Annegret Kramp-Karrenbauer hat in einer Karnevalssendung im SWR gezeigt, dass ihre Comedy Skills irgendwo zwischen Mario Barth, Chris Tall und Horst Seehofer liegen: AKK hat sich öffentlich über intergeschlechtliche und transsexuelle Personen lustig gemacht – und über alle, die sich dafür starkmachen.
Konkret ging es dabei um Unisex-Toiletten, die laut der CDU-Vorsitzenden gerade von der Berliner “Latte-Macchiato-Fraktion” eingeführt würden. Die Toilette sei “für das dritte Geschlecht” und damit “für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder ob sie schon sitzen müssen”. Anscheinend muss sich AKK zuhause nicht nur regelmäßig auf eine von ihrem Mann vollgepinkelte Klobrille setzen – sie hat offensichtlich auch keinen Plan von Intergeschlechtlichkeit.
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Wir haben mit zwei intergeschlechtlichen Personen darüber gesprochen, wie sie Diskriminierung erleben, auch außerhalb des Karnevals.
Vanja, 29, Gärtner
VICE: Wie hast du dich gefühlt, als du das Video von AKK gesehen hast?
Vanja: Nicht gut. Der Witz hat mich nicht überrascht, aber das war kein schönes Gefühl. Ich hab sowieso den Eindruck, dass Leute gerne solche Witze machen. Wenn der Witz dann von einem Menschen in so einer mächtigen Position kommt, ist das nochmal was Anderes.
Wenn du AKK was sagen könntest, was wäre das?
Ich würde ihr sagen, dass es wichtiger wäre, sich mal wirklich mit dem Thema Intergeschlechtlichkeit auseinanderzusetzen, als das einfach nicht ernst zu nehmen. Es muss auch nicht immer gleich um die Toilette gehen. Es gibt ja in dieser Hinsicht noch andere wichtige Themen, vor allem im medizinischen Bereich.
Wirst du oft das Ziel solcher “Witze” oder anderer Diskriminierungen?
Ich kenne das vor allem aus der Pubertät, dass Leute sich gerne darüber lustig machen. Als Kind wurde ich auch oft von Toiletten weggeschickt, das war mit 7 oder 8 Jahren. Aber auch über meine Klage, bei der es mir um Anerkennung für meine Intergeschlechtlichkeit ging, haben sich online viele Leute lustig gemacht. (Anm. d. Red.: Vanja klagte 2016 am Bundesgerichtshof für die Eintragung von “inter” als offizielles Geschlecht.)
Wie erlebst du in deinem Alltag Diskriminierung?
Schwierig ist es immer, auf neue Leute zu treffen, weil ich dann immer erstmal ganz viel erklären muss. Ich möchte ja schon was von meiner Identität teilen und bei Leuten, die mich noch nicht kennen, nicht einfach als Mann oder Frau gelten. In den meisten Fällen erkläre ich dann lieber meine Intersexualtiät. Ich bin deswegen aber eine Zeit lang kaum in die Öffentlichkeit gegangen.
Was hat sich für dich verändert, seit die Regierung die dritte Option beschlossen hat?
Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass sich seitdem einiges verändert hat. Auch wenn es zum Teil negative Reaktionen wie von AKK gibt, merkt man, dass mittlerweile viele Leute zumindest schonmal von Intersexualität gehört haben. Viele sind natürlich erstmal abwehrend, weil es was Neues ist. Aber zumindest gibt es Aufmerksamkeit für das Thema, auch wenn sich Leute lustig machen. Wenn sich jemand lustig macht kann man zumindest dagegen argumentieren und ins Gespräch kommen. Davor hatte ich das Gefühl, dass das Thema komplett ignoriert wurde. Mein persönlicher Eindruck ist, dass es seit der dritten Option mehr Ablehnung, aber auch mehr Unterstützung für Intergeschlechtliche gibt.
Wie können nicht-intergeschlechtliche Menschen deinen Alltag einfacher machen?
Ich fände es schön, wenn mehr nicht-intergeschlechtliche Menschen sich ein bisschen mehr mit dem Thema beschäftigen und eine gewisse Offenheit zeigen können. Die Leute sollen lernen, dass sie sich nicht in ihrem Geschlecht angegriffen fühlen müssen, nur weil Andere ein anderes Geschlecht haben.
Wo siehst du das größte Problem intersexueller Menschen?
Das größte Problem ist, dass die Medizin Intersexualität noch nicht als Geschlecht, sondern als Störung sieht. Außerdem liegt der Fokus der Medizin leider nicht auf den Gefühlen der intergeschlechtlichen Person. Auch wenn die sich vielleicht wohl fühlt in ihrem Körper, wird zur Operation geraten. Und schon Kinder werden einfach an den männlichen oder den weiblichen Körper angeglichen, obwohl sie noch gar keine Zustimmung geben können. Da hat sich leider nicht viel verändert. Kinder, die noch nicht selbst über ihr Geschlecht entscheiden können, sollten auf keinen Fall operiert werden.
Auch bei VICE: Das Experiment: Wer kennt AKK?
Lucie Veith, 62, Gründungsmitglied von “Intersexuelle Menschen e.V.“
VICE: Wie hast du dich gefühlt, als du das Video von AKK gesehen hast?
Lucie Veith: Der Schock sitzt bei mir immer noch tief. Ich hätte nicht erwartet, dass eine sehr mächtige Frau in Deutschland so unreflektiert auf eine Minderheit einschlägt. So viel Flachheit begegnet mir sonst nicht. Ich kenne viele intergeschlechtliche Menschen, die tatsächlich immer wieder Probleme haben, weil ihr Körper nicht eindeutig männlich oder weiblich gelesen wird. Wenn die einen Waschraum aufsuchen, heißt es dann tatsächlich “Junger Mann, sie haben hier aber nichts zu suchen” oder “Ich glaube, sie haben sich in der Tür vertan”.
Kramp-Karrenbauer echauffiert sich über diese Menschen, die einfach mal in Ruhe auf die Toilette gehen möchten, und reflektiert überhaupt nicht, dass hier ein gesellschaftlicher Wandel dringend notwendig ist. Am meisten hat mich gestört, dass auch noch die grölende Masse dahinter stand.
Wenn du AKK was sagen könntest, was wäre das?
Ich würde ihr sagen, dass ich mich schäme. Für sie.
Wirst du oft das Ziel solcher “Witze” oder anderer Diskriminierungen?
Ich erfahre wenig direkte Diskriminierung. Das macht niemand mehr heute. Das passiert nur bei Menschen, die nicht wissen, was Intergeschlechtlichkeit bedeutet. Sie denken, dass sei etwas, was man sich aussuchen könnte. Es liegt an dieser Reduktion auf zwei Geschlechter. Wenn man nicht in diese Norm passt, ist man behandlungsbedürftig. Die meisten Menschen, die verstanden haben, was Intergeschlechtlichkeit bedeutet, sind sehr empathisch und freundlich, und finden es nicht in Ordnung, wenn Menschen ohne ihre Zustimmung in eine Rolle gepresst werden.
Mir ist klar, dass im Karneval derbe Witze gemacht werden. Ich will das auch gar nicht hochschrauben. Auf der anderen Seite trifft mich das aber. Ich habe Montagmorgen so viele Mails und WhatsApps bekommen von Menschen, die sich wirklich hilflos an mich gewandt und gefragt haben, ob ich das verstehen kann. Das ist unterirdisch, was da passiert. Das war Exklusion. Dieser Witz hat verheerende Auswirkungen.
Ist der Witz das Schlimmste oder die dahinterstehende Haltung?
Es ist die Haltung! Die macht uns sprachlos. Der Witz an sich, Schwamm drüber! Aber diese mangelnde Empathie ist schlimm. In Deutschland werden bis heute Kinder ohne Einwilligung an ihren Genitalien operiert, damit sie einem Normbild entsprechen. Und jetzt stellt sich die Vorsitzende einer großen Volkspartei hin und macht sich lustig. Sie macht sich ja gar nicht über die intergeschlechtlichen Menschen selbst lustig, sondern über diejenigen, die sich für die Rechte von intergeschlechtlichen Menschen einsetzen, und bezeichnet sie als “Latte Macchiato Fraktion”. Das war unterstes Stammtischgerede, was sie da geliefert hat. Ich überlege, ob ich gerichtlich gegen sie vorgehe. Ich sehe das in jedem Fall als einen überprüfbaren Fall von Diskriminierung an.
Was hat sich für dich verändert, seit die Regierung eine dritte Option beschlossen hat?
Ich habe mich für die Personen, die so dafür gekämpft haben, sehr gefreut. Für mich selbst spielt es aber keine große Rolle, dass es eine dritte Option im Geburtenbuch gibt. Trotzdem kann ich mich solidarisch mit den Menschen verhalten, die das gerne hätten. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass wir endlich klar “Stop” zu denen sagen, die bis heute an den Genitalien von Kindern operieren, ohne, dass diese Kinder krank sind oder darum bitten. Ich bedauere sehr, dass man das nicht im ersten Schritt umgesetzt hat. Frau Kramp-Karrenbauer steht ja für eine Partei, die großen Einfluss auf die Tagespolitik hat. Ich erwarte von ihr, dass sie das Beste für diese Minderheiten unternimmt und sich nicht über sie lustig macht. Ich frage mich, was so ein Witz mit Eltern macht, die vor der Entscheidung stehen, ob sie ihrem Kind das Recht auf körperliche Unversehrtheit lassen.