Alles über britische Waffengewalt und Bandenkriminalität

Ein 24-Jähriger aus Liverpool wurde inhaftiert, nachdem die Polizei auf seinem Handy Fotos fand, in denen er mit Feuerwaffen posierte

Diese Woche wurde bekannt, dass mehr als 1.500 Kinder in Großbritannien—manche von ihnen erst 10 Jahre alt—zwischen 2013 und Januar 2016 aufgrund Feuerwaffendelikten in Gewahrsam waren. Zehnjährige. In diesem Alter spielen Kinder normalerweise lieber mit Glitzer-Bastelsets als importierten Handfeuerwaffen.

Allgemein gab es in den letzten Monaten in Großbritannien viele Meldungen über Waffengewalt. Unter anderem bereitete eine Reihe von Schießereien im Bandenmilieu von Manchester der Polizei Anfang dieses Jahres „sehr große Sorgen”. Im Februar warnte die Polizei vor einem rechtlichen Schlupfloch, das es Banden erlaubt, antike Feuerwaffen zu kaufen, umzubauen und einzusetzen. Und letzte Woche wurden zwei Männer eines IS-inspirierten Terrorplans für schuldig befunden, der vorsah, dass sie mit einer Pistole, die sie von einem Londoner Kriminellen hatten, von einem Moped aus auf Menschen schossen.

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Um all diese Geschichten in die richtige Perspektive zu rücken, habe ich mich mit dem Feuerwaffen-Experten David Dyson unterhalten. Er arbeitet als Berater, der in allen möglichen Fällen Informationen zu Waffen beisteuert, ob kriminell (z.B. Mordfälle) oder völlig legal (z.B. die Beschaffung der richtigen Waffe für Platzpatronen).

Eine antike Handfeuerwaffe (links), die von der Polizei im Osten Londons beschlagnahmt wurde | Foto: Metropolitan Police Service

VICE: Würden Sie sagen, dass die Waffenkriminalität in Großbritannien zu- oder abnimmt?
David Dyson: Meine Erfahrung sagt mir, dass sich die Dinge nicht wirklich geändert haben. Ich bemerke keine bestimmten Trends, aber im Laufe der Zeit passieren natürlich gewisse allmähliche Entwicklungen. Zum Beispiel gibt es bestimmte Waffenarten, die importiert werden und sich dann in kurzer Zeit sehr weit verbreiten. Dann werden diese Dinge bei Verbrecheneingesetzt und laufen den bisher verbreitetsten Waffen den Rang ab.

Woher kommen denn die ganzen Waffen auf die britischen Inseln?
Das ist unterschiedlich. Im Laufe der Jahre haben wir gesehen, dass viele Waffen aus Übersee kommen. Zum Beispiel gibt es da die Baikal-Pistole, die ursprünglich aus Russland stammt und als Selbstverteidigungswaffe gedacht war. Der Lauf war verengt, sodass keine normalen Kugeln, sondern nur CS-Gas gefeuert werden konnte. Hartgummikugeln ließen sich damit auch schießen, weil sie sich im Lauf komprimierten und an der verengten Stelle vorbeipassten. Es gab dann also Typen in Litauen, die sich diese Pistolen besorgten und sie mit 9mm-Läufen modifizierten. Sie waren sehr gut; sie schnitten im Vergleich zu den normalen Pistolen gut ab, und jahrelang waren sie in der Verbrechensrate sehr präsent. Ich weiß, dass sie beim forensischen Forschungsdienst in London über 700 davon vor sich hatten, bevor der Dienst geschlossen wurde. Wer weiß also, wie viele davon noch im Umlauf sind. Aber sie scheinen schon ein bisschen von der Bildfläche verschwunden zu sein.

Was ist mit antiken Feuerwaffen? Es gab vor Kurzem etwas in der Presse darüber, dass Gangs viele davon umgebaut haben.
Ja, die Patrone gibt es seit weit über 100 Jahren, also können Dinge, die man als Antiquitäten bezeichnen kann, auch noch verwendet werden. Es gibt in diversen Paragrafen des Feuerwaffengesetzes Ausnahmen, die es den Leuten erlauben, antike Feuerwaffen ohne Waffenschein zu besitzen, so lange sie nur den Zweck eines Dekorationsartikels erfüllt. Verbrecher haben das bemerkt und angefangen, solche Waffen zu kaufen und dann Munition dafür herzustellen. Deswegen werden heute in Verbrechensfällen mehr antike Waffen sichergestellt als zuvor.

Könnte also in Großbritannien einfach jeder diese Waffen kaufen?
Um diese Waffen legal als Antiquitäten zu verkaufen, muss die Munition veraltet sein. Das ist völlig in Ordnung, aber es gibt viel Munition, die angepasst werden kann—man kann moderne Hülsen kaufen und sie mit einem Rohrabschneider kürzen, dann in einen russischen Revolver im Kaliber .44 laden. Im Grunde hat man dann Munition, die so modifiziert wurde, dass sie in einem Revolver verwendet werden kann, der für diese Munition niemals vorgesehen war. Aber sobald die „antike Waffe” mit Munition eingesetzt wird, ist sie illegal, und allein der Besitz bringt eine Mindeststrafe von fünf Jahren mit sich.

Denken Sie, die Leute in Großbritannien kaufen Waffen eher aus Statusgründen und um einzuschüchtern, statt sie wirklich einsetzen zu wollen?
Der Besitz einer Feuerwaffe bringt sehr viel „Street Cred” mit sich. Viele Verbrechen, in denen Waffen zum Einsatz kommen, spielen sich zwischen Banden ab. Operation Trident [Anm. d. Red.: Die Londoner Polizeieinheit für Feuerwaffen-Verbrechen] wurde zum Beispiel ursprünglich eingerichtet, um sich mit der Bandenkriminalität in London zu befassen. Ganz allgemein gesagt, sind die Opfer von Feuerwaffengewalt meist Menschen, die selbst einem solchen „Beruf” nachgehen, Verbrecher besitzen also Feuerwaffen, um damit auf andere Kriminelle zu schießen. Wenn dir Ärger mit einer rivalisierenden Gang ins Haus steht und du weißt, dass diese Gang Feuerwaffen hat, dann meinst du vielleicht auch, selbst eine zu brauchen.

Warum werden also laut den neu veröffentlichten Daten so viele Kinder wegen Waffenbesitzes festgenommen?
Traditionell geben Verbrecher jüngeren Mitgliedern ihrer Gangs Waffen, damit sie darauf aufpassen und die älteren Bandenmitglieder nicht wegen Waffenbesitzes drankommen können. Das ist ein Grund, wie Waffen ihren Weg in Kinderhände finden; sie passen einfach nur für Andere darauf auf. Ich denke aber auch, dass im Laufe der Jahre das Alter der Verbrecher gesunken ist, und in vielen Fällen sind die Menschen, die in Schießereien verwickelt sind, einfach jünger—spätes Teenageralter bist frühe Zwanziger.

Was passiert in Großbritannien mit Minderjährigen, die im Besitz einer Feuerwaffe erwischt werden?
Nun, sie haben sich immer noch ein Vergehen zuschulden kommen lassen, doch Kinder erhalten andere Strafen. Natürlich werden Minderjährige in Jugendgefängnisse geschickt, doch das Vergehen bleibt dasselbe.

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Welche Gegenden in Großbritannien sind besonders schlimm betroffen?
Hier gibt es keine überraschende Antwort: die Großstädte. Die Orte, an denen es viele Banden und Drogenschmuggel gibt. Die meisten dieser Fälle haben mit Banden zu tun und Banden gibt es in den Innenstädten viel häufiger.

Waffenbesitz ist also eher enger mit Drogenaktivität verwandt als mit Verbrechen wie Raubüberfall?
Ja. Es gibt heutzutage nicht mehr viele bewaffnete Raubüberfälle—die Kids gehen mit ihren Luftpistolen ins Postamt. Es ist irgendwie lächerlich. Wovon wir hier reden, ist professionelles und organisiertes Verbrechen. Diese Leute sind nicht so dumm, dass sie einfach so mit einer Waffe herumlaufen. Ich schätze, hier kommen wir wieder zu den Kindern, die Waffen besitzen, damit die Erwachsenen kein Risiko tragen müssen.

Wie würden Sie es anstellen, die Rate der Verbrechen mit Feuerwaffen zu senken?
Es gibt viele verschiedene Faktoren. Erstens muss man dieses Geheimnisvolle, das Feuerwaffen anhaftet, loswerden. Oft werden Typen für etwas anderes verhaftet und die Polizei findet dann Fotos in ihren Handys, auf denen sie mit Waffen posieren. Es gibt also offensichtlich ein Element der Angeberei, des Aufplusterns—und das ist etwas, das angesprochen werden muss. Manche Menschen wollen mit Waffen gesehen werden, also braucht es viel Bildung, doch ob die Leute auf diese Bildungsarbeit ansprechen … wer weiß.

Ein guter Anfang wäre es, reformierte Kriminelle einzusetzen, die schon selbst in diese Art des Verbrechens involviert waren—denen wird man zuhören. Mir würden sie nicht zuhören, und auch nicht der Polizei oder Leuten aus der Justiz. Aber wenn sie jemanden vor sich haben, der das alles schon selbst erlebt hat, der denselben Hintergrund hat und dieselben Lektionen gelernt hat, dann gibt es vielleicht eine Chance.