Fragen, die der Nazi-Fail eines Thüringer CDU-Bürgermeisters aufwirft

Ein Foto aus dem Hildburghäuser Anzeiger

Amtliche Bekanntmachungen in Kleinstädten haben normalerweise das Aufreger-Potential einer Zahnbürsten-Gebrauchsanleitung. Holger Obst, CDU-Bürgermeister des thüringischen Städtchens Hildburghausen, ist es jetzt gelungen, seinem örtlichen Amtsblatt deutschlandweite Aufmerksamkeit zu verschaffen. Dazu musste er nur dem bewährten Spiegel-Motto “Irgendwas mit Hitler” folgen.

Um auf eine Gedenkfeier für die Opfer eines amerikanischen Luftangriffs im Zweiten Weltkrieg hinzuweisen, ließ er einen Aushang aus der NS-Zeit im Hildburghäuser Stadtanzeiger veröffentlichen. Darin riefen die Nazis 1945 dazu auf, “den Gefallenen des Terrorangriffs” zu gedenken. Obst veröffentlichte diesen Text ohne jegliche Einordnung. Das führte dazu, dass sich die Besucher der Gedenkfeier am 23. Februar laut Ankündigung auf “Ein Wort des Führers” freuen durften.

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Nach Kritik aus der Opposition räumte Holger Obst ein, dass es ein Fehler war, die Nazi-Propaganda unkommentiert abzudrucken. Doch nicht nur die Tatsache, dass ihm diese Erleuchtung erst jetzt widerfährt, wirft einige Fragen auf.


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Woher kommt die Nazi-Propaganda?

“Das im Amtsblatt gezeigte Originalmaterial stammt aus dem städtischen Museum”, sagte Holger Obst gegenüber Spiegel Online. Eine beruhigende Information. Schön, dass solches Zeug auch in Hildburghausen normalerweise dort verwahrt wird, wo es hingehört. Es hätte ja sein können, dass das Propaganda-Gesabbel irgendwo aus einem Kuddelmuddel an Nazikram herausgezogen wurde, per Zufallsgriff. Zwischen alten Flyern für das 2017er Rechtsrockfestival in Themar und Speisekarten von Tommy Frencks Neonazi-Gasthaus in Kloster Veßra. Beide Orte gehören zum Landkreis Hildburghausen, der seit Jahren mit Rechtsextremen zu kämpfen hat. Da kann man schon mal durcheinander kommen.

Warum druckt man Nazi-Propaganda in einem Amtsblatt ab?

Fälle wie diese erklären sich in der Regel durch menschliches Versagen oder einen technischen Fehler im Maschinenraum der Regionalpolitik. Gehen wir also beiden Möglichkeiten nach.

Möglichkeit A: menschliches Versagen. Holger Obst sagte gegenüber Spiegel Online, man habe den Beitrag “entsprechend kennzeichnen” müssen. Dass man ihn entsprechend in einer verstaubten Museums-Schublade hätte lassen müssen, sagte er nicht. Der Text wurde also bewusst abgedruckt. Nur warum? Vielleicht hat Holger Obst auf diese ungelenke Art versucht, Kritik schon im Voraus entgegenzuwirken. Womöglich dachte er sich, “Guckt mal, unter Hitler haben sie auch schon Gedenkfeiern für Bombentote veranstaltet, dann werden wir das ja wohl ebenfalls dürfen.” Keine besonders durchdachte Strategie. Vielleicht war es also anders.

Möglichkeit B: technisches Versagen. Wie wir alle wissen, beschreibt der Journalist Jeff Jarvis in seinem Buch Ausgedruckt! Journalismus im 21. Jahrhundert, dass sich Medien in Zukunft in hyperlokale Kleinstredaktionen aufspalten sollten, um dort nah am Menschen einen Mehrwert für Leserinnen und Leser zu liefern. Vielleicht haben sie sich beim Hildburghäuser Stadtanzeiger schon für diese Medienrevolution in Stellung gebracht und kräftig in künstliche Intelligenz investiert, um den Artikel von einem Bot layouten lassen. Ein Algorithmus hätte Holger Obsts kurzen Text gescannt, dazu aus dem Stadtarchiv passendes Bildmaterial herausgesucht und alles ungeprüft veröffentlicht. Dass er Parallelen in dem Propaganda-Text finden würde, kann schon mal passieren, wenn ein CDU-Politiker ähnlich wie die Nazis lediglich von deutschen Opfern schreibt. Da kann ein Bot schon mal durcheinander kommen. Und damit kommen wir zur nächsten Frage.

Gab es vielleicht einen Grund, warum Hildburghausen bombardiert wurde?

In seinem Text, den Holger Obst anscheinend fast komplett aus einem Wikipedia-Eintrag übernommen hat, schreibt der Bürgermeister, dass Hildburghausen am 23. Februar 1945 von US-Flugzeugen bombardiert wurde. Der Angriff habe “erhebliche Schäden” verursacht, 218 Menschen sollen gestorben sein. Warum die Air Force Hildburghausen angriff, schreibt Holger Obst nicht. War es pure Grausamkeit, Jux und Tollerei oder gab es vielleicht doch einen triftigen Grund? Ein Ausflug ins städtische Museum hätte vielleicht geholfen, um Antworten auf diese Frage zu finden. Dann wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass die Rüstungsfirma Nordeuma von Hildburghausen aus Hitlers Kriegsmaschinerie mit Nachschub fütterte, dass die Stadt Bahnanlagen und eine Kaserne besaß (von diesen drei Zielen wurde nur die Kaserne, ein altes Schloss, getroffen).

Aber auch ohne diese Info hätte Obst erwähnen können, dass die Luftangriffe eine Reaktion auf die Angriffskriege der Nazis und ihren millionenfachen Mord an Juden und anderen Menschen waren.

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