Hostessen erzählen von sexueller Belästigung und Sexismus am Autosalon Genf

Titelfoto von Jenny zur Verfügung gestellt

“Die heissesten Hostessen”, “Die schönsten Salon-Girls” – wer den Autosalon Genf googelt, merkt schnell, dass es am Salon nicht nur um die neuesten Autos geht, sondern auch um die Frauen, die neben den Autos stehen. Der Job der sogenannten Hostessen ist es offiziell, tausenden von Besuchern in mehreren Sprachen die Autos zu erklären, neben denen sie für zehn Tage stehen. Inoffiziell müssen die jungen Frauen sich auch jeden Tag platten Anmachen, Fotos unter den Rock und Grabschern stellen.

Eine Pressesprecherin des Salons sieht auf Anfrage von VICE keinen Handlungsbedarf, dieses Verhalten der Besucher einzudämmen: “Wir treffen keine speziellen Vorkehrungen. Es liegt in der Verantwortung der Standchefs, die Hostessen zu briefen. Wir haben auch keinen Guide mit Verhaltensregeln, weil sich 99.9 Prozent der Besucher respektvoll aufführen. Es wäre nicht fair, alle Männer in den gleichen Topf zu werfen.” Weiter sei die Polizei immer vor Ort verfügbar.

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VICE hat mit fünf Frauen, die mindestens einmal am Autosalon als Hostess gearbeitet haben über Sexismus und sexuelle Belästigung gesprochen.

Sabrina

Foto von Pascal Uehli

VICE: Wie hast du am Salon den Umgang der Besucher mit den Hostessen erlebt?
Sabrina: Es gibt zwei Arten von Besuchern. Die einen, die wegen der Autos kommen, und die anderen, die wegen den Hostessen da sind. Die erste Kategorie ist angenehm, du kannst mit ihnen über PS und die Motorleistung fachsimpeln. Die zweite Kategorie ist mühsam und manchmal fast nicht auszuhalten. Es ist ja nicht schlimm, für die Typen zu lächeln und für Fotos zu posieren. Aber leider kam es immer wieder vor, dass sie mich während der Fotos begrabschten und Sprüche wie “Kann man dich auch probefahren?” oder “Kann ich dich mit dem Auto kaufen?” heraus liessen.

Was hast du in solchen Situationen gemacht?
Da bleibt dir nicht viel übrig, ausser zu lächeln und “Idiot” zu denken. Manche Männer wurden auch verbal aggressiv, wenn ich nicht auf ihre Avancen eingegangen bin.

Helene*

VICE: Hast du am Autosalon sexuelle Belästigung erlebt?
Helene: Ich hatte das Glück, in einem extra Kundenbereich mit Absperrung zu arbeiten. Es kamen also nur Menschen an meinen Stand, die eine Einladung hatten. Das hebt die Hemmschwelle für unpassendes Verhalten extrem. Allerdings musste jedes Jahr eine Hostess vor der Absperrung arbeiten. In den zwei Jahren, in denen ich am Salon war, wurde sie von den Besuchern häufig aufgefordert, sexuelle Posen einzunehmen und ihr wurden wirklich dreckige Sachen gesagt.

Was hast du sonst noch Negatives im Zusammenhang mit den Besuchern erlebt?
Es gibt haufenweise Männer, die sich am Salon regelrecht an den Hostessen aufgeilen. Diese Stereotypen live zu sehen, hat mich angeekelt. Letztes Jahr hat sich die Hostess neben dem Auto, eine junge Mutter, mit einem Salon-Gast angelegt. Sie hat ihn gefragt, ob er Vater sei, was er bejahte. Daraufhin hat sie ihn gefragt, ob er sich nicht schämen würde, so mit einer Frau zu reden, er müsse ein unglaublich schlechtes Vorbild für seine Kinder sein. Ich finde, sie hat es ziemlich gut getroffen.

Wurde das Thema sexuelle Belästigung von deinem Arbeitgeber angesprochen?
Nein. Wir Hostessen tauschten uns aber untereinander aus und gaben uns Tipps für den Umgang mit schwierigen Besuchern.

Alexandra

Foto zur Verfügung gestellt von Alexandra

VICE: Hast du am Salon Sexismus oder sexuelle Belästigung erlebt?
Alexandra: Direkt eigentlich nicht. Ich habe jedoch von anderen Hostessen gehört, dass Männer versuchten, unter ihre Röcke zu fotografieren. Im ersten Jahr am Autosalon war ich auch sehr geschockt, als ich erfahren habe, dass ein grosses Online-Medium ein Foto von mir mit einer anderen Hostess in einem “Wer ist die Schönste”-Ranking auf seiner Homepage benutzt hat. Es war mir sehr peinlich, da alle dachten, wir hätten unser Foto dafür freigegeben. Als Normalos waren wir natürlich auf den hintersten Plätzen im Ranking. Das war echt unangenehm. Dank schneller Reaktion unserer Agentur wurde das Foto wieder gelöscht.

Ansonsten sind jedoch alle immer sehr freundlich und wenn jemand ein Foto machen will, ist das für mich ein Kompliment und keine doofe Anmache. Vielfach werden Freunde vorgeschickt, welche dann schüchtern um ein Foto für deren Kollegen bitten, manche haben fast Angst vor uns.

Wurden Belästigungen dieser Art von deinem Arbeitgeber thematisiert?
Bei jeder Schulung wurde uns klipp und klar gesagt, dass wir sofort zu unseren Kollegen gehen und sie um Hilfe bitten sollten. Auch die männlichen Hosts wurden angehalten, ihre Augen offen zu halten und wenn nötig, die Frauen zu “beschützen”. Ich fühlte mich immer wohl und sicher, da auf dem ganzen Stand Kollegen und Kolleginnen verteilt waren und jederzeit geholfen hätten.

Jenny

Foto zur Verfügung gestellt von Jenny

VICE: Was hast du für Erfahrungen mit sexueller Belästigung und Sexismus am Salon gemacht?
Jenny: An unserem Stand konnte ich einmal beobachten, wie ein Mann mit einer Kamera auf unsere Mädels und gewisse Körperteile zoomte, das fand ich eklig! Er hat nämlich so getan, als würde er die Autos fotografieren. Sonst habe ich während der Arbeit nie etwas extrem Schlimmes in Richtung sexuelle Belästigung bemerkt.

Gab es Situationen, die für dich unangenehm waren?
Es war mehr das Gefühl, dass dich halt die Männer schon etwas länger anschauen, mit dir Fotos machen oder nach der Nummer gefragt haben. Aber das bin ich mir vom Ausgang her gewöhnt, deshalb hat es mich nicht überrascht. Ich hatte mehr auch das Gefühl, dass durch meine Arbeitskleidung, die im Gegensatz zum vorgeschriebenen Outfit anderer Hostessen nicht extrem kurz oder tief ausgeschnitten war, die Männer irgendwie mehr Respekt zeigten. Ich machte tolle Bekanntschaften und hatte interessante Gespräche mit Frauen, Familien und Männern. Ich habe schnell gemerkt, dass mein Auftreten und das Selbstbewusstsein auch sehr stark beeinflussen, ob die Männer nun sexuell grenzwertige Sprüche machen oder nicht. Zudem muss ich aber auch sagen, dass ich Schlimmes recht schnell wieder vergesse. Auch die Automarke, für die ich gearbeitet hatte, lockte vom Image her wohl mehr Familien an als irgendwelche einsamen “Grüsel”.

Wie ist dein Arbeitgeber mit dem Thema sexuelle Belästigung umgegangen?
Uns hat man direkt gesagt, dass man die Chefs holen kann, wenn sie uns belästigen.

Melanie

VICE: Was für negative Erfahrungen hast du als Hostess am Salon mit Männern gemacht?
Melanie: Oft wurden wir ohne zu fragen von Besuchern fotografiert. Dabei wurden auch Nahaufnahmen gemacht, was von den Hostessen oft nicht bemerkt wurde. Im Vergleich zu meinen Arbeitskolleginnen, sind mir die Gesten und das “unauffällige” Verhalten der Besuchern oft aufgefallen und ich habe die Männer und Jungs auch direkt angesprochen. Für mich galt dieses Verhalten als unangebracht und da mir bewusst war, dass ich nirgends meine Zustimmung für das Fotografieren lassen gegeben habe, habe ich mich gewehrt. Ich bin direkt auf diese Personen zugegangen oder habe zumindest meine Hand vor mein Gesicht gehalten.

Hast du auch verbale Belästigung erlebt?
Ja, in etwa Sprüche wie: “Ich kaufe das Auto, wenn du mit dazu gehörst”, “Ich gebe dir nur meine Daten, wenn ich ebenfalls deine Nummer kriege” oder “Was wisst ihr Frauen denn schon von Autos, ihr müsst doch nur gut da stehen.”

Wie ist dein Arbeitgeber mit dem Thema sexuelle Belästigung umgegangen?
Uns wurde gesagt, dass wir uns nicht fotografieren lassen müssen, wenn wir dies nicht wollen. Ansonsten wurden wir auf das Thema sexuelle Belästigung nicht sensibilisiert. Dies geschah eher von den Hostessen, welche bereits Erfahrungen von den Vorjahren hatten und die “Neulinge” in Bezug auf solche Erlebnisse vorbereiteten.

*Name geändert, da die Angst besteht, nicht mehr am Autosalon arbeiten zu können

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