Als ich ein Kind war, haben meine Eltern mich erpresst. Mit Lego, Playmobil und He-Man- Actionfiguren von Mattel. Wir hatten zu Hause nämlich eine Regel: Wenn ich abends brav Zähne putzte, malte meine Mutter einen Smiley in eine Liste, die am Badezimmerschrank klebte. 30 Smileys, einen ganzen Monat lang Zähneputzen, belohnten meine Eltern mit einem Ausflug zu Toys ‘R’ us, dem schönsten Ort meiner Kindheit.
Diesen Ort wird es nicht mehr lange geben. Toys ‘R’ us, der wohl bekannteste Spielzeughändler der Welt, ist pleite. Zu stark war in den USA die Konkurrenz durch Amazon und andere Onlinehändler. Die Insolvenz betrifft zunächst nur die knapp 900 amerikanischen Filialen. Dort haben die ersten Spielzeughersteller schon die Lieferungen an Toys ‘R’ us eingestellt. Es ist der Anfang vom Ende. Die letzte Chance ist das Weihnachtsgeschäft. Weil aber auch in Deutschland immer mehr Menschen online einkaufen, könnten bald auch die 90 Filialen im deutschsprachigen Raum gefährdet sein. Für die rund 2.000 Mitarbeiter hieße das, dass sie ihren Job verlieren. Für mich sind solche Nachrichten Signale, die zeigen: Ich werde erwachsen. Meine Kindheit stirbt mit Geschäften wie Toys ‘R’ us, mit denen ich groß geworden bin.
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Ein Ausflug zu meinem Toys ‘R’ us war jedes Mal ein Abenteuer. Eine halbe Stunde fuhren wir auf der Autobahn, weil die Filiale in einem Gewerbepark am Stadtrand stand. Vorne rauchten meine Eltern Kette, auf dem Rücksitz unseres Opel Astras saß ich, in meinen Händen die Liste mit den 30 Smileys. Ich war unfassbar glücklich – und sobald ich den Laden betrat, unfassbar überfordert. Als Kind, das noch kein Gefühl für Raum hatte, verschluckte mich der riesige Laden. Brettspiele von MB, die ich aus der Werbung mit dem Gong kannte und deren Schachteln mich von Italien, den Azteken oder dem Ozean träumen ließen. Ich hätte Tage verbringen können in der Abteilung voller knallbunter Keyboards, Taschenrechner und seltsamer Produkte, die ich zwar nicht verstand, aber die blinkten, piepsten, manchmal auch muhten. Selbst die Ansagen der Kassierer – “Einmal Frau Knuthsen, die 74 an Kasse 8” – klangen nach Geheimnissen, die ich entdecken wollte.
Was waren das für gestörte Erwachsene, die sich das Super Toy Race ausgedacht haben?
Ein Ort, der mich im Toys ‘R’ us besonders anzog, lag hinter dem Barbie-Regal. Auf einem riesigen Fernseher liefen Szenen aus dem Super Toy Club, eine Sendung die seit 1999 auf Super RTL lief. Zwei Teams, streng getrennt nach Mädchen und Jungen, kämpften um den Einzug ins Finale. Die Kinder, die das Super Toy Race erreichten, durften dreieinhalb Minuten einen Toys ‘R’ us leerräumen! Für Kinder wie mich war die Sendung ein sado-masochistisches Vergnügen. Einerseits war es eine Qual, anderen Kindern dabei zuzusehen, wie sie alles in den Wagen warfen, was sie haben wollten. Manche Kinder nahmen sich dafür sogar gegenseitig auf die Schultern, um besonders teure Spielsachen aus den oberen Regalen zu erreichen. Andererseits, und das war die sadistische Freude, hat es kaum ein Team geschafft, innerhalb der dreieinhalb Minuten am Ausgang des Ladens anzukommen. Nur wer das schaffte, durfte das Spielzeug auch behalten. Selber schuld, dachte ich damals, wenn ich die heulenden Kinder gesehen habe. Wer zu viel will, kriegt gar nichts. Heute denke ich: Was für gestörte Erwachsene haben sich ein Spiel ausgedacht, bei dem Kinder an ihrer eigenen Gier nach Spielsachen scheitern?
Toys ‘R’ us war vor allem deshalb ein mystischer Ort, weil ich so verdammt selten da war. Ich bin oft daran gescheitert, die 30 Smilies zu sammeln. Wenn ich nur einmal meckerte beim Zähneputzen, verfielen sie. Meine Mutter warf die Liste in den Mülleimer und ich musste von vorne anfangen. Ich bin zwar in einem sozialdemokratischen Elternhaus aufgewachsen, aber die Erziehung folgte einem neoliberalen Leistungsprinzip.
Die Filialen von Toys ‘R’ us mögen schließen, die Erinnerungen daran bleiben. Und es gibt eine gute Nachricht: Super RTL hat ein Comeback für den Super Toy Club angekündigt. Die erste Ausgabe läuft an diesem Wochenende. Hoffentlich haben die Macher die Spielregeln ein bisschen kindgerechter gestaltet. Nur eines, das dürfen sie nicht ändern: dass Kinder beim Super Toy Race nach Herzenslust “SCHEIßE” sagen durften und das niemals rausgeschnitten wurde.
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