“Ich glaube tatsächlich, dass HipHop der neue Punk ist” – Zugezogen Maskulin sind zurück

Das “schlechte Gewissen des deutschen Rap”. Diesen Titel bekamen Zugezogen Maskulin für ihr Debütalbum Alles Brennt damals von der ZEIT verliehen. Und auch wenn diese Bezeichnung schon sehr pathetisch ist, hat sie durchaus einen wahren Kern. Denn wer außer Audio88 & Yassin und K.I.Z motzt schon so viel rum wie Testo und Grim104? Und nicht nur die Feuilletons von SPIEGEL bis ZEIT verteilten reichlich Lorbeeren für Alles brennt, auch szeneintern gab es üppig Beifall für Zugezogen Maskulin. Doch das war vor zwei Jahren. Jetzt steht mit Alle gegen Alle der Nachfolger in den Startlöchern. Nach dem Hype um das Debütalbum und einem Titel, den man durchaus als Referenz an Slime und DAF verstehen darf, sind die Erwartungen an und die selbst gesteckten Ziele von Grim und Testo ziemlich hoch.

Dass die beiden in der Lage sind, diese Erwartungen durchaus zu erfüllen, haben sie schon mit den Videos zu “Was für eine Zeit” und “Uwe & Heiko” bewiesen. Und auch der Rest von Alle gegen Alle enttäuscht nicht. Im Gegenteil. Wo die ersten beiden Singles noch sehr nach dem Vorgänger klingen, haben sich Zugezogen Maskulin auf dem Rest des Albums soundmäßig durchaus weiterentwickelt. Auf dem Titeltrack “Alle gegen Alle” könnte man sogar fast behaupten, dass Testo singt. Doch inhaltlich bleibt alles beim alten und ZM sind nach wie vor nicht auf Kuschelkurs. Weder mit der Gesellschaft, noch mit der eigenen Szene und auch nicht sich selbst gegenüber.

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Ich habe mich mit Zugezogen Maskulin zum Interview getroffen, um herauszufinden, was Grim und Testo antreibt, warum sie alles so scheiße finden, weshalb sie trotz ihres erhobenen Zeigefingers immer noch mit Wörtern wie “Spast” und “Behindi” um sich werfen und wo ihr Platz im deutschen Rap ist.

Noisey: Warum findet ihr eigentlich alles so scheiße?
Grim104: Na ja, bietet dir der Ausblick auf die Welt denn viel Grund anderer Meinung zu sein?

Ich habe nicht gesagt, dass ich anderer Meinung bin.
Grim104: Vor der Wahl war es noch so, dass diese Frage gestellt wurde und man immer so in Erklärungsnot kam. Beziehungsweise nicht Erklärungsnot, aber man musste es immer ein bisschen ausführlicher erklären. Es zeigt sich ja doch, dass vieles irgendwie im Argen ist. Und dass alles brennt auf der einen Seite und dass das große “Alle gegen Alle” auf jeden Fall zur Höchstform aufläuft.

In “Uwe & Heiko” rechnet ihr ja mit eurer Jugend ab. Wie kommt der Song in der Heimat an?
Grim104: Da hatte ich tatsächlich ein bisschen Schiss vor. Gerade weil ein guter Freund von mir genau aus der Zeit tatsächlich Heiko hieß. Die finden es aber sogar ganz gut. Es ist ja auch nicht der “Hahaha”-Diss-Song an die Dorftrottel. Ich meine mich ja auch selber in dem Song und nicht nur die anderen. Das sind halt alles Geschichten, in denen ich auch selber dringesteckt habe. Vielleicht ist es sogar ganz gut, wenn jetzt alle Beteiligten hören, “OK, es ging nicht nur mir damals so, dass ich mich da irgendwie scheiße bei gefühlt habe.” Oder gemerkt haben, dass das nicht richtig war, was wir da gerade taten. Zumindest die Leute, die da halbwegs heile durchgekommen sind, durch diese Zeit. Aber es gibt glaube ich auch einige, die sich davon nicht erholt haben. Die jetzt irgendwelche Weirdos geworden sind. Die finden den Song wahrscheinlich nicht so witzig.

Testo: Bei mir ist es auch überhaupt kein “Früher war es so schrecklich”. Ich zeichne in meinem Part ja nur bestimmte Entwicklungen nach und wie sie geendet sind. Ich habe aber auch gehofft, dass sich jetzt kein Mensch, den ich eigentlich sehr mag, davon auf die Füße getreten fühlt. Aber wenn das der Fall sein sollte, hätte mich wahrscheinlich auch jemand kontaktiert, um das zu klären. Das ist aber bis jetzt nicht passiert. Von daher ist glaube ich alles gut.

“Wir sind einfach die Streber-Rapper, die Feuilleton-Rapper, aber da bin ich auch cool mit.”

Wie seht ihr eure Rolle im deutschen Rap?
Testo: Wenn du so fragst, dann kann ich fast nicht anders, als eine ironische Antwort zu geben.
Grim104: Dann mach doch!
Testo: Nein, jetzt mal nicht ironisch: Ich würde uns schon als Ergänzung sehen, im besten Falle sogar ein ausgleichendes Element zu dem, was im deutschen Rap eben zum Großteil passiert. Nämlich das Beschriebene “Yo, du musst stark sein, du musst cool sein, du musst hustlen, du musst Geld ausgeben und fertig, denn mehr brauchst du nicht.” Wir versuchen vielleicht auch Denkanstöße zu geben, ob es vielleicht nicht auch noch andere Sachen im Leben gibt. Böse Zungen sagen: Wir sind einfach die Streber-Rapper, die Feuilleton-Rapper, aber da bin ich auch cool mit.

Wie passt es, dass der rote Faden auf dem Album die Konsumkritik ist, aber ihr gleichzeitig jetzt beim Majorlabel unter Vertrag seid?
Grim104: Das Letzte, was ich bin, ist konsumkritisch. Konsumieren ist etwas, was jeder Mensch machen muss und ich kritisiere Leute nicht dafür, dass sie das machen und das Lebensmittel und das Getränk kaufen und den Turnschuh tragen. Zumindest nicht aus ethisch-moralischen Gründen. Es macht mir natürlich Spaß, auf Sneaker-Sammlern rumzuhacken, aber auch nur, weil ich es witzig finde. Insofern macht es eben dann doch Sinn. Wir unterliegen irgendwelchen Zwängen, genauso wie Leute, die sich Billigfleisch kaufen oder sonst welchen Zwängen unterliegen. Das sind natürlich nochmal ganz andere Sachzwänge. Deshalb ist es für mich jetzt auch nicht dieses “Hey, ihr seid jetzt bei einem Label, wo ihr vielleicht mehr Kohle verdient, vielleicht auch nicht.” Und da tut sich für mich jetzt nicht so der Widerspruch auf.
Testo: Es liegt vielleicht nahe zu denken, dass wir konsumkritische Rapper wären, aber das wäre mega geheuchelt. Ich trage auch gerne schöne Sachen und gehe gerne shoppen. Ich renne allerdings nicht rum und sage: “Shoppen ist das einzig wichtige im Leben und wer nicht so gut shoppen kann wie ich, der ist auf jeden Fall Dreck und soll weggehen und ist ein wertloser Mensch.” Es geht uns eher darum, diesen Imperativ von “Es gibt eine Kaufentscheidung, die wertes von unwertem Leben trennt. Und wenn du auch diesen Scheiß kaufst, dann bist du cool, dann bist du ein guter Mensch und wenn nicht, dann bist du auf jeden Fall ein Versager und ein Trottel” zu kritisieren. Das löst in mir sofort das Verlangen aus, den Spieß umzudrehen und zu sagen: Nein, ganz ehrlich, wenn du das so siehst, dann bist du auf jeden Fall der Trottel.

“Ich glaube tatsächlich, dass HipHop der neue Punk ist. Im Sinne von: Das ist jetzt genau so beliebig und langweilig, wie Punk irgendwann beliebig und langweilig geworden ist.”

Da stellt sich natürlich auch gleich ein bisschen die Frage: Ist HipHop der neue Punkrock? Die vertretenen Positionen sind ja durchaus ähnlich.
Testo: HipHop war der neue Punkrock, vielleicht so Anfang 2000, zu Sido-Arschficksong-Zeiten und so weiter. Aber in seiner heutigen “Tellerwäscher-zum-Millionär, du musst richtig hustlen, dann wirst du reich und kannst dir geile Klamotten kaufen und mehr braucht man nicht im Leben”-Haltung hat das nicht mehr viel mit Punk zu tun. Deshalb gibt es meiner Meinung nach heute kein richtiges Punkrock-Pendant.
Grim104: Ich glaube die großen Zeitalter der Jugendkulturen/Subkulturen mit Punks, Skinheads sind irgendwie vorbei. Ich glaube tatsächlich, dass HipHop der neue Punk ist. Im Sinne von: Das ist jetzt genau so beliebig und langweilig, wie Punk irgendwann beliebig und langweilig geworden ist.


Noisey Shorties: “KitschKrieg übernimmt”


Ihr teilt ja sehr viel aus in euren Texten. Aber welche Ansprüche stellt ihr an euch selbst?
Grim104: Ich möchte mich auf jeden Fall ungerne wiederholen. Also ich möchte gerne etwas Neues machen, ich möchte gerne einen neuen Song schreiben, ich möchte mich irgendwie weiterentwickeln, ich möchte ungern das machen, was Leute von mir erwarten. Ich will Leuten durch die Hände rieseln. Wie Sand. Ich will unvorhersehbar sein.
Testo: Ich will geile Musik machen, geile Kunst. Die etwas auslöst. Da spielt ja mit rein nicht langweilig zu sein. Ob das nun ist, dass die Leute es gruselig finden oder, dass ich ihnen aus dem Herzen spreche. Der Punkt ist, dass es etwas auslösen soll.

“Mir macht es tatsächlich sogar manchmal Spaß Widersprüchlichkeiten aufzustellen und nicht nur gefällige, durchwinkbare Musik zu machen.”

Ihr seid ja sehr politisch in euren Texten. Ihr sagt sehr klar, welche Dinge euch stören. Aber gleichzeitig haut ihr auf dem Album Begriffe wie “Spast” und “Behindi” raus, die nicht zu Unrecht in der Kritik stehen, weil sie halt Leute diskriminieren. Wie geht das zusammen?
Testo: Ein politischer Mensch sein schließt für mich eben nicht mit ein, sich der totalen Political Correctness zu unterwerfen. Das sind für mich zwei unterschiedliche paar Schuhe. Kunst soll auch wehtun, soll auch aufrütteln. Und wie gesagt, man soll etwas spüren dabei. Die Kunst soll auch die Realität abbilden. Und da gehört es in dem Kontext eben auch dazu, bestimmte Begriffe zu verwenden, aber auch Begriffe nicht zu verwenden. Aber da sehe ich für mich keinen Widerspruch. Nur weil ich das Wort “behindert” in einem abwertenden Kontext verwende, heißt das nicht, dass ich deswegen ein unpolitischer Mensch bin. Oder dass meine Musik deswegen per se eine schlechte Musik wäre.
Grim104: Mir macht es tatsächlich sogar manchmal Spaß Widersprüchlichkeiten aufzustellen und nicht nur gefällige, durchwinkbare Musik zu machen. Die beiden Wörter werden ja von mir benutzt und ich habe auch immer wieder hin und her überlegt, ob man das jetzt macht, ob man das nicht macht …
Testo: Da gibt es halt zwei Extreme. Zum einen so eine total politisch korrekte Welt – das stelle ich mir halt mega-langweilig vor. Gerade wenn es es um Kunst geht. Weil dann passiert da nicht mehr viel. Aber genauso ist natürlich eine Welt, in der jeder alles sagen darf und jeden verletzen darf natürlich auch nicht so geil. Das ist auf jeden Fall eine interessante Diskussion. Ich fürchte nur, dass man die nicht theoretisch oder ideologisch führen kann, sondern dass jeder Mensch für sich gucken muss, welche Wörter er aus welchen Gründen benutzt oder eben nicht benutzt. Politisch korrekt oder inkorrekt ist für mich nicht wirklich eine moralische Kategorie, weil du kannst politisch korrekt und trotzdem ein Riesen-Arschloch sein. Du kannst aber auch politisch inkorrekt und ein cooler Mensch sein.

Auf “Steffi Graf” habt ihr sogar einen sehr expliziten Diss gegen RIN. Warum bekommt ausgerechnet er gerade so viel ?
Grim104: Es ist ja keine Fokussierung auf RIN. Natürlich macht das auch Spaß auf Leuten rumzuhacken und Witze über sie zu machen, wenn Leute sich die ganze Zeit nur über Klamotten definieren. Aber eigentlich geht es eher darum, auf diesem Modediktat und diesem Diktat der Coolness rumzuhacken. Aber RIN ist nur ein Symptom. Ähnlich wie diese Craft-Beer-Lines.

In diesem Moment steht Grim auf scrollt durch sein Handy auf der Suche nach Songs, die er mag. Er findet keine.

Wir haben bereits festgestellt, dass ihr sehr viel scheiße findet. Aber wen findet ihr momentan gut?
Testo: Trettmann ist geil. Von 187 höre ich auch gewisse Songs gerne an. Aber sonst … Keine Ahnung. Es gibt so einzelne Künstler wie zum Beispiel Haftbefehl, da freue ich mich schon, wenn da was neues von denen kommt. Aber das sind so Leuchttürme. An sich finde ich gerade ziemlich wenig geil. Was sagst du dazu, Grim?
Grim104: Da stimme ich auf jeden Fall zu. Ich gucke gerade mal, was ich so habe. [In diesem Moment steht Grim auf scrollt durch sein Handy auf der Suche nach Songs, die er mag. Er findet keine.]

Zum Abschluss natürlich die Frage, die nach “Was für eine Zeit” kommen muss: Warum hasst ihr uns?
Testo: Ich hasse Noisey nicht! Ihr seid genau wie RIN und das Craft-Beer ein Symptom für diese westliche Welt, in der wir leben. In der es halt darauf ankommt, wo eigentlich jeder sich die Frage stellt, “Machen wir jetzt jeden Scheiß mit” beziehungsweise im Journalismus eben: “Setzen wir jetzt auf Content-Schwemme, Clickbait und Response oder setzen wir auf Inhalte und so weiter.” Ich weiß doch um euren Struggle, aber trotzdem. Jetzt will ich dich am liebsten umarmen! [lacht]
Grim104: Ich habe ja die Line Gott sei Dank nicht geschrieben. Aber ihr seid da ja wirklich das Symptom. Der Klickmonitor, der kennt keine Gnade. Und deshalb muss halt Content, Content, Content. Ihr habt ja echt viele fähige Leute, die bei euch arbeiten und die ihr hervorgebracht habt. Aber nach dem zehntausendsten Trash-Artikel darf ja wohl mal eine kleine Line kommen.

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Alle gegen Alle von Zugezogen Maskulin erscheint am 20. Oktober 2017 auf Four Music und kann hier vorbestellt werden. Zugezogen Maskulin gehen außerdem auf Tour:

19.10.2017 Berlin (Bi Nuu)
10.01.2018 Leipzig (Werk 2)
11.01.2018 Rostock (Peter-Weiss-Haus)
12.01.2018 Bremen (Tower)
13.01.2018 Münster (Skaters Palace)
15.01.2018 Köln (Club Bahnhof Ehrenfeld)
16.01.2018 Frankfurt (Zoom)
17.01.2018 München (Strom)
18.01.2018 Würzburg (Bechtolsheimer Hof)

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