Haltung bewahren—wider die Beliebigkeit!


Foto: Tom Palluch

Selbstverständlich gibt es drängendere Probleme im Bereich des rechten, nationalistischen Spektrums als sich über ein paar heimatverbundene Sänger aufzuregen. Da wäre an erster Stelle zum Beispiel der Skandal um die Morde der Zwickauer Nazi-Terrorzelle, genannt NSU, zu nennen. Zehn Jahre lang konnte die Gruppe anscheinend unbehelligt und unentdeckt vom deutschen Rechtsstaat im Untergrund operieren. Bei den Ermittlungen reiht sich Panne an Panne, so dass man fast lachen möchte, wenn es nicht so zum Weinen wäre. National befreite Zonen und rechte Jugendhäuser gibt es auch immer noch, rechte Übergriffe auf Andersdenkende und Andersaussehende nicht minder und das Nazigedenken an deutsche Kriegsopfer ebenfalls. Das alles sind echte Probleme und warum sich dann über einen heimatverbundenen Volksmusik-Opa wie Heino ärgern oder über eine ebenso heimatverbundene Band wie Frei.Wild? Ganz einfach, weil alles mit allem zu tun hat.

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Letzte Woche erreichte uns die Pressemitteilung, dass sich das Rock Magazin Visions nicht mehr an der Präsentation des With-Full-Force-Festivals bei Leipzig beteiligen will, da die Festivalmacher offensichtlich beschlossen haben, die südtiroler Band Frei.Wild einzuladen, woraufhin Frei.Wild wiederum ihre Teilnahme abgesagt haben.

Festivalbetreiber und Freunde der Band verstehen das nicht und weinen über die Hexenjagd, die Vorverurteilung und die Intoleranz der „pseudomoralischen Gutmenschen“. Sie sprechen von Meinungsfreiheit und sehen sich darin bestätigt, von einer gleichgeschalteten, liberalen Öffentlichkeit verfolgt und ausgegrenzt zu werden. Dabei würden sie doch nur das sagen, was das Volk hören will und wonach die Leute anscheinend dürsten. Ist doch alles nicht so schlimm.

Leider haben sie mit der Feststellung, dass die Leute so etwas hören wollen, gar nicht so unrecht und die Frage, warum das Volk gerade nach solcherlei Inhalten dürstet, stellt sich fast dringlicher als sich damit zu beschäftigen, ob es wirklich schlimm ist, was die vier Hanseln aus Südtirol zu erzählen haben. Schlimm aber ist es allemal, wenn auch etwas komplex.

Frei.Wild singen von der Heimat, wobei sie darauf hinweisen, dass das Wort Heimat in Südtirol einen ganz anderen Klang habe, als zum Beispiel in der Bundesrepublik, wo es immer rechtsradikal besetzt sei. Nun ist diese Behauptung nicht gänzlich von der Hand zu weisen, schließlich empfinden sich die Südtiroler, die seit 1918 zu Italien gehören, als unterdrückte Minderheit, die sich gegen die Unterdrückung ihrer Kultur durch die italienische Politik zur Wehr setzen musste. Das führte dazu, dass noch in den 70er Jahren italienische Denkmäler gesprengt wurden, Polizeistationen der Carabinieri angegriffen wurden und sich in schöner Regelmäßigkeit südtiroler und italienischstämmige Jugendliche auf die Fresse hauten. So genannte Mischehen zwischen Südtirolern und Italienern waren verpönt. Südtirol selbst hatte unter dem italienischen Faschismus zu leiden, weshalb der südtiroler Widerstand zum Teil auch antifaschistische Züge trug. Nichtsdestotrotz handelte und handelt es sich um eine nationalistische, auf Blut-und-Boden-Denke basierende und auf ethnische Reinerhaltung ausgerichtete Bewegung. Nach 1972 hat Südtirol als autonome Region eine weitgehende politische Selbständigkeit erreicht, doch die alten Gedanken sind weiterhin aktiv. Statt mit der Waffe in der Hand gegen die italienische Vorherrschaft zu kämpfen, müsse man sich nun gegen Überfremdung, Islamisierung und für den Erhalt der eigenen Reinheit engagieren. Hier kommt dann wiederum Frei.Wild ins Spiel. Es mag ja sein, dass die Band aus ganz eigenen, persönlichen Erfahrungen und vollkommen unbedarft, ja fast naiv, Worte wie „Heimat heißt Volk, Tradition und Sprache“ oder „Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat / Ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk“ von sich gibt. Doch was hören die Menschen außerhalb der Enklave Südtirol, die zu Frei.Wild Konzerten pilgern und mit Südtirol und der südtiroler Sache gar nichts zu tun haben? Heimat. Reinerhaltung. Verteidigen. Blut. Selbst wenn sich Frei.Wild in Südtirol selbst an genauso „unpolitische“ Leute richten sollte—in Deutschland finden sie ein anderes Publikum, das ganz genau weiß, was es mit den oben genannten Schlagworten anzufangen hat.

Ganz so naiv und unbedarft und unpolitisch, wie der liebe Philipp Burger, Frontmann von Frei.Wild, es glauben machen möchte, ist die ganze Sache ohnehin nicht. Dass er selbst in seiner Jugend rechtsradikaler Skinhead war und laut eigenen Aussagen „zwischen 15 und 18 nicht so gelebt hat, wie man das hätte tun sollen“—geschenkt. In einem ekelhaften, aalglatten Interview, das Burger im letzten Jahr vor malerischer Bergkulisse aufnehmen ließ, windet er sich gegen Vorwürfe des Nationalismus und bezeichnet ein früheres Interview, in dem er sagte, dass er nichts gegen Nazi-Skinheads auf seinen Konzerten habe, solange die sich ordentlich benehmen würden, als „unweise Worte eines Menschen, der das nicht so hinterfragt hat, wie ich es heute tue.“ Burger spricht sich in dem Alpenpanoramainterview also explizit gegen Nazis auf seinen Konzerten aus, nicht ohne aber ab Minute 9 zu mutmaßen, dass es „machbar und denkbar“ sei, „dass es diese Anti-Frei.Wild Liga [schafft], mit zwei, drei Leuten, die man vorschickt, dieses ganze Fest zu beschmutzen.“

Das ganze Interview ist ein Trauerspiel in 12 Minuten:

Betrachtet man dann auch noch die politische Vergangenheit von Philipp Burger, dann ist die Behauptung, Frei.Wild sei eine ideologiefreie Band, genau das, was es ist, eine Lüge.

2008 war Burger im Bezirksvorstand Brixen-Eisacktal der rechtspopulistischen südtiroler Partei „die Freiheitlichen“ tätig, und deren Parteimitglied. Auf Druck der Öffentlichkeit und weil das Management der Band wohl erkannte, dass diese Art von politischer Positionierung auf lange Sicht eher schädlich ist, ließ sich Burger dazu überreden, von seinem Amt zurück- und aus der Partei auszutreten, was er selbst so kommentierte: “Was die Mitgliedschaft bei den Freiheitlichen betrifft: Ich bin aus der Partei wieder ausgetreten und habe auch das Amt niedergelegt, aber nicht etwa deswegen, weil ich Schuldgefühle habe oder mit dem Parteiprogramm nicht einverstanden wäre, soviel ist sicher, sondern weil ich, vor allem nach der Aussprache mit der Crew, eingesehen habe, dass es etwas zwiespältig ist, Parteimitglied zu sein und gleichzeitig Distanz vor der gesamten Politik zu nehmen, da gebe ich euch recht und habe meine Konsequenzen gezogen.”

Mit dem Parteiprogramm selbst hatte Burger also keine Probleme. Ein Programm übrigens, das sich in Auszügen wie ein Thesenpapier von Frei.Wild selbst liest:

– Das Grundrecht auf Heimat gestattet keine unkontrollierte und unbeschränkte
Zuwanderung. Wir lehnen eine multikulturelle Gesellschaft und ähnliche Utopien ab.
– Ausweisung von ausländischen Straftätern und illegalen Einwanderern
– Erhalt der abendländischen Identität und Schutz vor einer Islamisierung
– Europa der freien Völker statt Beweihräucherung von Unrechtsgrenzen
– NEIN zu interethnischen und multikulturellen Bildungsprojekten an Südtirols Schulen –
die Jugend ist zu allererst mit der eigenen Sprache und Kultur vertraut zu machen
– Schutz des ungeborenen Lebens
– Meinungsfreiheit statt Maulkorb
– Absage an jegliche Form von Meinungsmonopol und Meinungsmanipulation
– NEIN zu jeder Form von Extremismus

(Quelle: Grundsatzprogramm Freiheitliche Jugend)

Wenn man sich in diesen Aussagen wiederfindet, dann braucht man sich allerdings wirklich nicht mehr Nazi nennen—dann ist man halt eben einer—ganz einfach.

Und deshalb hat die Visions recht und die Antifa auch! Haltung zeigen!

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Marcus Staiger hat als Betreiber von Royal Bunker und Entdecker solcher Leute wie Kool Savas, Eko Fresh oder K.I.Z den Straßenrap in Deutschland etabliert. Sprich: Er hat Unmoral und Verrohung über Gesellschaft und Jugend gebracht. Um die Karmaleiter wieder ein Stück nach oben zu klettern, schreibt er ab sofort regelmäßig bei uns gegen die Unmoral und die Verrohung der Gesellschaft an.

Staiger bei Twitter: @StaigerRoyal

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