Seit ein paar Tagen geistert ein groteskes Wahlplakat durchs Social Web. Falls ihr es noch nicht gesehen habt, nehmt euch jetzt ein paar Sekunden Zeit:
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Im ersten Moment denkt man ja noch: astreiner Photoshop-Fail. Oder ein Hoax: Jemand gibt sich als Kandidat für die Partei Bibeltreuer Christen (PBC) aus. Vielleicht auch eine Parodie von Uter, dem dicken deutschen Austauschschüler bei den Simpsons, der von Homer für seine „Busen“ gemobbt wird.
Uter
Aber wenn man einmal Ralf Gervelmeyer bei XING sucht, merkt man, dass diese Haare tatsächlich auf einem absurd hohen Undercut frisiert wurden. Und es wird einem klar, dass die treuen blauen Augen von Ralf Gervelmeyer im Ernst eure Stimme wollen und fordern: „Christliche Werte erhalten. Deutschland gestalten!“ Irgendwie paradox, für eine christliche Partei zu kandidieren und etwas auf dem Kopf zu tragen, das aussieht wie Teufelshörner. Hat sich etwa der Leibhaftige in die Partei Bibeltreuer Christen eingeschlichen, um im September in den Bundestag einzuziehen?
Ich schreibe Gervelmeyer und bekomme die Antwort, er stehe für Interviews „momentan nicht zur Verfügung“. Weil seine Handynummer in der Signatur steht und ich es mir nicht verkneifen kann, die Stimme hinter diesem Gesicht mal am Telefon zu hören, rufe ich an. Eine ziemlich hohe Stimme meldet sich. Ich frage sicherheitshalber nochmal nach, wer dran ist, denn ich glaube in dem Moment wirklich, seine Sekretärin zu hören.
VICE: Herr Gervelmeyer, würden Sie mir ein paar Fragen beantworten?
Gervelmeyer: Im Moment habe ich für so etwas keinen Kopf und stehe momentan für solche Äußerungen nicht zur Verfügung.
Ihr Wahlplakat geistert ja gerade durchs Internet. Ein paar Leute haben kommentiert, Ihre Haare sähen aus wie Teufelshörner. Ist das nicht etwas widersprüchlich für einen Kandidaten der Bibelpartei?
Da müssen Sie die Leute fragen, die so etwas sagen.
Und das war es auch schon mit unserem Gespräch. Ich google also Gervelmeyers Aktivitäten. Und stelle bald fest: Er hat nicht nur Teufelshörner, sondern macht auch relativ fiese Sachen in seinem Wahlkreis Osnabrück.
Fangen wir mal bei seinem christlichen Engagement an: Gervelmeyer ist laut seiner Seite 42 Jahre alt und aktives Mitglied der freikirchlichen Gemeinde „Lebensquelle Osnabrück“. Dass hier die Grenzen zwischen Gemeinde und Sekte nicht mehr klar zu ziehen sind, zeigt eine wirklich hervorragende Reportage von Marcel Trocoli Castro beim Osnabrücker Regionalsender os1.tv. Die Gemeinde veranstaltet dreitägige Seminare namens „Encounter with God“.
In der Reportage erzählt ein Ehemaliger, wie dort „dämonische Belastungen“ ausgetrieben werden. Solche Dämonen sind für die Gemeinde laut einer Liste, die inzwischen nicht mehr im Netz steht, z.B. „genetisch unheilbare Erkrankungen“ – sprich: Erbkrankheiten oder Behinderungen. Am Ende der dreitägigen Dämonenaustreibungsseminare finden sich alle Teilnehmer zu einer sogenannten „Segensrutsche“ zusammen.
Sie verfallen in tranceartige Zustände, hyperventilieren und reden in Zungen, wie man das von amerikanischen Pfingstlern kennt. Außerdem bietet die Gemeinde, deren Mitglieder überwiegend Russlanddeutsche sind, in ihrem sogenannten „Rehazentrum“ Entziehungskuren für Drogenabhängige an—natürlich in Form von Dämonenaustreibung. Die entsprechenden Erklärungen stehen nach der Fernsehreportage nicht mehr im Netz.
„Lebensquelle“—jetzt ist mir klar, was Gervelmeyers Frisur ausdrücken soll, eine Fontäne der Freude. Für die „Lebensquelle“-Gemeinde will er auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Osnabrück ein riesiges neues Zentrum bauen. Und nimmt dafür in Kauf, dass alternative Kultureinrichtungen und Künstlerateliers auf dem Gelände weichen müssen. In der Fernsehreportage sieht man ihn mit einem Bagger ein Schild eines Kulturzentrums abreißen. Auf seinem T-Shirt steht übrigens das Motto der Gemeinde: „Jesus heilt zerbrochene Herzen“, das steht auch auf dem bisherigen Gemeindezentrum.
Sein Geld verdient Gervelmeyer übrigens in einer Branche, die für viele nichts mit den christlichen Werten Teilen und Nächstenliebe zu tun hat: als Chef einer Zeitarbeitsfirma mit einer ziemlich gruseligen Website.
Die Firma, mit der Gervelmeyer das Gelände umbauen will, heißt „Zion GmbH“. Benannt nach dem Ort der kommenden Offenbarung, zu dem einmal alle Völker strömen sollen.
Aber in dieses Zion dürfen nicht alle. Denn Homosexualität bezeichnet Gervelmeyer als Sünde. Und er hasst die Sünde. Auf die Frage, ob auch die schwullesbische Veranstaltung „Gay in May“ in sein Zentrum dürfe, antwortet Gervelmeyer: „Fragen Sie sich doch mal, ob Sie sich vorstellen können, dass bei Mercedes die Präsentation des neuen Golfs stattfindet.“
Moment mal: Dieser Mann vergleicht Homosexuelle mit einem Golf und christliche Fundamentalisten mit Mercedes? Ich habe keine Statistiken gefunden, aber tatsächlich ist Volkswagen bei der Abstimmung zum „Gay Car of the Year 2012“ vor Mercedes gelandet. Andererseits fährt in Filmen ja eher ein dicker Benz zum Jungsstrich als ein Golf—mit seinem Vergleich schießt sich Gervelmeyer also selbst in die Eier.
Gut, dass die Veranstalter von „Gay in May“ zum Gegenschlag ausholen: Sie haben ein Lexus-Autohaus zu einer Vorstellung des neuen Golfs überredet und rufen dort am 15. September zu Toleranz für Homosexuelle auf. Eine Woche, bevor die Osnabrücker Bevölkerung die Chance hat, den Kandidaten Ralf Gervelmeyer nicht zu wählen.
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