Ein Mann in Hundemaske liegt auf seinem Bett und zockt
Illustration: POL ANGLADA
Menschen

Sexsüchtige Menschen erzählen, was der Corona-Lockdown mit ihnen macht

"Ich versuche, mich zu zügeln. Sonst würde ich wohl den ganzen Tag lang meinen Schwanz in der Hand haben und mir Dildos in den Arsch schieben."
Thibault Hollebecq
Paris, FR

Wenn man seine Wohnung nicht verlassen darf, weil zum Beispiel gerade ein gefährliches Virus auf der ganzen Welt wütet, verhält man sich anders als normal. Viele Leute etwa haben in einer solch außergewöhnlichen Situation viel mehr Bock auf Sex oder legen öfter Hand an. Mit einer wirklichen Sexsucht hat dieser verstärkte Sextrieb jedoch nichts zu tun. Gott sei Dank, denn eine solche Sucht kann in der Psyche und im Privatleben der betroffenen Personen großen Schaden anrichten. Laut dem Psychiater Laurent Karila können aber vor allem Langeweile, Stress und Versagensängste das zwanghafte Sexualverhalten auslösen – alles Dinge, die man während des derzeitigen Lockdowns häufig durchlebt.

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Aus diesem Grund haben wir vier sexsüchtige Menschen aus der queeren Community gefragt, wie sich das Kontaktverbot und die Ausgangsbeschränkungen auf ihren Alltag auswirken. Ihre Namen haben wir dabei geändert, um ihre Privatsphäre zu schützen.


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Franck, 49, Immobilienmakler

VICE: Wie viel Sex hattest du vor Corona?
Franck: Je nach Arbeitslage traf ich mich pro Woche mit 8 bis 15 Typen. Manchmal sogar mit mehreren gleichzeitig. Außerdem masturbierte ich jeden Tag. Geschützt habe ich mich dabei fast nie, ich nehme ja die PrEP, die verhindert, dass ich mich mit HIV anstecke.

Wie kommst du in der Selbstisolation klar?
Ich versuche, mich zu zügeln. Sonst würde ich wohl den ganzen Tag lang meinen Schwanz in der Hand haben und mir Dildos in den Arsch schieben. In der ersten Woche des Lockdowns hatte ich richtig viel Lust auf Sex, ich masturbierte wie verrückt. Nach zwei Wochen habe ich mich ein wenig beruhigt. Dennoch machen mir meine Impulse das Leben schwer. Wenn mir beim Einkaufen ein heißer Typ entgegenkommt, starre ich ihn an und würde ihm gerne näher kommen. Dabei weiß ich doch, dass wir Abstand halten müssen.

Wie lange hältst du die derzeitige Situation noch aus?
Zwei, vielleicht drei Monate. Aber für den ersten Sex würde ich alle möglichen Schutzmaßnahmen treffen.

Jonathan, 37, Restaurantbesitzer

VICE: Wie sah dein Sexleben vor Corona aus?
Jonathan: Ich bin seit letztem August in einer Beziehung. Leider hatten meine Partner und ich am Anfang nicht so oft Sex, weil ich mir zu der Zeit teilweise noch wie besessen einen runterholte – zwei bis sieben Stunden am Tag. Manchmal blutete sogar mein Schwanz. Ich redete mir immer ein, dass das jetzt das letzte Mal sei. Mein Partner und einige Freunde wussten zwar Bescheid, aber ich fühlte mich dennoch missverstanden.

Schaust du jetzt während der Corona-Krise mehr Pornos?
Komischerweise nicht. Wahrscheinlich, weil jetzt mehr Zeit für mich bleibt und ich keine Angst mehr habe, in meinem Sexleben etwas zu verpassen. Ich muss keinen Schiss haben, dass ich nicht mit jemandem schlafen kann, weil ich keinen hochkriege oder weil ich in einer Beziehung bin. Ich muss mir auch keine Sorgen mehr wegen HIV machen. Ich masturbiere zwar immer noch, aber nicht mehr täglich. Es ist einfach weniger Druck da.

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Der Lockdown wirkt sich also positiv auf dich aus?
Auf jeden Fall. Mein Freund kommt alle drei Tage bei mir vorbei. Am Anfang habe ich mich ihm gegenüber noch ziemlich schlecht verhalten. Ich glaube, das liegt an meiner Unfähigkeit zu lieben. Inzwischen bin ich bei unseren Treffen aber viel präsenter und verliere mich nicht in meinen Fantasien und Selbsterniedrigung.

Theo, 24, Stylist

VICE: Beschreib uns dein Sexleben vor dem Lockdown.
Theo: Ich hatte viele Partner, oft sogar mehrere Typen gleichzeitig – ohne Schutz. Ich bin HIV-positiv, aber meine Viruslast ist so gering, dass ich niemanden anstecken kann. Ich hatte auch regelmäßig Chemsex, normalerweise nach Partys an Wochenenden, wenn keine Hemmungen mehr da waren.

Wie lebst du derzeit deinen Sexualtrieb aus?
Ich masturbiere einmal täglich, vielleicht auch zweimal, wenn mich ein versauter Instagram-Account, eine zweideutige Nachricht oder zwei heiße Typen in einer TV-Serie anturnen.

Willst du manchmal einfach nur raus und Sex haben?
Wenn es mich überkommt, dann schaue ich einfach einen Porno. Oder ich chatte bei Grindr, bis ich kurz davor bin, mich mit dem Typen richtig zu treffen. Dann höre ich auf. Ich glaube, wenn ich mich wirklich mit jemandem zum Ficken verabreden würde, würde ich mich nach dem Orgasmus total schämen. Ich müsste dann meinen Freunden etwas vorlügen, weil ich der Versuchung nicht widerstehen konnte.

Etienne, 38, Geschäftsführer

VICE: Erzähl uns von deinem Sexleben vor dem Lockdown.
Etienne: Vor dem Lockdown hatte ich mindestens einmal täglich Geschlechtsverkehr, normalerweise sogar zweimal. Obwohl ich die PrEP nehme, bestehe ich zusätzlich auf Kondome. Ich hatte schon immer eine Scheißangst vor Geschlechtskrankheiten, zum Glück habe ich mir noch nie was eingefangen.

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Wie hat sich das Ganze auf dein Sozialleben ausgewirkt?
Beim Chemsex konnte ich mich komplett fallen lassen und stundenlang durchficken. Am Anfang machte das auch noch Spaß, aber mit der Zeit drehte sich in meinem Leben und in meinen Beziehungen alles nur noch um Sex. Mir war klar, dass ich mich damit kaputt machte, aber ich konnte nicht aufhören. Erst als ich gesehen habe, was dieser Lebensstil mit anderen jungen Männern macht, habe ich einen Schlussstrich gezogen. Meine Freunde wussten, wie intensiv mein Sexleben war, aber sie hätten niemals gedacht, wie sehr es tatsächlich mein Leben dominierte.

Fällt es dir schwer, dich an die Lockdown-Maßnahmen zu halten?
Nein, ich finde das sogar einfacher als gedacht. Ich habe keinen Stress mehr und schlafe wie ein Stein. Es tut mir sehr gut, dass der ganze Druck weg ist. Allerdings schaue ich jetzt viel mehr Pornos.

Was erhoffst du dir für die Zeit, wenn wir wieder normal rausgehen und andere Leute treffen dürfen?
Dass wir uns alle testen lassen, bevor wir wieder zusammen in die Kiste steigen. Denn dann könnten wir noch ein weiteres Gesundheitsproblem bekämpfen: Geschlechtskrankheiten.

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