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Hatte die NASA Recht und Krill ist die Lösung für den Welthunger?

1977—in den USA kam Star Wars in die Kinos, David Bowie veröffentlichte „Heroes”—hat die NASA einen außergewöhnlich fortschrittlichen Bericht darüber veröffentlicht, welche Rolle Weltraumtechnologie für die Landwirtschaft spielen wird. Damit wollten sie herausfinden, wie man eine ständig wachsende Weltbevölkerung mit den begrenzten Ressourcen der Erde ernähren könnte—und zwar mit Weltraumtechnologie. Irgendwo zwischenDiskussionen über das Versprühen von Chemikalien und Fernerkundung findet sich auch ein komisch klingender Vorschlag: Vielleicht könnte sich die Menschheit ausschließlich—oder zumindest teilweise—von Krill ernähren.

Diese Idee ist klar auf der Strecke geblieben und blieb im Bericht der NASA tief vergraben, bis wir vor kurzem darüber gestoßen sind. Da fragten wir uns natürlich: Was wäre wenn, die Menschheit sich damals daran gehalten hätte und heute nur noch Krill essen würde? War dieser vergessene Bericht aus den 70ern vielleicht die Rettung der Menschheit?

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Krill sind kleine garnelenartige Krustentiere, die sich am untersten Ende der Nahrungskette befinden. Sie ernähren sich von Phytoplankton und sind wegen ihres hohen Eiweißgehalts eine der wichtigsten Nahrungsquellenfür größere Fische, dieirgendwann wir essen. In einigen Ländern ist der Krill tatsächlich ein ein normales Lebensmittel—in Japan als okiami, die Norweger essen ihn in Form von Paste mit einem Cracker—, aber in den meisten Teilen der Welt wird er als Fischfutter verwendet.Und irgendwie ist es auch verständlich, dass man sie nicht isst: Krille sind ziemlich salzig, vor dem Essen muss bei jedem Tier die harte Schale entfernt werden, weil sie Fluor enthält, das in großen Mengen giftig ist. Aber wenn das Nachhaltigkeitsproblem durch Krille gelöst werden kann, vielleicht sollten wir dann eine Möglichkeit finden, sie als Lebensmittel einzusetzen. Wer braucht denn schon Soylent oder Insekten, wenn die Ozeane bis zum Rand mit Krillen gefüllt sind, oder?

Eher nicht so.

Wie es scheint, wird seit Erscheinen des Berichts immer mehr Atlantischer Krill gefangen. Mittlerweile sind Tierschützer besorgt um die globalen Bestände: Zahlreiche Fischereibetriebe nutzen Krill als Futter, aber auch die Nachfrage nach Krillöl ist in die Höhe geschossen. „Es ist bekannt, dass viele Vorschläge der 70er gemacht wurden, um die marine Nahrungsmittelproduktion zu steigern, dazu gehörte auch der Fang von Krill und anderem Zooplankton”, erklärt uns Dr. Boris Worm, der derzeit an der kanadischen Dalhousie University doziert. „Damals dachte man noch, dass man mithilfe der Meere eine schnell wachsende Bevölkerung ernähren könnte, aber in den 90ern wurde dann klar, dass man nicht noch mehr Fisch aus Wildbeständen fangen kann.”

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Bereits 1982 wurde die Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis gegründet (CCAMLR), die marine Lebewesen schützen soll—eine Antwort auf das wachsende kommerzielle Interesse an den antarktischen Krillvorkommen und auf die Überfischung im Südpolarmeer. Claire Christian, die Geschäftsführerin der Antarctic and Southern Ocean Coalition, einem globalen Zusammenschluss verschiedener Umweltorganisationen, erklärt: „Der Gründungsvertrag der CCAMLR sieht einen vorbeugenden Ansatz vor, der sich an den Ökosystemen orientiert. Das heißt, dass der Krillfang das derzeitige Niveau nicht drastisch überschreiten wird, es sei denn, Forscher sind sich sicher, dass das nicht schädlich für das Ökosystem oder den Krillbestand sein würde.” Heute wird der Krillfang durch weltweite Quoten kontrolliert, allerdings wurde diese 2014 auf 300.000 Tonnen erhöht.

Krille erwiesen sich als essenziell für die Ökosysteme der Meere, die CCAMLR versucht derzeit immer noch Richtlinien zu erstellen, um Nachhaltigkeit sicherzustellen:„Krille werden in einer relativ kleinen Gegend um die antarktische Halbinsel gefischt, genau dort suchen auch Pinguine, Wale und Robben nach Krillen. Manchmal werden die Krebstiere den Pinguinkolonien direkt weggefangen, damit steigt also das Risiko, dass der Krillfang dem Ökosystem schadet. Die CCAMLR weiß, dass sich die Bedürfnisse der Fischerei und der Tiere hier überschneiden, und versucht genauere Regeln für das Management der Bestände aufzustellen, damit diese fragilenZusammenhängenicht zerstört werden.”

Auch wenn im NASA-Bericht die Bedeutung der Krille für das Ökosystem und die Entwicklung Fangmenge in den 39 Jahren nach der Veröffentlichung unterschätzt wurden, wussten die Verfasser zumindest, dass einige kulturelle Steine im Weg liegen würden.

Krille werden wegen ihres hohen Gehalts an Omega-3-Fettsäuren mittlerweile als Vitaminpräparate verkauft, aber der Otto-Normal-Verbraucher wird wohl keinen Krill-Burger verspeisen wollen. Manuel Barange, der Fischereidirektor der Welternährungsorganisation, erklärt uns: „Wenn man mehr antarktischen Krill fängt, um die Eiweißversorgung der Menschen zu sichern, ersetzt man damit allerdings nicht den Fischkonsum,weil Menschen nicht „Eiweiß” einkaufen, sondern bestimmte Fischarten, die sie gern essen.”

Könnte man den Verbrauchern also Krille verkaufen? „Um Fisch durch Krille zu ersetzen bräuchte man eine globale Kampagne, die die Leute davon überzeugt, dass Fish and Chips auch mit Krillen schmeckt”, was laut Manuel Barange eine schwierige Aufgabe ist. „Bereits jetzt zeigt sich, dass sich Fische durch den Klimawandel in kältere Gebiete abwandern, zum Beispiel Sardellen in der Nordsee. Doch der Konsum der Menschen passt sich dem nicht immer an. Die Menschen wollen das essen, was sie kennen.”

Auch Claire Christian meint, dass Krille so schnell nicht auf der Karte von McDonald’s auftauchen werden. „Gerade Amerikaner sind bei Fisch und Meeresfrüchten nicht gerade experimentierfreudig. Zwar mögen sie mittlerweile Sushi und südostasiatische Küche, wo mit Fischsauce gekocht wird, aber ich glaube nicht, dass sie Lust hätten, sich Krillpaste auf ihre Cracker zu schmieren und eine Handvoll getrocknete Krille zu essen.”

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Dann ist da noch die Erderwärmung: Alle Experten sind sich einig, dass der Klimawandel einen Einfluss auf die Krillbestände haben wird. Wie Claire Christian meint: „Die meisten Wissenschaftler sagen voraus, dass sich die Bestände in den nächsten Jahrzehnten bei der derzeitigen Entwicklung deutlich verringern werden. Es ist also egal, welche verrückten Pläne man schmiedet, damit die Leute Krill essen, weil es nicht mehr möglich sein könnte, die Fangmengen noch zu erhöhen.”

Unsere Experten zeigten sich erstaunt über den Vorschlag der NASA. Als wir Boris Worm fragten, ob überhaupt noch irgendjemand in Krillen die Lösung für die Welternährung sieht, meint er : „Auf keinen Fall. Es wurde viel diskutiert, aber es ist einfach keine gute Idee, einen so großen Teil der wichtigsten Nahrungsquelle anderer Spezies einfach abzufischen. Das gilt sowohl für kleine kleinere Fische als auch für Krill und Plankton.”

Der Plan, wäre er denn in den 70ern umgesetzt worden, hätte außerdem nicht geklappt, fügt er hinzu: „Das hätte verheerende Auswirkungen auf bereits geschwächte Ökosysteme in der Arktis und andernorts gehabt, und hätte außerdem Meeressäugern geschadet.” Wale, Robben, aber eben auch Vögel und Fische hätten die Konsequenzen getragen.

Abgesehen von der Machbarkeit wollten wir natürlich auch wissen, wie die NASA diesen Bericht sieht und ob irgendwelche Teile davon—egal mit oder ohne Krill—davon tatsächlich umgesetzt wurden. Dafür haben wir uns an Steve Cole gewandt, der uns sagte, dass er „[…] keinen derzeitigen Mitarbeiter ausfindig machen konnte, der sich mit diesem Bericht von 1977 auskennt oder derzeit an ähnlichen Projekten arbeitet.” Die NASA scheint sich also auch vom Krill-Traum verabschiedet zu haben.

Gibt es eine einfache Lösung, die gesamte Weltbevölkerung nachhaltig zu ernähren. Boris Worm ist der Meinung nein: „Es gibt nicht die eine Lösung, aber verschiedene kleinere, die zusammenhängen. Weniger Lebensmittelverschwendung, den übermäßigen Eiweißkonsum in Industriestaaten reduzieren—die meisten essen mehr, als sie brauchen, und scheiden es einfach wieder aus. Eine Kollege von mir sagte mal, sie pinkeln die Artenvielfalt einfach weg.”

Vielleicht sollten auch wir unsere Krill-Träume begraben.

Claire Christian meint: „Menschen wollen immer schnelle und einfache Lösungen, aber das sind meist doch nicht die Wundermittel, als die sie angepriesen werden. Wir produzieren bereits genug Essen, um alle zu ernähren, aber Millionen Menschen hungern immer noch. Wir haben nicht zu wenig. Statt also nach einer Goldgrube zu suchen, sollten wir die derzeitigen Probleme im System angehen. Ansonsten werden die Menschen weiter hungern, egal was wir tun und welche Innovationen wir entwickeln.”

So viel also zu einer futuristischen Lösung für den Welthunger vom unteren Ende der Nahrungskette.