Ihr ganzes Leben wurde diese Frau gehasst. Erst als Sozialfahnderin auf Sat1, dann als “Anwältin der Armen”, wo sie für Sozialhilfe-Empfänger auftrat. Der Höhepunkt der Helena-Fürst-Aversion kam dann Anfang dieses Jahres: das Dschungelcamp. Das Netz nannte sie nur noch “HEULEna”, nachdem die Kakerlaken-Challenge sie zu Tränen gerührt hatte. In solchen Situationen wirkte sie oft, als würde sie selbst Hilfe brauchen. Doch sie lässt sich von der Meinung Hunderttausender nicht beeinflussen. Jetzt arbeitet sie als Beraterin, als “Live-Life-Coach”, wie sie sich selbst nennt. Sie erklärt anderen, wie sie ihr Leben auf die Reihe bekommen.
Ich melde ich mich für ihr Coaching an. Lebenstipps von Helena Fürst. Die Einladung steht auf Facebook, so wie der Preis: 49,99 Euro. Gekauft.
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Was wird mich erwarten? Werde ich in ein Megaphon brüllen müssen, dass ich einen Job suche? Oder muss ich Helena Fürst auf offener Straße meine Liebe erklären? Beides waren wirklich Aufgaben, die sie Sozialhilfe-Empfängern in ihrer Sendung auftrug. Wie singt sie selbst so schön in ihrem Party-Hit, der nie zum Hit wurde: “Es ist geil, ein Arschloch zu sein”. Im dazugehörigen Interview sagt sie: “Ich leb mein Leben und es ist einfach geil.”
‘Ich schreibe einen Essay übers Scheitern’, sage ich zu Helena Fürst—zu einer Frau die vieles sein möchte, aber nicht gescheitert.
Sie hat es schließlich geschafft, lebt ihren Traum: Sie ist ab und zu im Fernsehen. Ich sitze bei ihrer Lebensberatung. Die geheime Location ist ein “Event Venue” in Berlin-Neukölln, ein ziemlich leerer Raum, in dem fünf bunte Stühle und Kekse auf einem Tisch in der Ecke stehen. Helena Fürst steht draußen und raucht, wartet auf mich und die vier anderen Teilnehmer, von denen sie zwei schon kennt. Bei einem bin ich mir nicht sicher, ob er nicht auch von einer Redaktion geschickt wurde. Ein gutaussehnder Typ Mitte 30, warum ist er denn hier?
Zu Beginn sagt Helena Fürst, sie hoffe, dass keine Presse da ist—schließlich werden hier private Dinge besprochen, die nicht nach außen dringen sollen. Ich sage: “Doch, ich komme von VICE.” Die Fürstin erklärt mir, dass ich hier falsch bin, und fragt nach, an was ich genau arbeite. Ehrlichkeit ist oft der beste Weg, aber an dieser Stelle hätte ich etwas feinfühliger antworten können. “Ich schreibe einen Essay übers Scheitern”, sage ich zu Helena Fürst—zu einer Frau die vieles sein möchte, aber nicht gescheitert. Dann muss ich gehen. “Das ist das Beste”, sagt die Fürstin forsch und bringt mich zur Tür. Ich frage noch, ob ich mein Geld zurückbekomme. Nein.
Zumindest stand ich ihr jetzt gegenüber: perfekte Augenbrauen, Make-up-Schicht in Standard-Fernseh-Dicke, blonder Zopf. Auf meine weitere Interview-Anfrage keine Reaktion. Aber wozu ein Gespräch, wenn sie doch ohnehin ihre ganze Geschichte festgehalten hat? In ihrem Buch stehen alle ihre Lebenstipps, sagt sie selbst. Nach einem Shitstorm im Februar zog sie sich kurz aus der sonst so gewünschten Öffentlichkeit zurück und schrieb: “Die Hotline ist momentan nicht aktiv, ich bin mit anderen Projekten ausgelastet! Ich beantworte auch keine Anfragen oder Briefe von Menschen die gerne meine Hilfe möchten! Entsprechende Ratschläge können Sie meinem Buch entnehmen!” Ich kaufe mir also ihr Buch Der Füst Code. Ein Ratgeber E-Book für 6,99 Euro.
Als ich auf “bezahlen” klicke, durchfährt mich ein Gedanke: In diesem Text muss ich mindestens noch eine grundlegende Frage der Menschheit beantworten, damit ich VICE erklären kann, warum ich jetzt schon 57 Euro ausgegeben habe, um mich Helena Fürst zu nähern. Mit diesem Geld hätte ich auch nach Heidelberg fahren können, um mit einem Nobelpreisträger zu sprechen, oder eine zweistündige Segway-Tour durch Berlin starten können oder für mich und meine Eltern Drogen kaufen und darüber schreiben. Aber jetzt ist es eh zu spät und ich fange an zu lesen.
Helena Fürst schreibt: “Mit meinem Buch haben Sie eine effektive Waffe gegen Behördenpingpong in der Tasche”. Es geht aber erst mal seitenlang um etwas anderes: Um sie selbst. Sie hat ihre eigene Fernsehshow als Sozialfahnderin bekommen, dann den großen Move zur Kämpferin für Arme hingelegt. Früher hat sie für den Staat gearbeitet, dann erkannt: Eigentlich will sie diesen hilflosen Menschen helfen. Aber Helena Fürst arbeitet nicht für Menschen, sondern fürs Fernsehen. Das spiegelt sich in den Kommentaren bei einem großen Online-Versandhändler wider: “Selbstbeweihräucherung und Lobreden auf die eigenen Fähigkeiten”. Ich frage mich: Wer hat dieses Buch denn gekauft? (Außer einer VICE-Journalistin, die viel zu viel Geld für Helena Fürst ausgegeben hat und deshalb jetzt diesen Text schreibt.)
Helena Fürst führt eine Widersprüchlichkeit ad absurdum, die uns wir alle in uns tragen
Helena Fürst sieht sich als selbstlose Helferin, als Vorbild. Das ist selbstgerecht. Aber eigentlich ist es ein Konflikt, den wir selbst auch jeden Tag austragen: Bio-Kaffee macht niemanden zu dem Umwelt-Retter, der er gerne wäre—das haben uns Antilopen Gang schon vor Jahren erklärt: “Und sie kaufen sich Kaffee von unabhängigen Händlern, aber fressen für zwei Euro jede Scheiße in der Mensa.”
Im Grunde haben wir alle dasselbe Problem wie Helena Fürst: Für Arme zu kämpfen, ist ihre Show. Gesellschaftskritische Bücher zu lesen, ist die Show vieler Studenten. Die Motivation ist dieselbe: Es geht nicht darum, Armen zu helfen, oder um den Inhalt guter Bücher—sondern um das Schustern am gewünschten Selbstporträt. Die eine will die Kämpferin für die Schwachen sein, die anderen gebildete Menschen.
Helena Fürst führt eine Widersprüchlichkeit ad absurdum, die wir alle in uns tragen. Es gibt Dinge, für die wir stehen wollen. Aber setzen wir uns wirklich für den Regenwald ein, oder ist der Öko-Pulli nur kuschelig und cool? Stehen wir wirklich für eine gerechtere Aufteilung der Ressourcen, oder lässt sich das nur leicht sagen, wenn Mami und Papi sowieso das schicke Zimmer in der Altbau-Wohnung finanzieren?
Versuchen wir einfach mal, Helena Fürsts Handeln mit dem Philosophen Immanuel Kant zu betrachten. Nach dem Grundsatz “Handle so, dass die Maxime deiner Handlung zur allgemeinen Norm erhoben werden könnte”, müsste Helena Fürst sich fragen: Was würde passieren, wenn sich alle Menschen so inszenieren wie sie? Man selbst steht über anderen. Die anderen sind klein, man selbst ist groß. Das geht natürlich nicht. Denn Helena Fürsts Modell geht nur, so lange es Menschen gibt, auf denen mal rumtrampeln kann. Hier kommt Kant an seine Grenzen. Denn wenn alle oben stehen, dann liegt ja keiner mehr unten. Oder liegen dann alle unten? Wenn alle Ausbeuter sind, gibt es dann überhaupt noch jemanden auszubeuten. Und wer guckt dann noch Trash-Fernsehen?
Die Folge ihrer Shows war: Menschen werden an die Öffentlichkeit gezogen, damit Zuschauer sich an ihnen aufgeilen können. Nun muss man Helena Fürst zugute halten, dass sie dabei auch nicht vor sich selbst Halt macht. Im Dschungelcamp übernahm sie die Rolle derer, über die sich Menschen auf dem Sofa lustig machten. Ob das jetzt eine bewusste Entscheidung war oder sie da in dem Streben nach noch mehr Aufmerksamkeit reingeschlittert ist—oder einfach nur Geld brauchte—, hat in diesem Kontext keine Bedeutung. Die Folge war: Erheiterung der Menschen vor dem Bildschirm.
Ich habe diesen Text geschrieben, weil ich 57 Euro aus dem VICE-Budget dafür ausgegeben habe. Was treibt Helena Fürst an? Vielleicht geht es ihr am Ende gar nicht darum, mir zu helfen. Vielleicht musste ich mit meinem Geld sogar ihr helfen, weil sie nicht mehr ins Fernsehen kommt. Dann hätte ich mit meinen 57 Euro sogar etwas Gutes gemacht, Helena-Fürst-Sozialhilfe, sozusagen. Kant wäre stolz auf mich.
Buchtipps nimmt Sofia auf Twitter entgegen.