Vor 25 Jahren, zwischen 15. Oktober und Anfang November 1990, werden am LKH Graz möglicherweise zwei Babys vertauscht, ohne dass der Fehler bemerkt wird. Ein Vierteljahrhundert später macht eine junge Frau einen Bluttest und bemerkt durch Zufall, dass sie nicht Tochter ihrer Mutter sein kann. Ein DNA-Test bestätigt das und eine Suche beginnt: Wer ist das zweite vertauschte Mädchen?
Hier komme ich ins Spiel—denn neben 199 anderen könnte ich rein theoretisch auch die Gesuchte sein. Viele scheinen jetzt zu erwarten, dass sich mein Leben von einem Tag auf den anderen geändert hat. Dass ich mich frage: Uff, was wäre, wenn ich das wirklich bin? Viele scheinen zu erwarten, dass ich mir Gedanken darüber mache, ob ich denn vertauscht worden sein könnte.
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Ein Radio-Journalist hat ein Interview mit mir geführt und ich habe gemerkt: er will bestimmte Antworten, er will irgendeine Art von Betroffenheit erzeugen. Aber nein, zur Hölle—das empfinde ich nicht, das bin ich nicht.
Ich fühle mich so, als würde alle Welt von mir hören wollen, dass ich mir Gedanken darüber mache, dass ich es vielleicht sein könnte und was das für mich bedeutet. Ein kleiner TV-Sender und eine Zeitung haben angefragt, ob ich ihnen ein Interviews genau dazu geben möchte. Ich denke mir ständig: Welche Antworten soll ich euch dann geben? Und auf welche Fragen?
Natürlich gibt es Gefühle, die in mir aufkommen, seitdem ich von der Sache gelesen habe. Zu allererst habe ich den Artikel meiner Familie geschickt—mehr zum Scherz. Ich fand es amüsant, zufällig genau dieser kleinen Gruppe von Leuten anzugehören, von denen zwei möglicherweise als Baby vertauscht worden waren.
Ich habe mehr zum Spaß als im Ernst Blutgruppen-Vererbung gegoogelt und mich geärgert, dass nirgendwo die wahrscheinliche Blutgruppe des vertauschten Babys zu finden war. Ich habe mir in Erinnerung gerufen, was Außenstehende über mein Aussehen sagen: „Ganz die Mama!” Ausnahmsweise fand ich es sogar beruhigend, dass einige meiner Freunde mir ziemlich schmutzige Komplimente gemacht haben, weil sie meine jüngere Schwester auf Fotos für mich gehalten hatten. (Ja, Schwesterherz, du bist heiß.)
Spielen wir mal das Gedankenspiel, ich würde einen DNA-Test machen und es käme heraus, dass ich 25 Jahre bei der „falschen” Familie verbracht habe. Für mich würde das keinen Unterschied machen. Es hätte keinen Einfluss auf das Leben, das ich jetzt führe. Meine Familie wären weiterhin die Menschen, mit denen ich—optimistisch geschätzt—mindestens ein Drittel meines Lebens verbracht habe.
Für mich steht fest: Ich gehöre dahin, wo ich aufgewachsen bin.
Die „neue”, biologische Mutter wäre höchstens eine gute Freundin für mich. Vielleicht ginge es mir anders, hätte ich mich jemals fehl am Platz gefühlt. Hätte ich mir gedacht: Oida, das kann doch nicht wirklich meine Famlie sein. Wenn mir jemals Zweifel gekommen wären, hätte eine Angelegenheit wie diese vielleicht sogar eine Erleichterung sein können.
Ich habe allerdings das Glück, mich immer richtig gefühlt zu haben und bin mir sicher, vor 25 Jahren aus dem Schoß meiner Mutter geschlüpft zu sein. Auch mein Aussehen spricht einfach zu sehr für diese These. Ich habe die Augen von meiner Mama, habe ihre Züge. Die Zähne habe ich von meinem Papa. Das ist für mich und mein Gewissen Beweis genug.
Der einzige Mensch, dem gegenüber ich mich in diesem Fall außer mir selbst verpflichtet fühle, ist die betroffene junge Frau, die entdeckt hat, dass sie nicht bei ihrer biologischen Mutter aufgewachsen ist. Nicht meiner Mutter, nicht meiner Schwester, nicht meinem Vater und schon gar nicht den Medien. Sollte diese junge Frau nach einiger Suche immer noch nicht fündig geworden sein, überleg ich mir das mit dem DNA-Test vielleicht nochmal. Vorerst bleibt es aber dabei: Ich gehöre dahin, wo ich aufgewachsen bin.