Eigentlich ging es ja nur darum etwas Geld zu sparen, aber nach einem zweiten Konsum-Ausflug in Deutschland ist mir klar geworden: Einkaufstourismus ist die Hölle!
Am letzten Samstag wollte ich wieder in Weil am Rhein einkaufen gehen. Hauptantrieb waren Zigis und Gemüse (Obwohl die Auberginen vom ersten Mal innen braun angefault waren.) Aber da ich über Mittag 2,5 Stunden joggen ging, war ich am Nachmittag ausgelaugt. (Weil ich viel zu selten 2.5 Stunden lang jogge.) Dann raffte ich mich etwa um 18 Uhr auf. Meine Mitbewohnerin gab mir den Ratschlag nicht wieder im „Marktkauf”—auch bekannt als „Rheincenter”—einzukaufen, sondern im „Alnatura” beim Bahnhof Weil am Rhein.
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Diesen Vorsatz wollte ich zwar umsetzen, aber tat es dann doch nicht. Und zwar weil ich mein Käuferdasein mit den Zollzetteln vom letzten Mal schon an den „Marktkauf” gebunden hatte: Um an die insgesamt etwa 25 Euro Mehrwertsteuer-Rückerstattung zu kommen, musste ich die Zettel an Kassen und Kundendiensten im Rheincenter eintauschen.
Ich radelte. Und war trotz Schnee und Kälte froh, dass ich radelte, denn so konnte ich auf das Trottoir ausweichen, denn neben mir stauten sich die Autos schon 500 Meter vor der Grenze und auch das Tram stockte. Natürlich hätte ich es wissen müssen, am Samstag ist jedes Einkaufszentrum die Hölle. Aber ja: Ich hatte mir eingeredet, dass ich keine Entscheidungsfreiheit habe, dass ich einfach dem Sparzwang unterworfen sei; die Zigis vom letzten Mal waren schon fast alle weggeraucht (Die letzten verglimmten auf dem Heimweg von der Einkaufstortur.) und diese Woche würde ich es nicht noch mal während den Öffnungszeiten nach Weil schaffen.
Auf der anderen Seite der Grenze begrüsste mich eine 150 Meter lange Schlange, die am Zoll ihre Zettel bestätigen lassen wollte. Aus dem Parkhaus vom „Marktkauf” erreichte mich eine Wall of Sound aus hupenden Autos. Hab ich erwähnt, dass es schneite? Drinnen wurde die Wall of Sound aus Hupen durch Kindergeschrei ersetzt. Es hörte sich an wie in einem alten Game, in dem einfach zigtausend Mal derselbe Sprachfetzen gesampelt wurde. Erst stand ich 10 Minuten beim Kleiderladen an, um mir meine Mehrwertsteuer zurückzuholen. Die 15 Euro nahm ich ohne Befriedigung.
Auf dem Weg zum Lebensmittel-Center kam mir dann eine Gruppe Knapp-Nicht-Mehr-Teenies mit vollen Einkaufstaschen entgegen: „Nei! Me müend nomol ine. Es giht es neus mit Caramel-Vanillegschmack, woni umbedingt wöt testtrinke.” Zwei lösten sich und gingen wirklich wieder in den Riesenladen. Am Kundendienst vom Lebensmittel-Center wurde ich dann angepfurrt, weil meine Unterschrift unlesbar sei.
Für eine erste Gefechtsübersicht schaute ich mich vor meinem Einkauf bei den Kassen um. Alle Kassen waren offen; die Schlangen waren dermassen dicht und lang, dass nicht mehr ersichtlich war, wer wo ansteht. Ich nahm mir vor, genau sieben Artikel zu kaufen. So durfte ich bei einer der Expresskassen anstehen. Die Schlange war da zwar noch länger, aber das Artilleriebataillon aus vollgestopften Einkaufswagen überzeugte mich davon, dass ich bei den leichten Truppen stehe.
Durchstehen! Überleben! Es gibt keine Medal Of Honor für billige Lebensmittel; es gibt nichts mehr zu gewinnen. Von irgendwoher tönt es: „Wenn sich d Politik nid bewegt, bewegt sich de Konsument! Isch jo au, was du immer säisch.” Zollzettel wollte ich dieses Mal keine ausfüllen, da nur schon vor dem Stand mit den zur Verfügung gestellten Kugelschreibern eine Menschenschlange wartete. Ich kaufte irgendwas, das mir halbwegs nützlich bzw. deutlich billiger erschien: Cornflakes, Waschmittel, Toilettenpapier, Zigis.
Auf dem Förderband in den zweiten Stock blickte ich auf ein riesiges Plakat mit wunderschönem Flusszenario und dem Claim „Einkaufen. Erleben. Geniessen.” (Auf dem Weg in die Gegenrichtung wollte ich ein Foto davon machen, aber beide Versuche verwackelten. Der Grund dafür war ein kleines Mädchen, dass mich als Slalompfosten missbrauchte plus Stress plus ein Stapel aus WC-Papier und Waschmittel in beiden Händen.)
Bis jetzt verhielt ich mich gemäss der Losung „Search and Destroy”: Lageanalyse, schnell rein, keine Pause, schnell wieder raus. Aber jetzt begann das Warten, das Anstehen, das Bibbern. Erst forderte ein Kunde von der Kassiererin eine Stange Marlboro (ausverkauft!) und diese nutzte all ihr verfügbaren Kommunikationswege—Anschreien einer Kollegin, rumlaufen, irgendjemanden anfunken—um eine zu finden. Als keine Stange zu finden war, füllten sich die Kunden Päckli um Päckli ab. Natürlich liessen sie es sich nicht nehmen, genau zu zählen. Man will ja kein Päckli unter der Maximalgrenze über den Zoll bringen.
Als ich dann dran war, drängte sich ein Mann mit einem bunten Reisekoffer an mir vorbei: „Ig ha nur dä! Ig ha nur dä! Löht mi duure.” Ich konnte mich nicht mehr wehren. Der Herr zahlte den Koffer aber nicht, sondern stritt sich mit der Verkäuferin über die fehlende Garantie. Dann war ich dran. Nei, ke Zollzädl – isch scho guet.
Draussen: Hupen, überall Hupen. Die Schlange zur Zollzettelbestätigung ist nochmal 100 Meter gewachsen. Und noch immer drängten die Autos nach Deutschland. Um 19:45. Die Autokolonne war jetzt noch länger, reichte bis zur Brücke über die „Wiese” (Das ist ein Fluss; der heisst so.). Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass ich an dem Abend zu Hause geblieben bin. Tee und Pastis. Ruhe und Morrissey.
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