ist schon ein sehr britischer Ausdruck von Wut, ist es nicht?
Es gibt nur wenige Länder, in denen ich mir diese bestimmte Form des Dampfablassens vorstellen kann, und sie befinden sich fast alle im Vereinigten Königreich – in den USA hätte nach 15 Sekunden jemand geschossen, in Deutschland … ja, Deutschland halt. In Frankreich gibt es durchaus Potenzial, auch wenn dort eher zum Gabelstapler oder der kreativen Kran-brennendes-Auto-Kombination gegriffen wird. Regionale Besonderheiten halt.
Aber selbst in Großbritannien sehe ich nicht alle Billighotels durch Minibagger bedroht. Hier in London sind wir alle zu verweichlicht, verängstigt und beschäftigt. Aber je weiter nördlich man kommt, ab Northampton, spätestens Birmingham, desto mehr verändert sich die Luft. Sie wird eine ganze Ecke grauer und dicker. Und dort oben ist es auf eine verdrehte Art nur logisch, sich einen Minibagger zu besorgen und ihn wiederholt in ein Billighotel zu rammen. Und genau dafür bin ich gerne Brite.
Wie viel Geld muss man dir vorenthalten, bis du anfängst, ein Billighotel mit einem Bagger zu zerlegen?
Eins vorweg: Travelodge hätte dem Mann einfach seinen Lohn zahlen sollen. Es ist absolut gerechtfertigt, den Eingangsbereich eines Billighotels mit einem Minibagger zu verwüsten, wenn dir die Firma für getane Arbeit Geld schuldet. In Großbritannien gibt es etwa 560 Travelodge-Hotels und 2015 machte das Unternehme einen Gewinn von 66,2 Millionen Britischen Pfund, umgerechnet sehr vielen Euro: Es kann einfach nicht sein, dass sie jemandem nicht den zustehenden Lohn zahlen. Firmen sollten ihre vermeintlichen Bargeldbestandsprobleme niemals auf Arbeiter abwälzen dürfen, die Lebensmittel kaufen und ihre Miete zahlen müssen.
Es geht hier um 600 Britische Pfund. Und dieser Betrag war anscheinend nur ein Wochenende überfällig. Jetzt frage ich mich natürlich, wie viel Geld man mir schulden muss, bevor ich in den Minibagger steige? Sind 600 Britische Pfund zu wenig? Nein: 600 Britische Pfund, 689 Euro, sind kein Kleckerbetrag und sollten auch nicht als solcher behandelt werden. Würdest du trotzdem noch eine Woche abwarten? Bräuchte es schon 1.200 Britische Pfund oder 2.400, bevor du mit dem Minibagger bei der Arbeit aufkreuzt? Ich würde bestimmt bis 2.400 warten, weil ich ein verdammter Feigling bin. Aber Firmen sollten für wiederholt ausstehende Lohnzahlungen mit Minibaggern massakriert werden. Sie sollten Angst vor uns in unseren Minibaggern haben! Einen Anruf kannst du ignorieren, eine E-Mail kannst du auch eine Woche später beantworten, aber zu einem verdammten Minibagger kannst du nicht Nein sagen! Zu einem verdammten Minibagger in deinem Foyer!
Der Bagger-Typ sollte eine Revolution starten. Die Firma haut dich übers Ohr? Minibagger! Ganz einfach. Wir alle tauschen unsere endlichen Energiereserven und wertvolle Stunden unseres Lebens gegen die Minimalbeträge, die Firmen uns zu zahlen bereit sind. Wir sollten keine Angst haben. Die Unternehmen sollten Angst vor uns haben und unserem Arsenal an Baustellenfahrzeugen. Erhebt euch, Genossinnen und Genossen! Lasst eure Minibagger warmlaufen!
Musste er den Bagger extra mieten?
So rein logistisch gesehen wüsste ich jetzt gar nicht, wo ich einen Minibagger herbekomme. Vielleicht gibt es irgendwo in irgendeinem entlegenen Industriegebiet eine Firma für Baustellenfahrzeuge, bei der man sich einen Minibagger leihen kann. Aber könnte ich einen Minibagger bedienen? Unwahrscheinlich. Ich habe keinen Führerschein und saß auch noch nie am Steuer eines Minibaggers. Rein rechtlich dürften sie mir also wahrscheinlich keinen Minibagger geben. Wahrscheinlich muss man für so einen Minibagger auch eine Kaution hinterlegen. Was ist, wenn du den Minibagger zurückgibst, und überall hängen noch die Stückchen und Brösel der Travelodge-Rezeption? Was ist, wenn der Minibagger vom wiederholten Rammen des Travelodge-Eingangs Kratzer und Dellen bekommt? Was ist, wenn der Minibagger von der Polizei beschlagnahmt wird? Bei allem Respekt für die Minibagger-Aktion, ich hätte ziemlichen Schiss, dass die Sache weitaus teurer wird, als der ausstehende Lohn, den ich dadurch vielleicht bekomme. Zieht da die Vollkasko-Versicherung?
Gibt es eine Moral der Geschichte des Mannes, der mit einem Minibagger ein Hotelfoyer zu Kleinholz verarbeitete?
Bezahl deine Arbeiter! Abgesehen davon gibt es aber auch ein paar “Dinge” zu lernen: Wenn du jemals ein Travelodge-Hotel mit einem Minibagger attackieren solltest, stell sicher, dass jemand da ist, der es filmt. Wenn du jemals jemanden aufhalten willst, der ein Travelodge-Hotel mit einem Minibagger massakriert, sei nicht allergisch gegen Dieseldämpfe. Wenn du aktuell keinen Zugang zu einem Minibagger hast, ändere das, damit du den nächsten Arbeitgeber, der dich verarscht, schön eine minibaggern kannst. Aber vor allem: Hab keine Angst, du selbst zu sein.
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