Das 19 Jahre alte Duke Nukem 3D erlebt gerade auf meiner PS Vita eine Renaissance und ich bin fasziniert, wie viel Unterhaltungswert der legendäre Prolo-Shooter immer noch aufzuweisen hat. Das Megaton-Level mit dem Weißen Haus kannte ich noch gar nicht! Nach langen und finsteren Winterschlafmonaten, die ich hauptsächlich dem modernen Online-Kriegsverbrechen-Simulator Battlefield 4 gewidmet habe, frage ich mich nun, welches der beiden grafisch und mechanisch sehr unterschiedlichen Spiele mir eigentlich mehr Spaß bereitet—und der Typ aus dem BF4-Screenshot sieht doch aus wie Omar von The Wire, oder?!
Ein weltoffener Zocker muss in unseren Zeiten ohnehin so etwas wie Gaming-Schizophrenie aufweisen und fließend hin- und herwechseln können zwischen anspruchsvollen Indie-Titeln wie Transistor, in denen Handlungen, Grafik und Tech zu einem scheißverwirrenden Gesamtkunstwerk erblühen, und aufgespritzten High-End-Produkten wie Evolve, die in mir suchtenthemmte Schießbuden-Flashbacks auslösen. Man kann sie natürlich alle gleich viel lieb haben, die Pixel-Klassiker beziehungsweise die neuen Titel, die so tun als ob sie Klassiker wären, und den AAA-CG-Porno. Aber gar nicht darüber zu diskutieren wäre doch nur halb so lustig.
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Man darf den Nostalgiefaktor in dieser Frage keinesfalls unterschätzen. Was wir wiedererkennen oder vertraut erscheint, mögen wir automatisch lieber. So funktionieren Radiohits, die einfach so lange gespielt werden, bis sie jedem verdammt noch mal im Kopf feststecken. Natürlich wird das bei dem Jump’n’Run, dem wir als Kind Tausende Stunden gewidmet haben, nicht viel anders sein. Pixel lösen in mir wohlige Gefühle aus wie Jolly-Eis, ein System of a Down-Kassetten-Mix oder Der Prince von Bel Air.
Wir haben schon darüber gesprochen, dass Videospiele erwachsener geworden sind und das Ende ihrer Pubertät bevorsteht. Die größten Gaming-Fans und der Durchschnittsspieler haben jedoch die Adoleszenz schon ganz lange hinter sich gelassen—das ist statistisch belegt. Warum sollte Gaming-Meinung also nicht genauso stark von Konservativismus geprägt sein, wie alle anderen Themen und Medien?
Die Schimpfer auf „primitive” Blockbuster-Games, die „heutzutage doch zu unoriginellem Eye Candy verkommen”, sind vom Typus vielleicht genau die gleichen Leute, die meinen, dass die 70er mit Led Zeppelin, Frank Zappa oder King Crimson den Höhepunkt der gesamten Musikwelt darstellen würden. So kommen auch inkomparable Vergleiche im Gaming-Diskurs auf, dass „Mario und Donkey Kong die einzig wahren Videospiel-Protagonisten seien” sowie „Scheiß auf Nathan Drake und Lara Croft”. Wir werden alle älter, parallel leider auch engstirniger und sturer.
Die geleckten Spiele, die ihre Hochglanzgrafik angeberisch aus der Hose hängen lassen, sind natürlich wirklich oft mies und weisen wenig Originalität auf—irgendwo kommt das Vorurteil schließlich her. The Order 1886 wäre beispielsweise so ein Kandidat. Es sieht unglaublich gut aus—beim hochaufgelösten Lächeln des französischen Ritters habe ich sogar ein bisschen Gänsehaut bekommen—, aber beweist mit jeder fortschreitenden Spielminute, dass es im Gameplay mindestens so klobig rüberkommt wie es cinematisch aufwendig gemacht ist. Ich habe mich letztlich solange mit The Order herumfadisiert, bis ich gähnend alle Werwölfe und 1000-stündigen Cutscenes dieser Erde verflucht habe.
Mir ist dann absurderweise aufgefallen, dass die zähe Steuerung und unausgegorene Spielmechanik auch an manchen Stellen direkt ein bisschen Spaß gemacht haben. Der Grund dafür ist der Witz am Adaptieren, die Fehler des Schieß- oder Bewegungssystems mit eigenen Versuchen und individualisierten Methoden auszugleichen, quasi zu reparieren. Somit werden Bereiche deines Gehirns gekitzelt, die eigentlich auf das ursprüngliche Spielkonzept reagieren hätten sollen. Ein Spiel ist nämlich genau das: Das Meistern von immer komplexer werdenden Herausforderungen. Veraltetes Game-Design und eine beschissene Steuerung sind nicht die eleganteste Lösung, erfüllen aber doch ihren Zweck.
So kommen wir über diese etwas komische Argumenationskette zu einem spannenden Trend im gegenwärtigen Gaming: Wir, die Spieler, sehnen uns einfach zurück nach höheren Schwierigkeitsgraden.
Scheiß auf Achievements für „Du hast den Einschaltknopf gefunden”. Übertrieben einfache Belohnungen haben uns über die letzten Jahre hinweg verwöhnt und faul gemacht. Alien: Isolation hatte keine Autosaves und der Weltuntergang ist trotzdem nicht über uns hereingebrochen—übrigens ist es auch ein gutes Beispiel dafür, dass ein hoher Grad an Herausforderung und gleichzeitig eine Hammer-Grafik im Bereich des Möglichen sind.
Bis ins Detail ausgeklügelte Retro-Geniestreiche wie Rogue Legacy und Binding of Isaac, die gigantische Levels immer neu generieren, sind die Zukunft der Industrie—ich sage nur No Man’s Sky.
Der Spieler bekommt immer eine komplett exklusive und neue Spielwelt vorgesetzt, die kein anderer Besitzer des gleichen Release so zu sehen bekommen wird. Das ist doch letztlich die Definition von Abenteuer. Unser tiefsitzender Entdeckerinstinkt kann sich virtuell austoben.
Stellt euch dieses Konzept der endlosen Gaming-Weiten auf den kommenden VR-Endgeräten vor und in einer Grafik wie bei Skyrim oder Destiny?! Das wäre eine wünschenswert atemberaubende und gar nicht so weit hergeholte Fusion von hochwertigem Gameplay und visuellem Spielerlebnis.
Auch Minecraft basierte schon auf dem Prinzip der immer wieder neu generierten Spielwelt, sowie Jahre zuvor der Klassiker ToeJam & Earl, bei dem diese Mechanik schon perfekt implementiert war und der bald eine dahingehende Fortsetzung abliefern wird—bitte streichen wir an dieser Stelle den dritten Teil dieser Reihe Mission to Earth einfach aus unserem kollektiven Gedächtnis.
Aber diese Spielabläufe sind gerade deshalb so süchtig machend, weil sie uns durch das viele Alternieren und den hohen Schwierigkeitsgrad viel Zeit, Hingabe und einen gewissen Fanatismus abverlangen. Daumenaufreibende Roguelikes und Jump ‘n’ Runs wie Megaman, Castlevania bis zu den erwähnten neuen Releases dieser Genres, haben uns zu vom „Grinding” abhängigen und repetitiven Zombies konditioniert.
Das Argument, dass man nicht mehr Unmengen der Freizeit für Gaming aufwenden möchte oder kann, legitimiert somit die polierten Blockbuster-Games zu einem gewissen Grad. Cinematische Games wie Uncharted oder Heavy Rain funktionieren im Vergleich, wenn wir uns ehrlich sind und keine ausgewachsene Allergie gegen Quicktime-Events haben, auch mit weniger zeitlichem Aufwand genau so immersiv. Das sind schließlich hochwertige Produktionen mit guten Autoren, fähiger Regie und smarten Twists. Vorzeigebeispiele wie The Last of Us oder Bioshock stehen narrativ einem Gone Girl oder einem Guardians of the Galaxy um nichts nach. Nur der Begriff „Videospiel” wird intermedial immer weiter gedehnt.
Es ist vielleicht auch einfach der Look, den wir bei den Retro-Games so verehren, der uns bei jedem Pixel sofort an die tanzenden Affen von Monkey Island 2 denken und „1 Up”-T-Shirts mit Abbildungen von Marios Schwammerl anziehen lässt. Apropos Schwammerl, psychedelische Eindrücke beziehungsweise Drogenkultur waren schon immer eng verwoben mit der bunten Welt der Games, mitunter weil hier unsere Urinstinkte des Jagens, Sammelns und Überwindens simuliert, oder besser noch, stimuliert werden.
Irgendein komischer und latent schlummernder Teil in unseren Echsenhirnen erlangt offensichtlich Mini-Lustbefriedigung, wenn man virtuelle Goldmünzen einsammelt—mehr und immer MEHR—, Hühnerkeulen als Health assimiliert und sich ein Punktestand in der oberen Ecke langsam erhöht. So sind doch auch unsere alltäglichen Interaktionen mit Computern und die Arbeitswelt geprägt von repräsentativen Icons, die auf Geld, Essen, Fahrpläne, Social Media und andere Lebensinhalte verweisen. Es gibt auch Leute, die behaupten, dass Facebook oder Tinder doch nichts anderes als Games sind. Die Likes sind die Punkte und mit jedem Follower levelst du rauf.
Die Hochglanz-Spiele weisen diese urigen Mechanismen immer noch auf, nur sind sie durch eine realistischere Darstellung ersetzt worden. Anscheinend neigen wir letztlich dann aber doch immer mehr zu den Iconsals zum Realismus. Keep it simple, ist da wohl der Schlüsselgedanke. Wieso eine ganze Animation visualisieren, die zeigt wie die Spielfigur sich den Arm verbindet und Wunden ausbrennt, wenn sie doch genauso gut auf ein leuchtendes Medikit-Symbol hüpfen könnte, um mit einem „Ping” wieder gesund zu sein.
Umso unsinniger scheint mir aber dann der prätentiöse Konsens, dass AAA-Titel mit guter Grafik dumm oder kaputt sein müssen—auch wenn es diese Klogriffe wie The Order des öfteren gibt. Man sollte nicht den Umkehrschluss ziehen und die Flut an Indie-Retro-Titel als das einzig wahre intellektuelle Gaming-Gut handeln. Der beliebte Underdog-Bonus darf nicht inflationär auf alle Releases mit kleinen Teams geknallt werden, um ihn nicht zu entwerten. Auch wenn in diesen DIY-Projekten bewegende Geschichten zu finden sind, wie im mittlerweile schon leicht angestaubten Indie Game: The Movie zu sehen ist.
Fakt ist: Far Cry 4, ein AAA-Titel, weist super viel Unterhaltungswert auf und gleichzeitig eine wunderschöne Grafik. Meine geliebten Battlefield-Marathons habe ich schon erwähnt und dass GTA V, gerade in seiner detailgeilen Remastered-Version, eines der spannendsten und besten Videospiele unserer Zeit darstellt, bleibt wohl außer Frage.
Der allererste GTA-Teil—noch in der Vogelperspektive—scheint im legendären Hotline Miami eine optische und würdige Hommage gefunden zu haben. Dessen Entwicklerstudio Devolver ist sowieso der Hit-Generator in Sachen minimalistischer Oldschool-Spielmechaniken. Das Sequel Hotline Miami 2: Wrong Number ist diese Woche auch raus und wir können es schon gar nicht mehr erwarten, uns zu „verwählen”—mit Samurai-Schwertern, Raketenwerfern oder SMGs …
Hotline Miami ist jedoch nur die unbestrittene Spitze des Indie-Eisbergs, der sich in den letzten Jahren geformt hat. Alle Sequels, Remakes und Retro-Referenzen treiben die allgemeine Nostalgie-Maschinerie—es wirkt fast wie Faulheit auf Seiten der Konsumenten und Produzenten—weiter an. In Folge klingt das auch nach der anfangs erwähnten konservativen Denkweise: „Alle guten Konzepte und Dinge wurden bereits erfunden”.
Und so schließt sich der Kreis der Gaming-Schizophrenie. Oder vielleicht sollte man es eher Paradoxon dazu sagen. Wir verlangen nach Originalität, bestrafen aber oft Neues mit Skepsis. Neuwertige IPs gehen aus Erfahrung das wirtschaftliche Risiko von komplett neuen Produkten selten ein—natürlich gerade die millionenschweren AAA-Projekte. Letztlich freuen wir uns dann am meisten über eine alte Idee mit ein paar Schnörkeln und coolen Gimmicks obendrauf—siehe Open World Release Nummer 125.779.640. Wir sind mindestens genauso schuldig wie die Studios. Wir kaufen den Mist schließlich immer wieder.
Ich weiß doch auch nicht, was ich will! Ich spüre, wie ich mich nach einer Neuveröffentlichung von Day of the Tentacle sehne, obwohl es eigentlich keinen Sinn macht und es wie die überarbeiteten Monkey Island-Releases doch nur enttäuschen wird. Ich will mich an dem neu gestylten Resident Evil Re-Remake aufgeilen, obwohl es dem damaligen PS1-Erlebnis doch niemals gleichkommen kann.
Am Ende ist der Indie-Look kein Garant für Qualität und Hochglanz kein Zeichen für gleichförmigen Mainstream.
Wolfenstein hatte grundsolides Gameplay und „Herrengrafik”, gleichzeitig ist Braid in seinem Minimalismus ein tolles Spiel, auch wenn ich es im Gameplay für völlig überschätzt halte. Besonders reingekippt bin ich in XCOM: Enemy Unknown, das sowohl Retro-Eigenschaften als auch eine sensationelle Grafik aufweist, und einen meiner Lieblingstitel der letzten 5 Jahre darstellt.
Mir kann man es letztlich nicht recht machen. Entweder es ist zu viel prätentiöser Retro-Stil oder zu hohler Action-Schas, dafür mit lebensechter Grafik. Entweder Uncanny Valley oder schlechtes Pixeldesign, ich bleibe ein dickes, verwöhntes Kind im Süßigkeitenladen, heulend mit dem geilen Lolli im Mund.
Wenn man die echten Kids heutzutage hernimmt, wie sie Stunden und Geld mit Handygames und Free-To-Play-Games verschleudern—beziehungsweise Geld für irrelevante In-Game-Kosmetik—haben sich die Fronten von „Retro-Look VS Realismus-Look” ohnehin schon auf ganz andere Schlachtfelder verlagert.
Wir sehen uns dann also bei meinem nächsten thematischen Beitrag: „Welchen nutzlosen Lederlendenschurz kaufe ich meinem DOTA-Helden am besten?” Ich kann nicht mehr. Bis bald, ich muss jetzt auf OlliOlli2 abjunken und dann wieder auf das neue Call of Duty: Advanced Warfare. Ich bin krank, Freunde, sehr krank.
Mehr zynische Weltanschauung und bi-kuriose Gaming-Liebe von Josef gibt es auf Twitter: @theZeffo
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