Amoklauf und Fahrerflucht—Durch die Jahre mit ‘Grand Theft Auto’

Der Teil 5 dieser brutal unmenschlichen und dabei unheimlich unterhaltsamen Videospielreihe ist endlich in den Läden und Internet-Schwarzmärkte. Die ersten Reviews schießen bereits aus dem Boden wie Schimmelpilze. Wir haben ganz zufällig mehrere Zeitkapseln unter unseren verstaubten Konsolen entdeckt und reisen zurück zu den Anfängen des Autoklauens und der Popkultur-prägenden Fahrerflucht.Grand Theft Auto

Grand Theft Auto (1997)

Werft euer Tamagotchi aus dem Fenster und hört auf, während Ally McBeal zu onanieren, denn Grand Theft Auto ist da! Dieses brandheiße Spiel für die PlayStation-Konsole von Sony hat rein gar nichts mit der gleichnamigen Ron-Howard-Komödie von 1977 zu tun, obwohl der deutsche Synchrontitel Gib Gas… und lasst euch nicht erwischen das Spielprinzip recht gut beschreibt. Die Macher von Lemmings und zelebrieren auch hier wieder menschenverachtende Lust am Destruktiven.

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„G.T.A.” ist moralisch total verkommen und ein feuchter Traum für Amokläufer. Drei fiktive Städte aus der fetzigen Vogelperspektive bieten dir ein Riesenarsenal an Waffen, haufenweise klaubarer Fahrzeuge und hunderte unschuldige Passanten. Man kann jederzeit überall hinfahren, alles machen und erschießen, wen man will–ohne die lästig-linearen Level-Unterteilungen! Das ist die Zukunft, sage ich euch. Die Game-Boy-Color-Version rockt übrigens wie Sau!

GTA 2 (1999)

Hoffen wir, dass wir Y2K überleben, denn es wäre ewig schade um den frischgebackenen GTA-Nachfolger. Im gleichgebliebenen Gameplay erfüllen wir immer noch in Soziopathen-Manier Aufträge, die selbst Tyler Durden zu radikal wären. Dafür bieten die Städte jetzt noch mehr nichtsahnendes Windschutzscheibenfutter und einen coolen neonfarbigen Hybrid-Look zwischen Retro und Futurismus (der aber nur mit Windows 98 so richtig geil zur Geltung kommt). Neu dazu kommen crazy Gangs wie die Loonies, die Rednecks und die Hare Krishnas. Ich empfehle: Rauf aufs höchste Hochhausdach und es Molotov-Cocktails regnen lassen!

Grand Theft Auto III (2001)

Ich persönlich finde es ja schon total pietätlos, so kurz nach den kataklysmischen Anschlägen des 11. Septembers ein Videospiel herauszubringen, in dem man durch „Liberty City” rennt (was eindeutig New York nachempfunden ist!) und mit Auftragsmorden und Autokarambolagen Terror in der Bevölkerung verbreitet.

Aber das Allerschlimmste ist, dass GTA III dem unsäglichen 3D-Hype erlegen ist, man denke nur an solche schändliche, kommerzorientierte Machwerke wie Earthworm Jim 3D oder Mega Man. Auch wenn alle von der nächsten Dimension begeistert sind, möchte ich lieber kopschüttelnd in die Ecke kotzen. Dieser Trend wird sich gerade bei GTA niemals durchsetzen und ich erkläre diese Spielereihe hiermit offiziell für gestorben!

Grand Theft Auto: Vice City (2002)

Und jetzt plötzlich ein 80er-Revival? Ist das euer Ernst?! Im nächsten Teil sind dann wahrscheinlich die scheiß 90er dran. Aber Spaß beiseite, Vice City ist trotz der schrecklichen Pink- und Neongelbtöne ein Hammer-Spiel. Tommy Vercetti (gesprochen von Ray Liotta) macht uns den Scarface im Hawaiihemd und sogar „Queen of Porn” Jenna Jameson ist als Gaststimme von Candy Suxxx dabei. Der aus dem Autoradio schallende Soundtrack ist mehr als genial. Endlich mal Sender ohne Uncle John from Jamaica von den Vengaboys. Gott, wie geil wäre eigentlich ein Film über einen autofahrenden Killer mit 80er-Jahre-Musik!

Grand Theft Auto: San Andreas (2004)

Wow, ich darf in diesem Spiel einen Schwarzen spielen, ist das überhaupt noch PC? Wir befinden uns an einer überstilisiert fantasierten West-Coast des GTA-Universums und der Soundtrack ist aus 1992, sprich Hip Hop en masse, wobei nichts davon gegen meine aktuelle Lieblingsnummer Yeah! von Usher, Ludacris und Lil Jon ankommt (wer Rap hasst, ist übrigens noch nicht im 3. Jahrtausend angekommen). Die Karte des Spiels ist dermaßen riesig, dass man ein Jetpack braucht, um ins Trainingsstudio seiner Wahl zu fliegen oder Latino-Banden auszurotten.

Einige freaky Freundinnen kann man sich halten und angeblich arbeitet schon jemand an einem sogenannten „Hot Coffee”-Mod, der ein Ficken-Minigame für San Andreas freischaltet! Aber eigentlich ist nichts besser, als bei trauriger Country-Musik über verregnete, pseudo-kalifornische Landstraßen zu düsen und sich mit kleinen Rollenspiel-Elementen und unzähligen Nebenmissionen vom eigentlichen Hauptspiel abzulenken.

Samuel L. Jackson spricht einen korrupten Cop und elendes Arschloch. Jetzt fehlt nur noch, dass er sich zu Comic-Verfilmungen erniedrigt oder einen Piraten mit Augenklappe spielt (hahaha). Dass man BMX fahren kann, ist wahrscheinlich das Geilste am neuen GTA und dermaßen „Ghetto”, dass es sicher in die nächsten Teilen mitaufgenommen wird.

Grand Theft Auto IV (2008)

Verflucht sieht diese Grafik gut aus! Alles glänzt und läuft wie animiert-geschmiert. Auch wenn die Dialoge zwar nicht unbedingt „Oscar-Kaliber” sind, wie die Kollegen von IGN behaupten, haben wir den knubbeligen Serben Nico Bellic, Protagonist und zukünftiger König von Liberty City, sofort in unser Herz geschlossen.

Manche wünschen sich die Möglichkeiten, fett zu werden und die ganzen versteckten, herausfordernden Absurditäten von San Andreas zurück, aber mir gefällt die Ernsthaftigkeit von GTA IV. Ich glaube, die Mission, die ich gerade spiele, ist dieser monumentalen Banküberfall-Sequenz von Heat nachempfunden, Erektion!

DLC-Erweiterungen des Spiels mit Geschichten über böse Biker und schwule Club-Besitzer sind auch in Planung. Das klingt für mich nach einer ähnlich beschissenen Idee wie Heath Ledger als Joker in einem Batman-Film zu casten, aber mich fragt ja keiner. Alles in allem ist das neue GTA IV sehr solide, integer und zum Glück sind die scheiß Fahrräder aus dem Spiel verschwunden.

Grand Theft Auto V (2013)

Als ich 13 war und meine damalige Freundin mit mir Schluss gemacht hatte, weil ich ständig Duke Nukem 3D zockte anstatt mit ihr Tattoo-Halsbänder zu shoppen, schwor ich traurig dem übermäßigen Gaming ab … erfolglos. Drei Dekaden alt und Single sitze ich nun mit einem erdrückenden Gefühl depressiver Unreife vor dem göttlichen GTA V.

Der erste Protagonist ist ein Verlierer mittleren Alters, keine Zukunftsperspektiven, von seiner Ex Würde-technisch kaputt gefickt und eigentlich keine Identifikationsfigur im klassischen Sinne. Da sehe ich aber plötzlich die Wahrheit, das Mantra und der Jedi Mindtrick hinter der gesamten Spielereihe. WIR alle sind GTA: Wir, die Zyniker, die faulen Realisten, Leute, die Gewalt nicht anders als verpixelt und übertrieben kennen und globalpolitische Satire über Rassismus, Nachrichten-Populismus und No Future lustig finden.

Ich befürchtete ja anfangs ein wenig, dass sich dieses Monumentalwerk des Videospielmarkts ins Aus gehyped hätte, aber (unschwer an den eine-Milliarde-Dollar Einnahmen innerhalb von drei Tagen zu erkennen) es ist wieder einmal alles was sich ein verkommenes Gamer-Subjekt nur wünschen könnte: Fein organisierte Raubzüge, stilisierter Verrat, Headshot-Highscores und Referenzen auf die alten Spiele—besonders schön inszeniert, wenn Trevor dem Biker-Dude aus der GTA IV-Erweiterung das Hirn zu Matsch stiefelt.

Ob dieser Charakter der unbeliebteste oder am wenigstens erfolgreiche war bei Rockstar, und somit ein Hersteller-Kommentar der anderen Art geliefert wurde? Und ist es eigentlich ein Insider-Scherz, dass wir mit der romanischen Nummer V und dem erklärenden Schriftzug “Five” darüber ein bisschen verarscht werden? Join the Discussion!

Auf alle Fälle gehe ich zu Fuß durch Los Santos Richtung Frisör (ziemlich Ghetto, ich weiß—fast wie die Synchronsprecher) und genieße das fiktive Flair, das in GTA V mittlerweile echt verstörend realistisch geworden ist. Eigentlich müsste dieses Spiel hinsichtlich Atmosphäre und spannender Geschichte kein Open-World-Spiel mehr sein und uns mit ständigem Autofahren nerven.

Es ist aber wunderschön, dass es das noch ist und tut, denke ich mir als aus dem Nichts ein Radfahrer gegen einen Pick Up kracht und ein Rabbiner das alles auf seinem Handy filmt. GTA V oderSan Andreas saunice”hat sich letztlich nicht wirklich verändert (“Wir fürchten Veränderungen”) und wir eigentlich auch nicht. Ein bisschen älter sind wir, etwas gezeichneter und die Storylines sind mehr geworden. Lehnt euch zurück wie Tony Soprano am Pool, der mit dreckigem Geld gekauft wurde, und dreht die Phil Collins-Nummer lauter. So sollte man den 30er verbringen.

Josef auf Twitter: @theZeffo