Zurzeit gibt es zwei Dinge auf der Welt, die wirklich jeden Menschen beschäftigen: Corona und Joe Exotic. Tiger King, die Netflix-Doku über das Leben und die Verbrechen von Joseph Maldonado-Passage, ist jetzt schon Kult. Doch die Serie zeigt auch eine traurige Wahrheit: Laut den Machern leben in den USA mehr als doppelt so viele Tiger in Privathaushalten als weltweit in freier Wildbahn. Wir haben uns gefragt: Wie sieht das eigentlich in Deutschland aus? Dürfen Privatleute hier Großkatzen halten? Und wer macht so einen Quatsch?
Grundsätzlich verboten ist die private Haltung tatsächlich nicht. “Man kann in Deutschland jedes Tier halten, das man möchte”, sagt eine Sprecherin von der Tierschutzorganisation Pro Wildlife 2018 in einer Doku des ZDF. Aber fangen wir vorne an.
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Wie kauft man einen Tiger?
Michael Zickwolf ist Pressesprecher vom Raubtier- und Exotenasyl e.V. in Ansbach. Vier beschlagnahmte Tiger leben zurzeit in seiner Obhut. “Händler im Darknet züchten dir einen Tiger nach deinen Vorstellungen auf Anfrage”, sagt er. Und so ein Kauf sei nicht einmal strafbar. “Weder der Bestellvorgang im Internet noch die Abholung des Tieres machen dich in Deutschland zum Kriminellen”, sagt Zickwolf.
In Deutschland würden eigentlich nur Zoos untereinander Tiere tauschen, weil der Handel strengen Regeln unterliegt. Eine Weitergabe an Privathalter sei laut PETA-Fachreferentin Dr. Yvonne Würz unrealistisch, aber nicht auszuschließen. Im Ausland ist es sehr viel einfacher, an eine Großkatze zu kommen. Eine Spiegel TV-Reportage zeigt, dass zum Beispiel polnische Züchter dank lascher Gesetze Wildkatzen züchten und an unerfahrene Privatpersonen verkaufen. Der Handel ist laut dem Deutschen Tierschutzbund auch in Tschechien und Rumänien möglich.
Wird man bei der Einfuhr nach Deutschland mit dem Tier von den Behörden aufgehalten, prüfen diese, ob das Tier unter besonderen Schutzstatus des Washingtoner Artenschutzabkommens fällt. In diesem Fall müssten entsprechende Herkunftsnachweise vorgelegt und das Tier gemeldet werden. So erklärt es James Brückner vom Deutschen Tierschutzbund. Wurde ein Löwe etwa in Polen als Nachzucht geboren und großgezogen, seien diese Nachweise relativ leicht zu beschaffen. Nachzucht bedeutet, dass das Tier nicht in der Wildnis gefangen wurde, sondern bereits in einer Zucht zur Welt kam.
Und so geht es dann auch weiter: Zoo, Zirkus, Privathalter, sie alle dürfen auch in Deutschland züchten, wenn sie nur die Auflagen erfüllen. Sobald ein Tier Nachwuchs bekommt, muss nur das Gehege so erweitert werden, dass es auch für den Nachwuchs artgerecht ist.
Ein bundesweites Gesetz zur Haltung von Großkatzen gibt es nicht
Wie und von wem ein Tier schließlich gehalten werden darf, regelt das Washingtoner Abkommen nicht. Die Gesetzeslage ist schwammig. 2016 veröffentlichte der Bundestag ein Dokument, das den Sachstand zur Haltung von Gefahrtieren aufzeigt. Darin erfährt man, dass die Haltung von gefährlichen Tieren nur in 9 von 16 Bundesländern rechtlich geregelt ist, und zwar in Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen. Auch diese Regelungen unterscheiden sich von Land zu Land.
In den übrigen Bundesländern, also Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt, müssen gefährliche Tiere, die nicht unter das Washingtoner Artenschutzabkommen fallen, hingegen gar nicht erst gemeldet werden.
Nur die Anforderungen zur artgerechten Haltung von Großkatzen sind bundesweit gleich. Sie sind im Säugetiergutachten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft festgelegt. Das Problem: Es handelt sich nur um Richtlinien, die von Kommune zu Kommune unterschiedlich streng ausgelegt werden.
Geparden in Heilbronn und Löwenbabys auf einem Parkplatz in Sachsen-Anhalt
Die Stadt Heilbronn ermöglicht zum Beispiel einem Hotelbesitzer seit über 30 Jahren, Geparden zu halten. Die Anforderungen: 80 Quadratmeter Auslauf pro Tier und ein zwei Meter hoher Zaun, der die Außenwelt vor den Raubkatzen schützt. Die Tiere stammen laut eines zoologischen Gutachtens aus einer Nachzucht – die Haltung ist also erlaubt.
Das Gepardenhotel ist kein Einzelfall: In einem Zoo in Halle ist vorübergehend ein Weißer Löwe namens Mojo untergebracht, der eigentlich einem Landwirt aus Sachsen-Anhalt gehört. Das bestätigt James Brückner vom Tierschutzbund gegenüber VICE. Der Besitzer habe von den örtlichen Behörden neue Auflagen bekommen und müsse sein Gehege nun eigentlich ausbauen. Dem MDR zufolge wolle der Besitzer das Tier aber nicht mehr zurück.
In Sachsen-Anhalt wurden bereits 2015 zwei entlaufene Löwenjungen auf einem Parkplatz aufgefunden. Laut dem Tierschützer, der mit den örtlichen Behörden in Kontakt stand, gehörten auch diese Löwen dem Landwirt.
“Ein so großes Tier kannst du schlecht verstecken.”
Nur 200 Quadratmeter Auslauf und Klettermöglichkeiten, mehr brauchte der Mann nicht, um Löwen zu halten. James Brückner hält diese Vorgaben für respektlos: “Bevor das Säugetiergutachten der Regierung 2014 überarbeitet wurde, waren es lediglich 40 Quadratmeter. Doch auch der neue Richtwert ist nach wie vor viel zu niedrig.”
Manchmal haben die Tiere aber noch viel weniger Raum: In Lahr in Baden-Württemberg lebte ein Mann mit einem jungen Puma in seiner Wohnung. Entdeckt wurde das Tier, weil der Halter ihn im Park spazieren führte. Nachdem der Vorfall den Behörden gemeldet wurde, wurde der Puma an eine Tierauffangstation vermittelt. Das neue Gehege des Pumas sollte rund 200.000 Euro kosten. Die Strafe für den Besitzer war deutlich milder. Laut einem SWR-Bericht drohten ihm nur wenige hundert Euro.
Auch bei VICE: The Illegal Big Cats of Instagram
Selbst in Bundesländern wie Bayern, wo die Haltung von gefährlichen Tieren strenger geregelt wird, ist das illegale Halten dem Bayrischen Rundfunk zufolge lediglich eine Ordnungswidrigkeit. “Selbst wenn die Menschen erwischt werden, wird ihnen teilweise nur die Beschlagnahmung angedroht und Zeit gelassen, das Tier anderweitig loszuwerden”, so Michael Zickwolf.
Tierschützer und Aktivistinnen gehen von einer hohen Dunkelziffer privat gehaltener Tiere unter Artenschutz aus. Brückner weist aber darauf hin, dass es sich bei Großkatzen meist um Einzelfälle handelt: “Ein so großes Tier kannst du schlecht verstecken.” Viel problematischer sei die nicht gemeldete Haltung von gefährlichen Giftschlangen oder kleineren, aber ebenfalls streng geschützten Hybridkatzen.
Tierschützer fordern einheitliche Gesetze und härtere Online-Überwachung
Der Deutsche Tierschutzbund, Pro Wildlife und weitere Organisationen fordern daher eine bundesweit einheitliche Liste an Tieren, mit denen in Deutschland gehandelt werden darf. Gleichzeitig wollen sie, dass ein Verbot der Haltung gefährlicher und artgeschützter Tiere erlassen und ein Sachkundenachweis für die Haltung anderer Exoten verlangt wird.
Auch die Einfuhr von Tieren unter Artenschutz und der Bestellvorgang im Internet sollten laut Michael Zickwolf strafrechtlich verfolgt werden. Oft bekämen erst die Nachbarn von der Haltung mit. “Einige Bundesländer sind auf diesem Auge blind. Es wird meistens erst eingeschritten, wenn etwas passiert ist.”
Aufgrund der massiven Kritik hat das Bundeslandwirtschaftsministerium 2015 die EXOPET-Studie bei der Uni Leipzig und der Uni München in Auftrag gegeben, um die Missstände im Handel und der Privathaltung von Exoten zu untersuchen. Die Ergebnisse der Studie überschneiden sich in vielen Punkten mit den Beschwerden der Tierschützer.
Einen Extremfall wie Joe Exotic gibt es bei uns wohl nicht. Trotzdem warnt PETA-Fachreferentin Yvonne Würz, dass exotische Tiere auch in Zoos und privaten Tierparks durch Verhaltensstörungen auffielen. Und sie appelliert an deutsche Promis und Influencer, sich nicht in der Öffentlichkeit mit exotischen Tieren fotografieren zu lassen: “Besonders sogenannte Petfluencer auf Instagram verleiten junge Menschen dazu, ein exotisches Tier besitzen zu wollen. Personen des öffentlichen Lebens sollten sich klar von der Exotenhaltung distanzieren.”
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Update vom 20.04.2020, 15:10 Uhr: In einer früheren Version des Artikels haben wir PETA-Fachreferentin Dr. Yvonne Würz fälschlicherweise dahingehend zitiert, dass sich Zoos in Deutschland untereinander Tiere verkaufen. Richtig sei aber, dass Zoos Tiere untereinander tauschen. Wir haben das Zitat entsprechend angepasst.