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Wie man eine Freundin unterstützt, die von ihrem Freund geschlagen wird

Eine Frauneben einer Faust

Feministin, Gastarbeitertochter und VICE-Kolumnistin: Alexandra Stanić schreibt wöchentlich darüber, wie sie Politik, Rassismus und Sexismus erlebt.

Ich soll Sara anrufen, sagt meine Freundin. Sie könne nicht sagen, worum es geht. Aber es sei dringend. Sara heißt nicht wirklich Sara – um sie zu schützen, nenne ich ihren Namen nicht und spare mir Details. Nur so viel: Sara wurde von ihrem Freund angegriffen, in ihrer gemeinsamen Wohnung. Sara braucht Hilfe, das weiß ich. Aber wie ich hier helfen soll, das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich rufe sie an, sage, ich würde vorbeikommen.

Im Laufe dieses Jahres wurden hier in Österreich 18 Femizide begangen. Jede fünfte Frau in Österreich ist ab ihrem 15. Lebensjahr Gewalt ausgesetzt. Der gefährlichste Ort für Frauen sind die eigenen vier Wände. Die Zahlen sprechen für sich, das Ziehen in meiner Magengrube wird stärker. Mir ist übel. Es hat viele Jahre gebraucht, bis ich verstanden habe, wie “normal” häusliche Gewalt auch in meinem sozialen Umfeld ist. Hinter Saras Geschichte und der vieler anderer Frauen, und auch der weniger Männer, steckt ein schmerzhaftes Muster, das nicht nur mir, sondern auch jeder anderen Person, die mit häuslicher Gewalt zu tun hat, sehr bekannt vorkommt. Gewalt geht nicht nur von betrunkenen Männern aus, die im Gebüsch auf dich warten. Gewalt ist im Leben vieler Frauen alltäglich.

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Vor über zehn Jahren ist mir das Muster zum ersten Mal begegnet. Erkannt habe ich es damals noch nicht. Ich war 17, als eine Freundin mir erzählte, dass ihr Freund sie geohrfeigt hat – aus Eifersucht. Sie war hilflos, ich war hilflos.

Ich verstand nicht, warum sie sich nicht von ihm trennte. Bis dahin kannte ich Gewalt nur von “problematischen Erwachsenen”, deren Leben nichts mit meinem zu tun hatte. Aber diese Freundin, die hätte auch ich sein können.


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Die Hilflosigkeit überkam mich Jahre später wieder, als eine Freundin mir anvertraute, dass ihr Ex-Freund sie schlug und beleidigte. Als sie schwanger war, hätte er sie in einem seiner Wutanfälle in den Bauch getreten. Angezeigt hat sie ihn nicht: Dafür war ihre Angst vor ihm zu groß, sagt sie.

Zurück ins heute, zurück zu Sara. Wir sitzen auf ihrem Küchenboden, es ist mitten in der Nacht. Sie gibt sich bis zu einem gewissen Grad die Schuld daran, dass ihr Freund sie angegriffen hat. “Ich habe mich zu viel beschwert”, sagt sie und ihre Stimme klingt schon fast versöhnlich, so als wolle sie ihn in Schutz nehmen.

Ich versuche, nüchtern und aufmunternd zu sein. Aber ich kämpfe mit den Tränen. In mir tobt die Wut. Sara bedeutet mir viel. Es fühlt sich so an, als würde jemand nach mir treten, als sie mir erzählt, dass ihr Partner nach ihr getreten hat. Unsere gemeinsame Freundin, die nicht in der Stadt ist, und deshalb mich gebeten hat, für Sara da zu sein, hat Angst, dass er sie noch einmal attackieren könnte. Auch ich habe Angst um sie. Furchtbare Angst. Wieso hat Sara nicht mehr Angst um sich selbst? Warum sitzen wir noch in ihrer gemeinsamen Wohnung?

Ich habe Sara diese Fragen nicht gestellt. Aus Rücksicht, oder Vorsicht, oder weil ich mich nicht getraut habe, ihr zu nah zu treten.

“Du verstehst das nicht”, sagt Sara.

Ich schweige zunächst.

“Du musst dich vor mir nicht rechtfertigen, ich möchte nur, dass du weißt, dass du nicht alleine bist”, antworte ich und versuche, ruhig zu klingen. Aber meine Stimme ist zittrig, ich fühle mich machtlos.

Aber ich weiß, was zu tun ist.

Nach unseren Gespräch ist mir klar: Sara wird meine Hilfe höchstwahrscheinlich nicht annehmen. Weil es “ein Ausrutscher” war; weil sie ihn liebt; weil sie denkt, ich sei von all dem viel zu weit entfernt, trotz meiner jahrelangen, journalistischen Arbeit in diesem Gebiet. Für Sara lebe ich in einer realitätsfernen Blase, in einer Welt voller theoretischer Schritte, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Und trotzdem bin ich einfach für sie da.

Ich überlasse Sara das Reden, das ist wichtig. Sie muss wissen, dass sie gehört wird, ohne verurteilt zu werden. Aber ich nenne Sara Stellen, an die sich wenden kann, gebe ihr die nötigen Informationen und biete ihr konkrete Hilfeleistungen an: Du kannst bei mir schlafen, bis du eine Lösung gefunden hast. Ich borge dir Geld für eine eigene Wohnung, bis du finanziell unabhängig bist. Ich begleite dich zu Institutionen, die von Gewalt betroffene Frauen unterstützen. Aber ich merke: Sara sieht sich nicht als eine von den fünf Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. “Bei mir ist es anders”, sagt sie und es versetzt mir einen Stich. Die Statistiken sprechen für sich. Aber das will Sara nicht hören.

Ich sage, dass er wieder handgreiflich werden könnte, wenn er nicht dringend mit professioneller Hilfe an seinem aggressiven, toxischen Verhalten arbeitet. Diesen Satz habe ich schon so oft gesagt, ich kann ihn auswendig. Sara schüttelt den Kopf, sagt, ihre Beziehung sei gerade schwierig, aber sie könne sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen. Er habe kein Geld und keine Zeit für eine Therapie und er habe ihr versprochen, es würde nicht noch einmal passieren. Sie erklärt, dass er eine schlimme Kindheit hatte, Traumata erlebt hat.

Ich möchte schreien vor Wut. Ich bin nicht wütend auf Sara. Ich bin wütend auf ihren Freund, seinen Besitzanspruch und seinen mitunter lebensgefährlichen Umgang mit Aggressionen.

Experten und Expertinnen haben viele Erklärungen, warum Frauen bei gewaltvollen Männern bleiben. Viele rationalisieren die Angriffe oder suchen die Schuld bei sich. In ihrem Ted-Talk fragt sich Autorin Leslie Morgan Steiner, warum sie geblieben ist. “Weil ich nicht gemerkt habe, dass er mich misshandelt hat.”

Schock – Angst – Wut – Frust. Die Gefühle sind immer die gleichen, die Geschichten der betroffenen Frauen oft zu ähnlich. Schock, weil ich nichts gemerkt hatte. Angst um eine Freundin. Wut auf die Gesellschaft, die Frauen nicht besser schützt. Wut auf Männer, die grenzüberschreitend handeln. Wut auf Medien, weil sie falsch über Gewalt gegen Frauen berichten. Frust, weil sich nichts bessert, auch nicht nach dem 18. Feminizid dieses Jahr.

Bis dahin hilft nur eines: Reden. Und zusammenhalten.

Frauen, die häusliche oder sexualisierte Gewalt erlebt haben, oder gegen ihren Willen zu Handlungen gezwungen wurden, wird in Deutschland unter der Nummer 08000 11 60 16 Hilfe angeboten. In Österreich kannst du dich an die Frauenhelpline gegen Gewalt wenden: 0800 222 555. In der Schweiz bekommen betroffene Frauen bei der Beratungsstelle für Frauen und unter deren Nummer 044 278 99 99 Hilfe.

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