OK, wir machen es doch alle.
Wir alle wissen, dass die Meere voll mit Müll und Fangnetzen sind und dass viele unserer Lieblingsprodukte den Planeten zerstören, dass wir weniger Cheeseburger und mehr Leinsamen oder was auch immer essen sollten. Aber ganz ehrlich: Wer mittags mit einem Mordshunger im Büro sitzt, gibt dann doch anderen Bedürfnissen und Gelüsten den Vorrang. Zum Beispiel ein billiges Sushi-Menü vom Laden um die Ecke. „Ja, ja”, meinst du dann. „Ich liebe die Umwelt. Rettet den Planeten. Jetzt gib’ mir mal die Sojasauce.”
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Wir alle wissen, dass Überfischung eingroßes Problem ist und dass ein Großteil der Fische und Meeresfrüchte nicht nachhaltig gezüchtet oder gefangen wird. Aber wie schlimm kann es schon sein, ein oder zwei Mal pro Woche ein paar schlechte California-Rolls zu essen?
Zwei Experten für nachhaltigen Fisch erklären uns, wie sehr wir uns beim Sushi-Fließband schämen sollten: Timothy Fitzgerald arbeitet bei der amerikanische Umweltschutz-Organisation Environmental Defense Fund,Brandon Hill kümmert sich bei der Restaurantkette Bamboo Sushi aus Portland, der ersten mit Nachhaltigkeitszertifikat, um den Bereich Infrastrukturund arbeitet seit über zehn Jahren als Sushi-Koch. Beide arbeiten eng mit dem Seafood Watch Program des Monterey Bay Aquarium zusammen.
Und sorry: Sie haben keine guten Nachrichten für eure Garnelen-Tempura. Aber dafür haben sie ein paar Tipps, was ihr stattdessen bestellen könnt.
THUNFISCH
Brandon Hill: Roten Thunfisch will jeder essen—gerade auch hier in den USA. Es gibt Blauflossenthun, Großaugenthun und Gelbflossenthun. Es gibt gute Bestände, es gibt bedrohte. Aber selbst wenn nicht überfisch wird, sind die Fangmethoden oftmals schlecht. Vereinzelt wird in gesonderten Gebieten mit speziellen, nachhaltigen Fangmethoden gearbeitet, aber der Großteil des roten Thunfischs wird durch Langleinen gefangen, die gut 80 Kilometer lang sind und an die sie einen Haufen Haken machen und die sie dann nach drei Tagen einholen. Dabei beißt alles mögliche an.
Timothy Fitzgerald: Bei rotem Thunfisch gibt es viele nachhaltige und auch viele nicht nachhaltige Quellen. Gerade beim Sushi machen nur wenige Restaurants kenntlich, woher ihr Fisch kommt, und das müssen sie auch nicht, ganz im Gegensatz zum Supermarkt, wo auf den Produkten draufstehen muss, ob der Fisch aus Zucht oder Wildfang stammt und woher er kommt. Thunfisch im Sushi-Restaurant ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nachhaltig. Im Laden um die Ecke, beim Fließbandsushi oder allgemein in etwas günstigeren Lokalen wird man da nicht so sorgfältig sein. In manchen Ländern ist es auch erlaubt, Haien, die als Beifang mit Langleinen für Thunfische gefangen wurde, die Flosse abzuschneiden, das sogenannte Finning.
GELBSCHWANZ (BURI/HAMACHI)
Brandon Hill: Der meiste Gelbschwanz, der in den USA gegessen wird, kommt aus Aquakulturen in Japan und Australien, viele davon absolut umweltschädlich. Oft werden Jungfische gefangen, sie züchten sie weiter auf und verkaufen sie dann. Der Gelbschwanz gehört zu den Stachelmakrelen und in dieser Familie gibt es auch noch andere Sorten, die eine bessere Wahl wären.
Timothy Fitzgerald: Mal abgesehen vom Sushi wird Gelbschwanz sonst eher wenig gegessen. Zur Zeit wird er vor allem, wenn nicht sogar ausschließlich, gezüchtet. Für die Fütterung braucht man tonnenweise Fische, die Becken sind oft verschmutzt. Wenn man dir im Restaurant nicht genau sagen kann, woher der Gelbschwanz kommt, würde ich bezweifeln, dass er nachhaltig gefischt wurde.
LACHS
Brandon Hill: Nachhaltiger Lachs ist am einfachsten aufzutreiben: Es gibt einige Lachsfarmen, die in puncto Nachhaltigkeit und Sauberkeit echt gute Arbeit machen. In Washington züchtet ein Typ sie an Land, in großen Tanks mit geschlossenem Kreislauf. Wer meint, es gibt kein Sushi mit nachhaltigen Lachs, hat es nicht mal richtig probiert. Wenn man nicht gerade in einen spottbilligen Laden geht, dann bekommt man eventuell sogar Lachs aus Wildfang in Alaska.
Timothy Fitzgerald: Wildlachs aus Alaska ist eine gute Wahl, bei Lachs aus Zucht würde ich mich auf die Daten von Seafood Watch verlassen. Es gibt in einigen Ländern Lachsfarmen, die man nicht pauschal als gefährlich deklarieren sollte. Mehr und mehr Unternehmenfinden Wege, um die Risiken der Lachszucht zu vermindern. So generell ist es kein absolutes No-go, aber man bräuchte zusätzliche Informationen zum Fisch.
AAL
Brandon Hill: Aale sind wie Entfesselungskünstler und entwischen schnell. Die Fischer schaben regelrecht den Boden ab, um sie zu fangen. Aal, unagi, ist absolut nicht nachhaltig, außerdem können sie sich in Gefangenschaft nicht vermehren. Das sollte man im Restaurant also nur mit Zögern bestellen. In Japan wird auch anago gegessen, Seeaal, aber das ist von Restaurant zu Restaurant anders. Seeaal ist etwas magerer, hat dafür aber mehr Geschmack und schmeck nicht nur irgendwie süßlich nach Teriyaki-Sauce. Ein Sushi-Restaurant, dass das Geld wirklich wert ist, hat meist beides auf der Karte, weil beide wirklich sehr unterschiedlich sind.
Timothy Fitzgerald: Es gibt verschiedene Aale aus Wildfang oder Zuchtaale—obwohl sie damit eher meinen, dass sie Jungaale einfangen und dann in Becken hochziehen. In beiden Fällen werden damit die Wildbestände abgefischt. Die Aalbestände weltweit sind bedroht. Sie wachsen nicht besonders schnell, werden aber in großen Mengen gefangen, wenn auf Wanderung sind. Damit fängt man bei einem mal ganz einfach einen ganzen Haufen davon.
CALIFORNIA ROLLS
Brandon Hill: Für unsere California Rolls benutzen wir einen Mix aus Krebsen aus Wildfang und ein bisschen Krebsfleischimitat. Das ist eigentlich Pollack, auch Alaska-Seelachs. Nachhaltig und reichlich vorhanden, außerdem vermehren sie sich früh. Krebse aus Wildfang zu bekommen ist auch sehr einfach. Es gibt gutes Krebsfleischimitat und schlechtes, man muss einfach nur das richtige Zeug finden. Krebsfleisch allein war unseren Gästen anfangs nicht süß genug, weil sie so an das Imitat gewöhnt sind.
Timothy Fitzgerald: Der Pollack-Bestand wird streng gemanagt. Letztes Jahr war das der meist gefangene Fisch. Der Fang ist sehr industriell und effizient und es gibtüberraschend wenig Beifang. Die Quoten sind streng geregelt. Bei Sushi-Rollen mit echtem Krebsfleisch kommt das jedoch oft nicht aus der Region, sondern eher von den Philippinen, aus Vietnam, Thailand oder China. Und da wird die Sache brenzlig. Meistens wird hier nicht nachhaltig gefischt, die Krebse werden immer kleiner und es gibt viel Beifang. Hinzu kommen Probleme wie Zwangsarbeit und Menschenrechtsverletzungen, solche Dinge.
GARNELEN
Brandon Hill: Keine Frage, die sind ekelhaft. Deshalb schmecken viele von ihnen auch nach Schlamm. Bei Garnelen ist es echt schwer: Die aus Südostasien sind wirklich schlecht für die Umwelt und für dich—Antibiotika, Abwasser und so weiter. Wir benutzen Zuchtgarnelen aus Ecuador. Viele Firmen erkennen, dass es für hochqualitative Garnelen auch einen Markt gibt. Es gibt wilde Eismeergarnelen aus British Columbia, die sind umweltfreundlicher und schmecken fantastisch.
Timothy Fitzgerald: Am besten man vermeidet das Trio Thunfisch-Lachs-Garnelen komplett. Eine Ausnahme bei Garnelen, die man in einigen Restaurants finden kann, jedoch nicht in allen, sind Eismeergarnelen, wenn sie aus nachhaltigem Fischfang kommen, zum Beispiel aus Fallenfang von der Westküste. Die sind zwar etwas teurer, schmecken dafür umso besser. Aus Südostasien importierte Zuchtgarnelen enthalten immer noch so viele chemische Rückstände, Fungizide und Antibiotika, dass sie in den USA gar nicht erst das Schiff verlassen.
JAKOBSMUSCHELN
Brandon Hill: Es gibt wirklich gute Jakobsmuscheln. Muscheln, also Austern oder Miesmuscheln aus Aquakultur sind sogar für das Wasser, da sie es filtern und so sauberer machen. Jakobsmuscheln aus Zucht sind wirklich großartig. An der Ostküste gibt es fortschrittliche Unternehmen, die wilde Jakobsmuscheln sammeln. Sie orten sie mit Satelliten, graben sie dann frei und sammeln sie. Dabei gehen sie vorsichtig vor, sodass das Ökosystem drumherum nicht angegriffen wird.
Timothy Fitzgerald: Muscheln—Austern, Miesmuscheln oder Jakobsmuscheln—sind meist eine nachhaltige Option. In den USA kommen die meisten Jakobsmuscheln für Sushi von der Ostküste, an der Westküste gibt es das nicht so viel.
WAS KANN MAN ALSO ESSEN?
Brandon Hill: Weißer Thun ist eine gute Wahl, sehr umweltfreundlich. Die Fische vermehren sich frühzeitig, die Bestände sind gesund, vor allem im pazifischen Nordwesten der USA. Lecker, gesund und sehr reichhaltig vorhanden.
Muscheln stehen bei uns ganz oben: Miesmuscheln, Austern.
Sardinen, Makrelen und eingelegte kleine Fische sind auch super und ziemlich gesund. Die meisten meiden allerdings sie wegen des Fettgehalts.
Und natürliche andere Arten aus der Familie der Stachelmakrele außer Gelbschwanz.
Timothy Fitzgerald: Weißer Thun ist eine gute Option, hier in den USA kommt er auch meist aus nachhaltiger Fischerei von der Westküste und nicht aus Langleinenfang.
Makrelen sind oftmals auch nachhaltiger als andere Dinge auf der Karte.
Durch das Bamboo, das Tataki in San Francisco und andere nachhaltige Sushi-Restaurants wissen wir, dass man umweltbewusst und trotzdem lecker essen kann. Wenn die Gäste ein paar grundlegende Fragen im Restaurant stellen, dann ändern auch die vielleicht ihre Einstellung und geben den Kunden mehr Informationen und weichen auf nachhaltigere Alternativen aus.