Ich fotografiere meinen Bruder seit seiner Geburt – also seit 25 Jahren. Als ich bewusst anfing, Bilder von seinem Entzug und seiner Sucht zu machen, tat ich das, weil er mich darum gebeten hatte. Er wollte, dass ich sein Handeln dokumentiere. Als Erinnerung daran, wie schlimm es war. Ich war froh, dass er mich in dieser schwierigen Zeit dabei haben wollte – in gewisser Weise jedenfalls.
Mein Bruder nahm schon Drogen, bevor Fentanyl überhaupt ein großes Thema war. Auch wenn Fentanyl hier in Kanada erschreckende Ausmaße angenommen hat, glaube ich nicht, dass ihm das so wichtig ist. Er hat immer schon mehr als nur eine Sache genommen. Er interessiert sich mehr für Heroin als die synthetische Variante – aber vielleicht ist das auch nur meine Wahrnehmung.
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Du kannst zu jemandem, der ständig Drogen nimmt, keine Beziehung aufrechterhalten. Ihr verliert den gemeinsamen Nenner und schnell schaltest du in den Babysitter-Modus. Aber es ist nicht nur das. Er will auch nicht in meiner Nähe sein.
Ich glaube wirklich, dass er einer der schlausten Menschen ist, die ich kenne – einer der sonderbarsten und lustigsten Menschen. Wenn er mal wieder monatelang verschwindet, bin ich sehr traurig und mache mir große Sorgen. Andererseits sind es jetzt zehn Jahre, die ich mich mit seinen Problemen beschäftigen muss. Und mental musste ich mich von ihm distanzieren. Diese Fotoserie ist eine Möglichkeit, diese Gefühlsbarriere zu überwinden, ohne sie einzureißen.
Ich habe gelernt, nichts mehr von ihm zu erwarten. Ich habe ihn schon vom Gefängnis abgeholt. Zuerst versucht er es bei meiner Mutter und wenn sie die Schnauze voll hat, kommt er zu mir. Er würde mich auf jeden Fall anrufen, wenn er jemanden braucht, aber viel wahrscheinlicher ist es, dass ich von ihm höre, wenn er eine schlimme Phase bereits durchgemacht hat. Das liegt wohl daran, dass ich streng bin und keinen Bock mehr auf die Scheiße habe. Solange er nicht droht zu sterben oder auf der Straße übernachten muss, ist nicht mehr viel in mir übrig, was ich ihm geben kann. Er überlegt sich also gut, wann er mich anrufen kann.
Die längste Zeit, die er nüchtern war, sind zwei Jahre. Ich war natürlich sehr glücklich mit unserem Verhältnis und seinem Lebensstil zu dieser Zeit. Er hatte eine Zulassung als Klempner und arbeitete. Er schien glücklich zu sein. Ich habe meine Zeit mit ihm in dieser Phase viel mehr genossen. Sein Aussehen in den Fotos steht auch in direktem Zusammenhang mit seinem Konsum. Wenn ich ihn sehe, weiß ich sofort, wie es ihm geht.
Ich schätze, diese Fotos sind meine Art, mich an ihn zu klammern. Mich an Teile von ihm zu klammern. Sie sind nicht er, sondern meine Erinnerungen an ihn. Vor langer Zeit schon habe ich akzeptiert, dass er einen hochriskanten Lebensstil lebt. Theoretisch könnte er jeden Tag verschwinden. Und ich musste mich präventiv damit abfinden. Ich kann mir nicht den ganzen Tag darum Gedanken machen.
Ich weiß, dass es nichts mehr gibt, was ich sagen könnte, um ihn zu ändern. Ich habe schon alles versucht. Ich habe schon alles gesagt. Er hat schon alles versucht. Therapie, Entzug und Selbsthilfegruppen wie Narcotics Anonymous. Aber vielleicht machen wir deswegen auch diese Fotoserie. Wir können über das große Hauptproblem in seinem Leben nicht sprechen, also kommunizieren wir stattdessen visuell. Diese Serie ist ein Weg, physisch die Beziehung zu zeigen, die ich mir von uns wünsche – sie zeigt die Sehnsucht nach einer Verbindung.
Ich wünschte, diese Fotoserie wäre die Lösung für unsere Bruder-Schwester-Probleme. Auch wenn sie eine Art Kommunikation ermöglicht, unsere Beziehung repariert sie wahrscheinlich nicht.
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