Am Dienstag, den 26. Januar 2016 verurteilte ein kanadisches Gericht den Webmaster von best Gore, Mark Marek, zu sechs Monaten Haftstrafe auf Bewährung, drei Monaten Hausarrest und 30 Stunden gemeinnütziger Arbeit wegen sogenannter „sittlicher Korruption”. Verurteilt wurde Marek nach Artikel 163 des Strafgesetzes; einem Paragraphen der auch als „Obszönitätsgesetz” bekannt ist und in Kanada äußerst selten angewandt wird. Das Gesetz besagt, dass jeder, der „obszöne Materialien, Bilder, pornografische Aufnahmen herstellt, druckt, verteilt und verbreitet” mit „bis zu zwei Jahren Haft” bestraft werden kann. Der Kanadier hat sich bereits schuldig bekannt.
Der Fall Marek war außergewöhnlich: Im Mai 2012 war er der erste, der ein Video im Netz verbreitete, das unter dem Titel „1 Lunatic 1 Ice Pick” seine Kreise zog. Über elf Minuten sieht man darin eine Person, die sich in mehreren Akten der Nekrophilie und des Kannibalismus an einer erwürgten Leiche zu schaffen macht.
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Später stellte sich heraus, dass hinter dem Video Luka Rocco Magnotta steckte, der in der englischen Presse als „Häuter von Montreal” bzw. auf deutsch als „Pornomörder” bekannt wurde. 2014 wurde er für den Mord an Lin Jun 2014 zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
Mark Marek veröffentlichte „1 Lunatic 1 Ice Pick” auf seiner Website Best Gore, die er selbst als „Reality News-Website” bezeichnet. „Best Gore berichtet über Ereignisse, die so tatsächlich irgendwo auf der Welt geschehen”, erklärt der Kanadier auf der About-Page. „Die Fotos und Videos werden nicht durch ein Special Effects-Team aus Hollywood nachbearbeitet. Sie sind so real, wie sie es nur sein können und ich glaube, Menschen haben ein Anrecht auf die Wahrheit. Auf die echte, unzensierte Wahrheit.”
Im Klartext heißt das: Bilder und Filme von toten oder sterbenden Menschen.
Seit dem Launch der Seite am 30. April 2008 gab es 7.500 Veröffentlichungen auf Best Gore. Der Katalog der Grausamkeiten ist vielfältig: Er enthält Big-Budget-Mordvideos des Islamischen Staats, mit analogem Camcorder gefilmte Hinrichtungen tschetschenischer Rebellen und ganze Alben von Bildern entstellter Leichen aus Autounfällen. Das Publikum füttert die Seite mit immer neuen Fundstücken. Alles geht, solange es nicht gestellt ist.
Auf Anfrage von Motherboard erklärte Vasily Giro—ein Freiwilliger, der sich seit 2008 um die technische Wartung von Best Gore kümmert, wo er der Content der Website eigentlich herkommt: „Von unserem weitverzweigten Netzwerk von Unterstützer und Supporter. So hat auch Marek „1 Lunatic 1 Ice Pick” 2012 erhalten—als Email-Link zu einem anonymen Youtube-Video. Der Absender der Mail war Luka Magnotta selbst.”
Die Feinde sind klar: Es sind die Juden.
Als Marek sich im Mai 2012 dazu entschloss, das Video zu veröffentlichen, schrieb er in einem langen, warnenden Text dazu: „Das ist wahrscheinlich das Schlimmste, das du je sehen wirst.”
Die Behörden ignorierten die ersten Berichte über das Video. Das hielt die Best Gore Community aber nicht davon ab, ihre eigenen Nachforschungen über den Urheber zu starten—zwei Tage vor Beginn der offiziellen Ermittlungen richtete sich ihr Verdacht bereits auf Magnotta, der zuvor schon einige Bekanntheit durch Online-Videos erlangt hatte, in denen er Katzen folterte.
Die Geschwindigkeit, mit der die Community auf Best Gore Luka Magnotta identifizierte, ist auch ihrer schieren Größe geschuldet.
Noch 2011 registrierte Mark Mareks Website 8.2 Millionen Besucher. Nach dem Launch von 1 Lunatic 1 Ice Pick verdreifachte sich diese Besucherzahl; 2012 verkehrten schon 25 Millionen Besucher auf der Site. Seitdem hat Best Gore aufgehört zu zählen. „Bis zum 31. Dezember haben wir noch Google Analytics benutzt”, schreibt uns Vasily Kirov. „Doch wir hatten Bedenken, wie die Firma die gesammelten Daten nutzt, und haben unseren Account letztlich gelöscht.”
Wäre der Fall des „Häuters von Montreal” nicht so groß berichtet worden, hätte Best Gore vielleicht nie eine derartige Popularität erlangt. Nachdem auch die kanadische Polizei Luka Magnotta als Hauptverdächtigen identifizierte, galt Best Gore plötzlich als die Primärquelle für 1 Lunatic 1 Ice Pick. Auch das ursprüngliche Zögern der Ermittler nach den ersten Berichten über das Video trug dazu bei, dass die Behörden nun sehr plötzlich gegen die mittlerweile weitaus größere Website vorgingen.
„Wir wählen uns nur über Tor ein und kennen nur unsere Pseudonyme, so dass niemand andere Mitarbeiter identifizieren kann.”
Anfang Juni 2012 begann die Polizei von Montreal schließlich zu ermitteln. Man warf Mark Marek vor, „obzönes Material zu veröffentlichen” und nahm ihn schließlich nach über einem Jahr Ermittlungsarbeit fest. Am 17. Juni wurde Marek angeklagt. Nach wenigen Tagen wurde er zwar auf Kaution freigelassen, aber nur unter strengen Auflagen: Unter anderem war es ihm bis auf weiteres untersagt, das Internet zu benutzen. Ein echtes Problem für den Kanadier. Neben Best Gore betrieb er auch noch die Website „Reality News” und fungierte als Administrator von 30 weiteren Websites, die sich unter anderem Themen wie Musik oder Tourismus widmeten.
Auf Best Gore übernahmen anschließend die freiwilligen Mitarbeiter, die ihn zuvor bereits unterstützt hatten, das Ruder. Sie veröffentlichten unbeeindruckt weiter Material, das ihrer Meinung nach zur Mission von Best Gore passte, und schrieben ihre makaberen Begleittexte neben die Bilder.
Über die Anzahl an Mitarbeiter und ihre Organisation ist wenig bekannt. Auch Vasily Kirov wollte hierzu keine weitere Auskünfte erteilen und teile lediglich mit: „Wir schützen die Identität unserer Autoren. Wir wählen uns immer über das Tor-Netzwerk ein und kenne nur unsere Pseudonyme, so dass niemand jemanden identifizieren kann.”
Die Ermittlungen gegen Mark Marek und Best Gore sorgte allerdings auch für finanzielle Engpässe bei den Seitenbetreibern. Ende 2012 mussten die Seitenbetreiber ihre Einnahmenquellen ändern: Sie waren gezwungen von Spenden auf Porno-Werbebanner umzuschwenken, um den Betrieb der Seite aufrecht zu erhalten und mit dem Überschuss außerdem „Mark Marek zu unterstützen”, wie Kirow es ausdrückt. Zwei weitere Jahre existiert Best Gore auch ohne Hilfe seines Gründers weiter, während das Team der Seite in bester paranoider Tradition kontinuierlich die vermeintliche Korruption der kanadischen Justiz, angebliche Polizeigewalt gegen Marek und die Aushöhlung der Meinungsfreiheit anprangert. Für Vasily Kirow sind die Gründe klar: „Weil sich ein Großteil des Inhalts auf Best Gore um Polizeigewalt, staatliche Brutalität, Kriegsprofiteure und Psychopathen in Uniform dreht, die ihre Macht missbrauchen, um uns ruhigzustellen.”
Auf Best Gore werden diese „Kriegsprofiteure” und „Feinde der Wahrheit” noch etwas eindeutiger benannt. Es seien die Juden. Mark Marek und sein Team haben ihren wütenden Antisemitismus ausführlich dokumentiert: In Artikeln, die erklären sollen, wie Juden Konflikte triggern und am Leben erhalten, um sich selbst zu bereichern, wie sie den Holocaust erfunden hätten und wie sie ihre Weltmacht durch gezielt gestreute Lügen in einem von ihnen gesteuerten Presseimperium aufrecht erhielten. Der Grund für diesen Hass ist derselbe, der Best Gore zur Ausstrahlung von Todesfilmen treibt: Ein vemeintlicher „Kampf um die Wahrheit”.
So rechtfertigt Mark Marek die Existenz seiner Website als Enthüllungsplattform: „Es ist unsere Pflicht und unsere Verantwortung, zu wissen, was geschieht. (…) Best Gore wurde eingerichtet, um die Menschen aufzuwecken.” Vasily Kirow teilt diese Ansicht: „Best Gore ist die ehrlichste aller Internetnetseiten. Für ihn (Marek) zu arbeiten, ist ein unglaubliches Privileg. (…) Er hat den Mut, die Wahrheit zu suchen, wo auch immer ihn dieser Weg hinführt.” Und neben der Dokumentation von Grausamkeiten durch Drogenkartelle oder Menschen wie Luka Magnotta gehört für die antisemitische „Redaktion” von Best Gore eben auch dazu, die Lügen einer vermeintlichen jüdischen Verschwörung aufzudecken.
Trotz ihres unverblümten Hasses wurden die Vertreter von Best Gore nie wegen Volksverhetzung angeklagt, was nach kanadischen Recht strafbar wäre. Zwischen Anklage und Verurteilung von Mark Marek passte sein Team auf, die antisemitische Dimension von Best Gore nicht zu offen zur Schau zu stellen. Stattdessen porträtierte es den Gründer als eine Art Kämpfer für freie Meinungsäußerung, der zu Unrecht verfolgt wird. „Die Verfolgung gegen mich ist politischer und nicht krimineller Natur”, sagte er selbst 2015. „Deswegen bereite ich auch keine Verteidigung vor. Ich bin bereit, für das, an das ich glaube, ins Gefängnis zu gehen: ein freies und offenes Internet und das Recht auf Information für alle.”
Das Berufen auf ein Recht auf freie Informationen erfreut sich unter Websites, die gewalttätige Inhalte verbreiten, überaus großer Beliebtheit. Dazu passt auch das Hosting von LiveLeaks-Videos: Seit dem Launch von LiveLeak im Jahr 2006 wollte Mitgründer und Hauptverantwortlicher Hayden Hewitt ein unzensiertes, alternatives Medium anbieten, allerdings keine Gore-Seite. Anders als Best Gore akzeptiert LiveLeaks nur Content, der von Moderatoren als ausreichend informativ eingestuft wird. In einer Antwort an Motherboard verteidigt Hewitt bezüglich des Verfahrens gegen Mark Marek den Kanadier dennoch: „Ich finde, der Vorwurf der „sittlichen Korruption” ist ziemlich lächerlich, klar ist jedoch: Die Behörden wollten irgendwas verfolgen und da kam das zupass.”
Der Gründer von LiveLeaks könnte Recht behalten. Kanadische und US-Gesetze, auf dessen Territorium Best Gore gehostet wird, stellen die Verbreitung von Bildern mit Todesdarstellungen im Namen der Informations- und Meinungsfreiheit nicht unter Strafe.
Unglücklicherweise—für Mark Marek zumindest— schätzt die kanadische Regierung „1 Lunatic 1 Ice Pick” als zu „öbszon”, also zu abscheulich ein, um dem allgemeinen öffentlichen Interesse zu dienen. Die kanadische Justiz könnte den schwammigen Artikel 163 auch noch gegen weitere, beliebige Gore- oder Pornoseite anwenden Tatsächlich wird er sogar manchmal gegen skandalträchtige Medien eingesetzt, die nicht mal authentisch sein müssen. Noch 2009 wurde so Rémy Couture angeklagt, ein Special Effects-Künstler, der manche seiner Zuschauer mit allzu realistischen Darstellungen schockte.
In Sachen Mark Marek und seiner Verfolgung durch das Obszönitätsgesetz haben die Behörden die Ermittlungen gegen den Webmaster in seiner Rolle als Agitator abgeschlossen. Am 25. Januar, nach seinem Schuldeingeständnis vor Gericht, veröffentlichte er einen offenen Brief auf seiner Website, in welchem er sich über die Verhandlung lustig machte: „Ich denke, also bin ich—Descartes’ Satz könnte auch auf kanadische Moralprinzipien angewandt werden: Ich denke, also bin ich schuldig.” Am nächsten Tag verließ er das Gerichtsgebäude mit einem selbstgebastelten Schild, auf dem zu lesen war: „Schuldig eines kanadischen Gedankenverbrechens”. Best Gore ist noch nicht fertig mit seinem „Kampf für die Wahrheit”.