Politik

Gekippter Mietendeckel: Menschen erzählen, wie hart sie das Urteil trifft

Eine Person mit Regenschirm sitzt auf der Straße, über ihr Transparente zum Thema Mietendeckel, der gerade gekippt wurde

Mieten werden immer teurer, Clubs geschlossen, Freiräume geräumt. In kaum einer deutschen Stadt schreitet die Gentrifizierung so rasant voran wie in Berlin. Viele junge Berlinerinnen und Berliner sind in einer Stadt aufgewachsen, die immer mehr zu schwinden scheint.

Im März 2020 beschloss der rot-rot-grüne Berliner Senat daher ein beispielloses Gesetz: den sogenannten Mietendeckel. Für fünf Jahre sollten die Wohnungsmieten in der Hauptstadt eingefroren werden. Konkret bedeutete das, dass eine Wohnung nicht teurer sein durfte, als sie es mit Stand 18. Juni 2019 war. Zusätzlich durften sie dabei nicht mehr als 9,80 Euro pro Quadratmeter kosten. Dagegen legten 248 Bundestagsabgeordnete von Union und FDP Klage beim Bundesverfassungsgericht ein.

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Am Donnerstag erklärten die Karlsruher Richterinnen und Richter den Mietendeckel in seiner jetzigen Form für verfassungswidrig. Die Begründung: Nicht die Länder, sondern der Bund sei für das Mietpreisrecht zuständig. Das bedeutet nicht nur, dass Vermieterinnen und Vermieter ihre Wohnungen ab jetzt wieder teurer machen dürfen, sondern auch, dass zahlreiche Mieterinnen und Mieter teils hohe Summen nachzahlen müssen.

Als Reaktion demonstrierten noch am selben Abend bis zu 15.000 Menschen in Berlin. Wir waren vor Ort und haben nachgefragt: Wie geht es Mieterinnen und Mietern nach dieser Entscheidung?

Ian, 25, kommt aus Schweden und lernt in Berlin gerade Deutsch

Ein junger Mann mit Mund-Nasen-Schutz und buntem Schal steht in einer Menschenmenge und blickt in die Kamera

Ich wohne in einer sehr coolen WG in Rehberge, Wedding. Durch den Deckel hatten meine Mitbewohner und ich eine bezahlbare Miete.

Insgesamt kostet unsere Wohnung 1.509 Euro im Monat. Sie ist sehr alt und liegt sogar außerhalb des Berliner S-Bahn-Rings. Ich zahle 450 Euro im Monat. Das ist auch nicht wirklich günstig, aber ich kann es mir leisten. Durch die Entscheidung des Verfassungsgerichts steigt meine monatliche Miete jetzt aber auf 650 Euro. Das ist absolut verrückt! Ich werde das definitiv nicht zahlen können.


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Im Moment wissen wir alle noch nicht, wie genau es für uns weitergehen soll. Die Differenz zur ursprünglichen Miete haben wir natürlich nicht zurückgelegt. Es ist verrückt, dass das gefordert werden darf. Und ich werde dieses Geld jetzt auch nicht wieder magisch herzaubern können. Meiner Meinung nach braucht es dafür eine neue Regel.

Insgesamt ist die Situation natürlich schlecht, aber ich habe Hoffnung. Ich habe von Anfang an gesagt: Wenn der Deckel gekippt wird, dann werde ich alles dafür geben, Angela zu radikalisieren!

Ruin, 27, Sexarbeiterin

Eine junge Frau mit rotem Regenschirm kniet bei einer Demonstration unter einem Plakat von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern

Ich bin sehr wütend. Meine Community wurde hart von der Pandemie getroffen. Besonders marginalisierte Gruppen werden zur Zeit völlig außer Acht gelassen. Sie werden geräumt und vertrieben und ohne Gesundheitsversorgung zurückgelassen. Ich glaube, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts uns Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sehr direkt betrifft. Es ist klar, dass vor allem die stimmlosen, marginalisierten Menschen unter der Entscheidung leiden werden – und alle, die nicht reich sind.

Ich bin nicht Sexarbeiterin, weil mir meine Arbeit Freude oder Lust bereitet, sondern weil ich im Kapitalismus lebe. Aber lass mich an dieser Stelle klarstellen: Sexarbeit ist Arbeit, ein Vermieter zu sein nicht.

Georg und Maria, beide 35, arbeiten im sozialen Bereich

Ein Pärchen mit Kleinkind steht in der Menschenmenge einer Demonstration

Georg: Maria und ich leben zusammen. Im Januar 2020 haben wir eine Mieterhöhung von 40 Euro im Monat bekommen. Die ist damals durch den Mietendeckel für ungültig erklärt worden. Im Schreiben stand aber schon, dass das Geld im Falle, dass der Mietendeckel gekippt wird, nachgefordert werden wird. Mittlerweile sind wir bei ungefähr 600 Euro, die wir nun zurückzahlen müssen. Wobei, nachzahlen trifft es dabei eher, denn wir haben uns ja bei denen nichts geliehen.

Wir können uns das glücklicherweise gerade leisten. Es ist aber trotzdem ärgerlich, denn am Ende fehlt das Geld einfach woanders. Bei vielen Freunden, Nachbarn und Nachbarinnen sieht es noch schlechter aus. Es gibt Menschen, die heute über Nacht 5.000 Euro Schulden bekommen haben und nicht auf Rücklagen zurückgreifen können. Das ist krass.

Maria: Und wo sollen die hinziehen? In Berlin gibt es ja kaum bezahlbare Wohnungen. Wo sollen die jetzt etwas Neues finden? Werden die obdachlos?

Georg: Wir sind sehr wütend. Verfassungsrichter haben scheinbar keine Ahnung, wie Mieter in Berlin leben müssen. Ich glaube nicht, dass irgendwer von denen selbst mietet. Bei den Vermietern knallen die Sektkorken heute Nacht.

Maria: Daher unterstützen wir auch eine Initiative, die Wohnungsgesellschaften enteignen will. Wir waren vorher schon Unterschriften sammeln. Jetzt sind wir noch motivierter und wollen jedes Wochenende losgehen.

Georg: Denn eigentlich ist es ja umgekehrt: Die enteignen ja uns und schütten das an ihre Aktionäre aus. Wir holen uns also eigentlich nur zurück, was uns ohnehin gehört.

Eileen, 23 Jahre alt, studiert Soziale Arbeit

Eine junge Frau mit blonden Haaren, schwarzer Jacke und Mund-Nasen-Schutz blickt in die Kamera

Mein Vater arbeitet in der Veranstaltungsbranche und hat durch die Pandemie seinen Job verloren. Er unterstützt mich während meines Studiums auch bei der Miete. Als die Nachricht über den gefallenen Mietendeckel heute morgen kam, haben wir direkt telefoniert. Die Entscheidung hat uns beide getroffen.

Zu Beginn haben wir in meiner WG Briefe bekommen, die uns über das Mietendeckel-Gesetz aufklären sollten. Diese Briefe waren alle super schwierig zu lesen, schwer verständlich und alle maximal aggressiv geschrieben. Man hat ein richtig schlechtes Gefühl beim Lesen bekommen. Wir hatten damals sogar überlegt, unsere Miete einfach teurer weiterzuzahlen, obwohl wir uns das eigentlich nicht leisten konnte. Einfach weil wir Angst hatten. Dass nun mögliche Rückzahlungen anstehen, war mir daher bisher gar nicht richtig bewusst.

Morgen früh setzen wir uns jetzt als WG zusammen und müssen schauen, wie es nun weitergeht.

Pfote, 19 Jahre alt, aktuell arbeitslos

Eine junge Frau mit Dreadlocks, Beanie und Bauchtasche ist bei einer Demonstration und blickt in die Kamera

Ich wohne derzeit noch bei meinen Eltern, sie wollen mich aber rauswerfen. Ich muss noch in diesem Jahr ausziehen. Generell ist es schwer, in Berlin eine bezahlbare Wohnung zu finden. Ich will eine Ausbildung anfangen und werde währenddessen voraussichtlich nicht viel verdienen, daher wird die Suche sehr schwer. Einige meiner Freundinnen und Freunde leben bereits auf der Straße.

Als die Nachricht heute morgen kam, war ich ziemlich wütend. Mich regt die Gentrifizierung in Berlin sehr auf. Vor allem weil in der letzten Zeit so viele linke Projekte sowie Jugend- und Schutzräume geräumt wurden. Menschen brauchen diese Orte. Gerade in Zeiten von Corona sprechen wir immer davon, dass alle zu Hause bleiben sollen. Doch was ist mit den Menschen, die kein Zuhause haben?

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