Grime-Fans muss man Kano nicht erklären, allen anderen kann der Londoner in einem Wort beschrieben werden: Legende. Kano war damals ganz vorne mit dabei, als Grime seinen ersten Siegeszug von der Insel aus antrat. Sein Debütalbum Home Sweet Home von 2005 steht heute in einer (Plattenschrank-) Reihe mit den Frühwerken von Dizzee Rascal, Wiley und ja, Skepta. Und wie alle seine Kollegen ist auch Kano mehr als ein Musiker mit hoher Inselbegabung. Als Schauspier konnte er in Filmen wie “Rollin’ with The Nines” überzeugen, im UK-TV mit “Top Boy” alle, sogar Drake, schwer beeindrucken.
Am meisten freuen wir uns aber natürlich, dass Kano endlich mit neuer Musik zurück ist. Made in The Manor ist draußen und einer der besten Grime-MCs ever zeigt sich in absoluter Bestform.
Videos by VICE
Anstatt mit Kano jedoch lang und breit das Wie, Warum und Weshalb hinter der neuen Platte aufzuarbeiten, haben wir die Interview-Chance genutzt, um gemeinsam mit dem 30-Jährigen darüber zu sprechen, ob das, was vor allem der Grime-Laie im Netz über diese Musik erfährt, überhaupt stimmt. Und wer wüsste das besser als einer, der von Anfang an dabei war.
Wir präsentieren: Grime-Legende vs. Grime-Wikipedia.
Noisey: Hi Kano, du weißt ja worum es geht. Fangen wir doch einfach mal mit dem ersten Satz des englischen Wikipedia-Artikels zu Grime an.
Kano: OK!
Grime ist ein Musikgenre, das in den frühen 2000ern in England aufkam. Es ist in erster Linie eine Weiterentwicklung von UK garage und jungle
Kano: Hmmm, ja. Ja, das stimmt schon so. Zeitlich kommt das hin. Und ich würde auch definitiv sagen, dass es aus Garage heraus geboren wurde, weniger aus Jungle. Jungle ist eher ein Einfluss.
Grime kam in London auf und wurde ursprünglich über Piratensender wie Rinse FM, Deja Vu FM, Freete 92.7 und Raw Mission verbreitet…
Kano: Ja, es gab viele Radiostationen, aber ich denke Deja Vu war die wichtigste. Rinse auch. Aber bei Deja Vu gab es die ersten Sets von Roll Deep und N.A.S.T.Y Crew, der More Fire Crew, der East Connection… Aber Heat FM ist hier gar nicht erwähnt. Dort gab es JME und Skepta zuerst zu hören. Gerade für Nordlondon war dieser Sender wichtig. Heat FM würde ich auf jeden Fall zur Liste hinzufügen.
Unter den ersten Tracks, die “Grime” als eigenem Genre zugeordnet wurden, befanden sich “Eskimo”, “Ice Rink” und “Igloo” von Wiley, “Pulse X” von Musical Mob und “Creeper” von Danny Weed.
Kano: Puuuh, ich weiß nicht so recht gerade … Ich muss mich dazu kurz mit meinem Kumpel hier beraten. Hey! Sag mal, ist “Eskimo” nicht vor “Wat Do U Call It” erschienen?
Kanos Freund: Ja, auf jeden Fall.
Kano: Also, dann stimmt das also so nicht in dem Artikel. Der Song nach “Eskimo” von Wiley war “Wat Do U Call It”. “Eskimo” konnte also gar nicht zu den ersten Grime-Songs gehören, denn als Wiley “What Do U Call It” rausbrachte, war Grime gar nicht in der Liste der Genres, die dort aufgezählt werden. [Rappt] What U Call it Garage / Wat U Call it Urban / Wat U Call it 2 Step… Er hat Grime nicht mal erwähnt. Also gab es Grime auch noch gar nicht offiziell. “Eskimo” konnte also gar nicht unter den ersten Grime-Tracks gewesen sein. Also: Falsch!
Grime zeichnet sich durch komplexe 2-step, 4×4 Breakbeats und eine Geschwindigkeit um die 140 Bpm aus. Manchmal ist auch alles um einen Double-Time-Rhythmus gebaut und wird dabei von verschiedenen Synth-, Strecher- und Elektronic-Sounds getragen.
Kano: Wow! Keine Ahnung. Die Sache ist, diese Beschreibung erklärt einige Songs, aber ich denke nicht, dass jeder Song dieser Beschreibung entsprechen muss, um der Bezeichnung Grime zu entsprechen. Lasst doch einfach noch ein bisschen Raum für Weiterentwicklung—Evolution. Denn wenn man den Sound von HipHop aus Sicht der 80er beschreibt, würde Young Thug nicht als HipHop durchgehen. Sounds entwickeln sich stetig. Es ist doch eine Kultur …
Laut Alex de Jong und Marc Schuilenburg werden für Grime-Songs auch Sawtooth-Wave-Sounds (Chiptunes) aus Videospielen und Klingeltönen gesampelt. Diese Sounds waren damals gerade Teil des Alltagslebens in London und anderen Teilen des Landes geworden. Britische Grime-Texte handeln häufig auch von modernen Kommunikationsmitteln, wie sie bei den Künstlern und Hörern populär sind—Smartphones, Facebook, Twitter, Whatsapp und Snapchat.
Kano: Haha! Ähm, keine Ahnung, es gab wahrscheinlich mal eine Zeit, als Videospiele und Klingeltöne gesampelt wurden. Was aber viel wichtiger ist in diesem Zusammenhang: Ganze Grime-Songs wurden damals auf Videospiel-Konsolen gemacht—vor allem auf der Playstation. Also ja, irgendwie kommt das hin, aber irgendwie auch nicht… Was die Snapchat- und Twitter-Sache angeht: Das passiert doch auch in anderer Musik, seit es diese Sachen gibt.
Benutzt du Snapchat?
Nein.
Warum nicht?
Gibt keinen Grund.
Grime wurde auch kritisiert, vor allem von Politikern wie etwa Kim Howell, die Grime-Anhänger als “zutiefst rassistisch” finden (sic), mit Bezug auf berühmte Künstler und Crews bezeichntete. Diese nannte sie “prahlende Macho-Idioten-Rapper”…
Kano: Ach du liebe Zeit … Ein Haufen Machos und Angeber mit einem Mikrofon, ja? Haha!
Zum Schluss: Wie würdest du selbst Grime erklären?
Keine Ahnung! Echt nicht. Es ist, als müsste ich dir die Farbe Rot erklären. Es ist einfach Rot, eine Farbe! Und die hat für jeden eine andere Bedeutung, schätze ich. Ich sehe Grime als Musik. Nur als das, nichts anderes.
**