Politik

Lasst den Neid – Gebt Geimpften ihre Grundrechte zurück

Ältere Menschen sitzen an einem Cafétisch

Wenn ich nicht darf, darfst du auch nicht. Auf diesem Kindergartenlevel wird in Deutschland gerade über Grundrechte diskutiert. Laut einer repräsentativen Umfrage für die Zeit wollen 68 Prozent der Deutschen, dass auch für Geimpfte weiter die Corona-Beschränkungen gelten. Für Pflegekräfte, die in der Pandemie einen der härtesten und wichtigsten Jobs erledigen, für alte Menschen, die viele Monate nahezu eingesperrt in Seniorenheimen verbrachten. Warum das so ist, lässt sich rational nicht erklären.

Denn verfassungsrechtlich ist die Sache eindeutig. Die Eingriffe in unsere Grundrechte sind nur solange gerechtfertigt, wie sie notwendig sind, um Infektionen einzudämmen. Aber was gilt für Menschen, die nicht mehr ansteckend sind? Inzwischen weiß man, dass etwa der BioNTech/Pfizer-Impfstoff zu 90 Prozent weitere Ansteckungen verhindert. Und dass Geimpfte selbst im Falle einer Ansteckung so wenige Viren in sich tragen, dass eine Übertragung an andere als höchst unwahrscheinlich gilt. Daraus folgt: Wenn die Einschränkungen nicht mehr notwendig sind, sind sie auch nicht mehr zulässig. Deshalb kann der Staat gar nicht anders, als Geimpften ihre vollen Grundrechte zurückzugeben. Die letzten beiden Worte müsste man eigentlich fett unterstreichen. Denn all jene, die von “Impfprivilegien” reden, haben offenbar etwas Grundsätzliches nicht verstanden.

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Es geht nicht darum, Geimpften Sonderrechte zu erteilen, sondern – noch mal – die Einschränkung ihrer Grundrechte aufzuheben. Oder anders gesagt: den Normalzustand wiederherzustellen. Das hat der frühere Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier bereits Ende letzten Jahres lang und breit erklärt.

Aber abgesehen vom Juristischen: Wer würde ernsthaft wollen, dass es bis zur allerletzten Impfung allen gleich schlecht geht, wenn einige schon wieder etwas mehr Normalität erleben könnten? Wer wäre nicht froh beim Anblick eines Cafés, an dessen vollbesetzten Außentischen Omas und Opas ein Kännchen Kaffee aufs Leben trinken? Man könnte meinen, es täte dem Herzen gut, sich für das Glück anderer zu freuen. Nicht nur, weil man dabei in die eigene geimpfte Zukunft blickt. Oder sind wir wirklich so zerfressen von Neid? Der Deutsche Ethikrat findet offenbar: Ja.

Der Ethikrat misstraut den Deutschen

In seiner “Ad-hoc-Empfehlung: Besondere Regeln für Geimpfte” offenbart der Ethikrat, dass er uns alle für trotzige, weinerliche Kinder hält: “Solange sich nicht alle Personen impfen lassen können, würde ein Teil der Bevölkerung eine individuelle Rücknahme staatlicher Freiheitsbeschränkungen nur für bereits Geimpfte als ungerecht empfinden”, heißt es darin. Man sei besorgt, dass die Bürgerinnen und Bürger die Corona-Regeln dann nicht mehr einhalten würden. Will man wirklich dieser beleidigenden Gegenwartsbeschreibung Deutschlands entsprechen?

In den USA dürfen sich kleine Gruppen von Geimpften seit Montag wieder ohne Maske in Innenräumen treffen. Aufstände und Capitol-Erstürmungen sind – zumindest in diesem Zusammenhang – bislang ausgeblieben. Und in Israel regelt schon längst ein digitaler Impfpass, für wen noch Restriktionen gelten. Ohnehin könnte es passieren, dass die Realität die Bundesregierung überholt. Fluglinien haben bereits angekündigt, in Zukunft nur noch Geimpfte an Bord zu lassen. Auch Clubs und Restaurants könnten dem folgen. Wenn sich die Bundesregierung also wirklich sorgt, es könne eine Zwei-Klassen-Gesellschaft aus Geimpften und Nicht-Geimpften entstehen, sollte sie das Thema nicht an Unternehmen abgeben. Die schaffen längst Fakten, während die Bundesregierung schnarcht.

Die Deutschen misstrauen sich selbst und hängen deshalb hinterher. Nicht nur beim Impfen und bei den Schnelltests, sondern auch beim Blick in die Zukunft. Die Bundesregierung unternimmt gar nicht den Versuch, die Frage nach den Grundrechten für Geimpfte zu beantworten – und verschleppt damit auch andere Themen. Es gehe nicht nur darum, Geimpften Rechte zurückzugeben und dann – zum Beispiel fürs Masketragen in der Öffentlichkeit – neue Regeln zu schaffen, schreibt Heinrich Wefing in der Zeit. Es werde auch nicht geklärt, was für Menschen gilt, die aus medizinischen Gründen keinen Impfstoff vertragen, oder für Kinder und Jugendliche, für die es noch keine Impfstoffe gibt. 

Aber es hilft nicht, sich die Hand vor die Augen zu halten und zu glauben, man wäre unsichtbar für alles Böse. Denn all diese Fragen werden noch drängender, wenn im Sommer immer mehr Menschen den Impfstoff erhalten. 

Deshalb ist es höchste Zeit, dass wir uns solidarisch zeigen. Als Ungeimpfte gegenüber Geimpften – was vor allem junge Menschen betrifft, die in der Impfzentrumsschlange ganz hinten stehen. Als Gesellschaft gegenüber Impfverweigerern, die wir mit Argumenten überzeugen müssen. Und als EU gegenüber Ländern, die Unterstützung bei Impfstoff-Lieferungen benötigen. Nur so verhindern wir wirklich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Auch dann, wenn in Deutschland längst niemand mehr ansteckend ist.

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