Ich habe einen ‘Dark Souls III’-Stresstest gemacht, mit Pulsmessgerät an der Brust

Bis vor wenigen Wochen stand ich, gemeinsam mit vielen anderen, noch auf der gegenüberliegenden Seite des Dark Souls-Spektrums. Ich hätte die Frage, was an diesen Spielen von Hidetaka Miyazaki denn bitte so toll sein soll, nicht beantworten können und mit einem uninteressierten Schulterzucken reagiert.

Nicht-Fans—auch an sich bewanderte Gamer—, die diese Meisterwerke noch nicht ausprobiert haben, reagieren auf Nachfrage alle ähnlich: “Das ist doch nur voll schwer”, “Da muss man zu viel Zeit und Energie rein investieren” oder “Sieht aus wie ein 0815-RPG” lauten die Antworten.

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Ich als Genre-Neuling musste nach dem allerersten erfolgreichen Boss-Fight von Dark Souls III, der mich in etwa drei Stunden kostete, zitternd den Controller hinlegen und war von da an ein bekehrter Fan. Das Herz klopft wie wild, man fühlt sich erleichtert, fast wie nach einer ähnlich langen Maturaprüfung, und wankt alle Glieder durchschüttelnd apathisch im Kreis. Viele Foren, Kollegen und Freunde berichten von ähnlichen körperlichen Extremreaktionen. Auch bei den Vorgängerspielen—darunter Bloodborne, mit dem wir schon einen anstrengenden 24-Stunden-Marathon gemacht haben—waren die Reaktionen bereits ähnlich.

Bild vom Autor mit Pulsmessgerät (man ignoriere die abstrakte Brustbehaarung)

Deshalb habe ich mir meinen verstaubten Pulsmesser geschnappt—aus dem noch verstaubteren Fach mit meinen Sportsachen—und versucht, bei zum Zeitpunkt dieses Artikels 60 Stunden Spielzeit rauszufinden, ob mein Herz wirklich so von der Anspannung des Gameplays mitgenommen wird, wie es sich für mich und so viele andere anfühlt.

Als Spielfigur habe ich mir wieder einmal eine drahtig abgemagerte, 80-jährige Frau der niedrigsten Klasse (“Deprived”) erstellt. Sie trägt anfangs nur einen Lendenschurz, eine Keule und hat ein eher unentspanntes Gesicht—bestimmt typisch für die verstoßenen Mädels der “Sumpfregionen”.

Nach der erwähnten und bestandenen Feuerprobe in Form des ersten Boss’ Iudex Gundyr, der wie ein Dedication-Filter fungiert—”Willst du dir diesen Scheiß echt antun?!”—, beginnt das Spielerlebnis von Dark Souls III eigentlich erst richtig. Jetzt, wo die verwöhnten Casual-Gamer ausgesondert sind, eröffnen sich die wunderschön gestalteten Welten mit ihren grotesk faszinierenden Figuren.

Erzählungen von Hardcore-Fans zufolge bietet das Spiel viele Referenzen auf Vorgängerteile und Insider-Gags. Ich schleiche völlig planlos durch die ersten Ebenen und obwohl ich aufgeregt bin, bemerkte ich den auffallend niedrigen Puls von 50 BPM; praktisch ein Ruhepuls.

Foto vom Autor

Die regulären Gegner, die dir in diesem Spiel in dunklen Gassen, Verliesen und verlassenen Holzdörfern unerbittlich entgegen kreischen, sind schon ziemlich harte Brocken—umso mehr verwundert mich mein entspannter Herzschlag. Ich habe die Anzeige des Pulsmessers übrigens mit einer Kamera abgefilmt, damit ich ja keine kleinen Sprünge übersehe. Bis zum zweiten Boss-Fight mit Vordt, der fetten Ratte mit dem Frostatem, geht mein Puls jedenfalls nicht über 62.

Erste stärkere Ausschläge über 70 fallen dann beim Farron-Sumpf auf, wegen den Riesenkrabben und dem gigantischen, dämonisch verfaulten Baum, Greatwood, dem Boss mit traubenartigen Ekel-Wucherungen an den Ästen und am Stamm. Als aus seiner an ungewaschene Genitalien erinnernden “Gesichtsöffnung” ein wild um sich schlagender Arm mit Klauen wächst, erreiche ich erstmals hohe Herzschlagwerte; vergleichbar mit denen bei leichter körperlicher Arbeit.

Die epische Orchestermusik leistet hier sicherlich ihren Beitrag und der Stress-Level des Spiels ist an diesen Stellen vermutlich etwa mit dem eines Kellners vor der Rush Hour oder dem beim Radfahren mit Rückenwind vergleichbar. Diese BPM-Anstiege von um die 80 sind aber nicht permanent, sondern immer nur kurze “Spikes”, die meist schnell wieder nach unten zurücksinken.

Am höchsten schlägt die Herzmessung meistens zum Ende der tausend mal wiederholten Kämpfe hin aus—wenn du kurz davor bist, den fetten Gegner besiegt zu haben, du aber auch Gefahr läufst, dabei zu sterben. Das Dopamin-High nach dem finalen Todesstoß fördert einen solchen “Aktionspuls”, obwohl man fast bewegungslos auf der Couch rumliegt.

Wie bei einem derart schwierigen Spiel zu erwarten, ist auch das Frust-Level manchmal sehr hoch. Hier wird es interessant: Nach gefühlt unendlich vielen kläglichen Versuchen, die ersten Lords of Cinder mit meiner Halberd-Lanze zu erschlagen, will ich aufgeben und das ganze Spiel samt Konsole aus dem Fenster werfen. Da nähert sich meine Herzfrequenz bereits 90 BPM—und das während des Loading-Screens.

Ich hätte mir nicht gedacht, dass Frustration so aufreibend sein könnte und mich weit über 80 BPM hochärgert. Frust strengt den Herzmuskel offenbar stärker an als Konzentration auf die essentiellen, genauen Timings—von Angriffen, Ausweichmanövern und Schlücken aus der Estus-Heiltrankflasche.

Nein, mein Puls steigt über 103 BPM als ich alle—mehrere zehntausend—mühselig über Stunden zusammengesammelten Seelen durch einen versehentlichen Sturz in eine endlose Tiefe der unheiligen Nacht verliere. Man kann nach dem Ableben seine gesammelten Souls—quasi die Währung der Souls-Spiele—eigentlich auch wiederbekommen (ein bisschen wie bei Sonic und seinen Goldringen), außer man stirbt am Weg zu seinem grün schimmernden Binkerl der Seelen.

Und eben genau das ist mir passiert—was wie gesagt zu einem Pulshöchststand geführt hat, den normale Menschen beim Sprinten oder beim Orgasmus aufweisen. Ein Frust-Orgasmus? Ich muss jedenfalls sehr laut schreien.

Diese Werte sind ohne Gewähr und sollten keinesfalls in einen wissenschaftlichen Kontext gesetzt werden, da einige Umstände vielleicht die Resultate verfälscht haben könnten: An einem der Zock-Wochenenden hatte ich Fieber, an einem habe ich nebelig #420 nachgefeiert und am Wahlsonntag lag mein Puls aus anderen Gründen zwischen Herzstillstand und adrenalingeladenen Brechdurchfall.

Mein WhatsApp-Stalker meinte, dass er bei den Souls-Spielen “mit Sicherheit medizinisch gesehen ein paar Mal in Lebensgefahr geschwebt” sei. Ich muss aber ganz ehrlich sagen, trotz dieser vereinzelten krassen Ausschläge war Dark Souls III für mich eher beruhigend und sogar irgendwie erholsam.

Ein 80er Puls, weil ich vielleicht in der Küche was herumgeräumt habe, ist zurück auf dem Sofa und im Gameplay—auch bei den meisten Endgegnern—wieder runter auf zwischen 50 bis 60 BPM gesunken. Ich konnte neben der Metzelei und Seelensammelei auch gemütlich Serien wie Horace and Pete, Daredevil und Love komplett durchschauen.

Videospiele—auch, wenn sie Schreckmomente und angespanntes Zähneknirschen mit sich bringen—haben auf mich großteils eher einen meditativen Effekt. Gaming ist die moderne Entspannung, perfekt für Zeiten der Rekonvaleszenz—die verdammten Frustphasen natürlich ausgeklammert. Das nächste Mal wäre während des Spielens ein EEG noch interessant, um rauszufinden, mit welchem Unsinn meine Gehirnaktivität beim Gaming eigentlich vergleichbar wäre—mit Arithmetik oder doch eher Bohren im Bauchnabel.

MOTHERBOARD: So sieht übrigens deine Gehirnaktivität auf LSD aus.

Mein Kollege Raphael Schön hat es bereits an einer anderen Stelle perfekt zusammengefasst: Souls-Spiele sind objektiv betrachtet eigentlich gar nicht so schwierig. Wie bei bei früheren Plattformer-Spielen Megaman und Co. muss man einfach das Gegner- und Level-Verhalten auswendig lernen. Und wenn Dark Souls III zu schwierig wird, einfach mal eine Weile nur Seelen sammeln und upleveln—kurz gesagt: Grinden, Grinden, Grinden.

Andererseits hat Raphael auch gut reden; er war immerhin schon nach läppischen 30 Stunden durch mit dem Spiel, weil er online—sprich mit Multiplayer-Hilfe—den Schwierigkeitsgrad etwas entschärfen konnte. Der Glückliche. Ich bin alleine und verdammt!

Screenshot von Raphael

Bei Stunde 62 dümpelte ich irgendwo im zweiten Drittel von Dark Souls III herum und hatte immer noch einige dieser entstellten Bosse aus der mittelalterlichen Vorhölle vor mir. Aber ich war auch selber schuld, da ich wirklich jede Ritze dieses Spiels erkunden wollte. Auch ohne rasenden Herzschlag ist Dark Souls III eines der schönsten und überhaupt besten Spiele des Jahres für mich. Auf die Seelen, mein neues Gaming-Heroin!

Josef auf Twitter: @theZeffo