Ich habe auch gute Gründe, einen Haufen Geld verschwinden zu lassen

Kürzlich bekam ich eine Steuernachzahlung reingedrückt, weil das Finanzamt mir mein Arbeitszimmer nicht anerkennen wollte, nur weil es ein Durchgangszimmer ist. Ich war wütend.

Warum sind Leute wie Uli Hoeneß, Boris Becker und Lauren Hill so gut darin, keine Steuern zu zahlen? Und warum kann ich das so schlecht? Vor Groll zitternd gab ich mich meinen süßesten Fantasien hin. Ich habe darin sehr viel Geld, und der Staat bekommt nichts davon. Ich habe ein Vermögen mit einer Fleischfabrik oder einer Drogeriemarktkette gemacht. Oder mit einem sozialen Netzwerk, das ich rechtzeitig vor seinem Verfall an einen begeisterten älteren Herrn aus der Printbranche für viele Millionen Euro verkauft habe. Ich sitze am Kamin meiner Villa am Genfer See und denke: Ich habe genug für dieses Alpenland getan, ich muss nicht auch noch Steuern zahlen. Ich habe die Mägen meines Landes mit Schinkenwurst gefüllt oder die Ärsche meines Landes mit vierlagigem Klopapier versorgt. Oder die Teenagerseelen meines Landes ihre Gefühle in meinem Netzwerk ausschütten lassen. Ich habe wirklich genügend Opfer damit gebracht, ein Unternehmen zu führen, statt mich in einem Fashion- oder Food-Flog selbst zu verwirklichen.

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Dafür muss ich nicht auch noch mehrere Millionen Euro an den Staat abdrücken. Sicherlich habt ihr auch keine Lust, dafür zu bezahlen, dass der Skylink am Wiener Flughafen nie fertiggestellt wird. Oder dass wie bei unseren Berliner Freunden Flughäfen, die niemals eröffnet werden, 24 Stunden lang beleuchtet werden. Ich habe also gute Gründe, eine Menge Geld verschwinden zu lassen. Aber wie? Natürlich kann ich ein Konto in der Schweiz eröffnen. Aber wer garantiert mir, dass mein Name nicht auf einer Steuer-CD landet, wenn ich die Knete erstmal außer Landes geschafft habe?

Steuerhinterziehung ist im Jahr 2013 eine Art Extremsport geworden. Aber für jedes Survivaltraining gibt es einen Experten. Jemanden, der die Schlupflöcher der Welt kennt wie Reinhold Messner den Mount Everest. Dieser Mann heißt Hans-Lothar Merten. Der Münchner Bankkaufmann und Betriebswirt hat den Klassiker Steueroasen geschrieben und verrät darin einen Haufen Tipps. Für Steuersünder, solche, die es werden wollen, und solche, die es nicht mehr sein wollen. Ich muss den Evangelisten der Steuerhinterzieherbibel sprechen, rufe beim Verlag, genauer gesagt dem Walhalla Fachverlag, an und lasse mir einen Termin mit Merten geben.

VICE: Herr Merten, man hört nur noch von Steuer-CDs und prominenten Steuerflüchtlingen, die sich selbst anzeigen. Muss Steuerhinterziehung heute nicht einen wahnsinnigen Adrenalinkick geben?
Hans-Lothar Merten: Es ist für Steuersünder unglaublich schwierig geworden, etwas zu machen. Der Informationsaustausch hat zugenommen, die Kontrollen haben zugenommen. Sogar Luxemburg meldet ab 2015 Kontoinhaber namentlich bei ihren einheimischen Finanzbehörden, Österreich wird da sicherlich auch in einigen Wochen einlenken.

Ich habe also mein Unternehmen verkauft und will meine Millionen in die Schweiz bringen. Was tue ich dagegen, dass mein Name auf einer Steuer-CD landet?
Das Gefährliche ist: Alle Daten rückwirkend bis zu 10 Jahren sind elektronisch erfasst. Selbst wenn Sie die Bank wechseln, ist jeder Transfer nachvollziehbar. Und die Schweizer Banken sagen zu den Leuten mit Schwarzgeldkonten: Wir wollen euch nicht mehr. Obwohl sie in den letzten 15 Jahren nichts anderes getan haben, als ihre Produkte auf Steuerbetrug auszurichten.

Was ist das nächste große Ding der Steuerfluchtszene?
Der neueste Hype ist Miami. Viele Gelder aus der Schweiz fließen da hin. Früher sind dort Drogengelder aus Südamerika über die Karibik hingeflossen. Die haben dort gewachsene Strukturen. Ich überlege mir ja schon, wem genau ich mein Geld gebe. Denken Sie an Afrika—wem wollen Sie denn da Ihr Geld anvertrauen? Selbst wenn Sie da Steuerfreiheit haben! Die Infrastruktur muss bei solchen Dingen stimmen.

Ihr Buch ist ein Reiseführer für die internationalen Steuerschlupflöcher. Inzwischen haben Sie den 18. Jahrgang veröffentlicht. Wenn ich vor 18 Jahren Ihrem Buch gefolgt wäre, könnte ich heute im Knast sitzen.
Die Dinge haben sich verändert. Vor 20 Jahren waren Steuersünder überhaupt kein Thema! Ich war der Erste, der diese Thematik öffentlich behandelt hat. Es geht heute viel mehr um Ausweichmöglichkeiten. In Konzernen gibt es ganze Abteilungen, die nichts anderes tun, als Länder mit niedrigen Steuersätzen herauszufiltern, und die Doppelbesteuerungsabkommen zu durchforsten, um den legalen Touch zu behalten.

Sie sprechen von „wirtschaftlicher Selbstverteidigung“. Ist der Staat ein Angreifer, den man aufs Kreuz legen muss?
Wir haben in Österreich 230 Milliarden Euro Schulden, in der EU 9 Billionen. Und jeder Finanzminister denkt sich, wenn er Steueroasen knackt, fließen riesige Geldmengen in seine Börserl. Deshalb sagt er Ihnen doch nicht: Zahlen Sie weniger Steuern! 

Im Klappentext Ihres Buchs steht ein Zitat der Süddeutschen Zeitung: „Es gibt Bücher, die lassen den Wunsch nach einer Zensurbehörde aufkommen. Dieses gehört dazu.“ Haben Sie selbst schonmal Ärger mit dem Finanzamt bekommen?
Ich sage ja nicht: Ihr müsst das so machen! Aber wenn Sie zwischen den Zeilen lesen, dann wissen Sie, wie Sie es machen können. Das ist eine Gratwanderung. 

Ist es Ihr persönliches Anliegen, den Staat damit zu provozieren?
Das gehört sicherlich mit dazu. Bei all der Scheinheiligkeit, die wir in Europa sehen. Wenn der Gesetzgeber selbst nicht dafür sorgt, dass Steuerflucht unmöglich wird, dann können Sie das doch den Unternehmen, die im Interesse ihrer Aktionäre höchstmögliche Gewinne erwirtschaften müssen, doch gar nicht verübeln.

Haben Sie schon mal einen Brief aus der Karibik bekommen, in dem sich ein Leser für die wertvollen Tipps bedankt?
Man kennt ja mittlerweile einige Leute, die vor 15 oder 20 Jahren ins Ausland gegangen sind, die sich den ein oder anderen Kontakt geholt haben. Aber es gibt auch Leute, die wieder zurück in die Steuerehrlichkeit wollen und mit Fragen kommen. Die Thematik ist die gleiche geblieben, aber sie hat sich um 180 Grad gedreht.

Also kam ein Brief aus dem Gefängnis, in dem Ihnen ein Leser den Tod wünscht?
Nein, das ist noch nicht passiert. Ich sage ja immer: Leute, wenn ihr das machen wollt, dann nehmt euch einen guten Steuerberater. Alleine geht das nicht, man braucht Knowhow. Es wird immer schwieriger, in Steueroasen Leute zu finden, denen man vertrauen kann. Da geht es ja darum, dass Sie denen treuhänderisch Ihr Geld überlassen! Schon in den 90er Jahren sind da viele Schweinereien passiert. Früher war es in Liechtenstein ein gängiges Modell, Schwarzgelder verschwinden zu lassen. Da kamen die Leute wirklich noch mit Geldkoffern nach Vaduz. Und die Treuhänder haben sich die Schwarzgelder in die eigene Tasche gesteckt, ohne dass die Vermögensinhaber etwas dagegen tun konnten. Sie hätten sich ja in Deutschland erstmal selbst anzeigen müssen.

Ist es Ihre persönliche Herausforderung, neue Wege zur „Steueroptimierung“ aufzuzeigen?
Natürlich, die Konstrukte werden zwar immer komplizierter, aber die Steuervermeidungsbranche ist dem Gesetzgeber immer ein paar Schritte voraus. Alleine die Diskussion um ein neues Steuerabkommen mit der Schweiz—wenn der Fall Hoeneß nicht wäre, hätte kein Mensch darüber gesprochen.

Ihr Kommentar zum Fall Hoeneß?
Er hatte ja versteuertes Vermögen in der Schweiz, kein Schwarzgeld. Die Erträge daraus hat er in Deutschland „vergessen“ anzugeben, sagen wir mal „vergessen“. Nun hat er auf das Steuerabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz gehofft, dadurch wäre er anonym geblieben. Nun ist das nicht gekommen, und er hat sich selbst angezeigt. Erstaunlich für einen harten Sportsmann, dass er da Nerven zeigt. Und dabei ist dann wohl irgendwas falsch gelaufen. Möglicherweise bei seinen Steuerberatern. Denn die Tatsache der Hausdurchsuchung und des Haftbefehls widerspricht der Selbstanzeige, die sollte so etwas eigentlich vom Tisch bekommen. Aber nur wenn keine Fragen und Verdunklungsgeschichten mehr offen sind. Möglicherweise war er schlecht beraten.

Man liest gerade viel vom juristischen Begriff der „tätigen Reue“. Ist das wirklich Reue, oder geht es den Steuersündern nur darum, den eigenen Kopf zu retten?
Es geht ihnen darum, den Kopf zu retten. Sie müssen aber auch sehen: Leute, die vor 20 Jahren ihre Gelder ins Ausland geschafft haben, sind heute oft 70 oder 80. Die denken ans Vererben. Und daran, was mit ihren Erben passiert, wenn sie Schwarzgeld erben. Manche wollen einfach reinen Tisch machen. Für sich selbst, um beruhigt ins Gras beißen zu können. Ich hatte mit jemandem zu tun, der sein Unternehmen verkauft hatte und die Erlöse in die Schweiz geleitet hat. Vor zwei Jahren ist sein Name auf einer Steuer-CD bei der Crédit Suisse aufgetaucht. Seine Bank, die ihn 25 Jahre lang hofiert hatte, hat ihm dann gesagt: Wir wollen Sie nicht mehr. Da war der fertig! Innerhalb von ein paar Tagen haben wir dann mit einer großen Kanzlei eine Selbstanzeige gemacht. Innerhalb von vier Monaten war das Ding erledigt, er hat einen hohen Millionenbetrag an Steuern nachgezahlt, aber konnte ruhigen Gewissens schlafen. 

Jetzt weiß ich ungefähr, wie ich es anstelle, Deutschland um mein Vermögen zu bringen. Für das Geld schicke ich meinen Sohn lieber auf eine amerikanische Eliteuni. Vielleicht auch an eine Filmschule, damit er einen traurigen Film über seinen Vater, den Wurst-, Klopapier- oder Social-Media-Millionär und Steuerverbrecher, dreht. So wie es derzeit aussieht, könnte der Film mit meinem Selbstmord enden. Ich würde die Abgase meines SLK durchs Fenster leiten, es mit Schinkenwurst, Klopapier oder Startup-Investmentverträgen abdichten und guten Gewissens sterben. Denn im Internet habe ich schon herausgefunden, was nach meinem Tod mit meinem Schweizer Konto passiert.