Ich habe die Hölle in Ägyptens Gefängnis erlebt


Randel (links) und ich zwischen Verhör 1 und 2 auf dem Polizeirevier. Noch glaubten wir an eine schnelles Ende und freuten uns über dieses Abenteuer.

Überlebt zu haben, ist ein gutes Gefühl! Nicht im ägyptischen Gefangenentransporter zu verbrennen auch. Aber gefesselt Zeuge einer versuchten Vergewaltigung zu werden, ist ein beschissenes Gefühl, welches mir wohl ein Leben lang in Erinnerung bleiben wird.

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„Welcome to Cairo“, ätzte uns der Makler entgegen, der uns eine Wohnung vermittelte, und beendete seinen Willkommensgruß mit einem sarkastischen Lachen. Es ist unser erster Tag in Kairo und der Tag, an dem die Polizei die beiden Lager der Muslimbrüder räumte. Über 600 Menschen wurden dabei getötet.

Die gemietete Wohnung konnten wir in dieser Nacht nicht nutzen. Der Steinboden einer Gefängniszelle sollte unsere Schlafstätte werden.


Die Polizei ist nicht bei allen Ägyptern verhasst, steht aber wegen ihres brutalen Vorgehen ständig in der Kritik. Hier ein gefeierter Polizist auf dem Tahrir-Platz—einen Tag vor dem Putsch des Militärs.

Randel, ein Freund aus Berlin, mit dem ich angereist war, wünschte sich vor dem Schlafengehen noch einen Spaziergang zum Tahrir-Platz.

Auf dem Rückweg wurden wir von der Polizei verhaftet und die Odyssee nahm ihren Lauf.

Die Vorwürfe der Polizei: Missachtung der an dem Tag verhängten Ausgangssperre, das Mitführen einer Splitterschutzweste, einer Gasmaske sowie eines Helmes und das Fehlen einer Sondererlaubnis für mich als Fotograf. Wir hatten es vor der Sperrstunde nicht nach Hause geschafft, doch diese Schutzausrüstung gehört derzeit zum Standard der meisten Fotografen, die in Kairo aktiv sind. Von der benötigten Sondererlaubnis wusste ich nichts. 

Das erste Verhör zu diesen Vorwürfen begann auf der Straße. Ein Polizist forderte mich auf, einen ägyptischen Freund anzurufen, der uns besser beistehen sollte.

Kurz darauf, während des zweiten Verhörs, klingelte mein Handy: Die deutsche Botschaft. Das war der Moment, in dem ich begriff, dass es ernst ist. Mein ägyptischer Bekannter war so geistesgegenwärtig gewesen, die Botschaft zu informieren.

Wir wurden aufs nächste Polizeirevier geführt, drittes Verhör. Die deutsche Botschaft versprach für den nächsten Morgen einen Besuch. Mir wurde klar, dass wir in dieser Nacht nicht mehr frei kommen sollten. Uns wurden die Handys abgenommen. Ich handelte noch das Auskehren der Zelle aus und erklärte, was passieren würde, wenn wir, wie vorgeschlagen, ägyptisches Leitungswasser tränken. Wir bekamen tatsächlich Flaschenwasser und jeder einen winzigen Schmierkäse sowie eine Portion Marmelade. Das war die Ration für die nächsten 20 Stunden. Der Appetit sollte uns aber zunehmend vergehen. In der Nacht hörten wir Schreie aus dem Keller. Eine komische Nacht, die wir überwiegend rauchend und mit dem Schmieden fiktiver Ausbruchspläne verbrachten.


Es wird scharf geschossen, auch auf unbewaffnete Demonstranten und Journalisten. Die Krankenhäuser sind überfüllt. Wer diese Schüsse abgibt, ist nicht immer eindeutig.

Am nächsten Morgen war niemand von der Botschaft im Gefängnis, um uns rauszuholen. Uns wurde zunehmend mulmig.

Als Randel darum bat, auf die Toilette zu dürfen, sollte ich gleich mitkommen. Doch wir wurden nicht zur Toilette geführt, sondern die Treppen in den Keller runtergeschubst… dahin, wo die Schreie während der Nacht hergekommen waren. Wir befanden uns in einem Vorraum, um uns vier Türen. Ein bestialischer Gestank hatte die Notlage dort unten bereits angekündigt: Schweiß, Müll, Exkremente. Drei der Türen wurden geöffnet. Während wir im Vorraum verharrten, bekamen wir Einsicht in die etwa je 15 qm großen Zellen, in die nicht zählbare Gefangene gepfercht waren. Die Zellen waren fensterlos und ohne Licht. Uns wurde deutlich, dass unsere Zelle der vergangenen Nacht die ägyptische Deluxe-Ausführung war.

Dann wurden nach und nach einzelne Gefangene von den aggressiven Polizisten aufgerufen und in den Vorraum gezerrt. Ich sah, dass sie ihre Augen bei dem ersten Lichtkontakt kaum öffnen konnten. Einige hatte große Blutergüsse um beide Augen, andere offene und eiternde Wunden an Füßen oder Beinen. 

Wir wurden je zu zweit mit Handschellen aneinandergefesselt. Die Polizisten stießen uns auf die Knie. So verharrten wir, bis etwa 30 Gefangene aus den Zellen heraussortiert, zu uns in den Vorraum gebracht und ebenfalls gefesselt wurden. 

Die Polizisten schlugen die Inhaftierten und schrien sie ständig an. Dann stießen sie uns die Treppe wieder hinauf. Dabei konnte ich einen Blick durch einen kleinen Schlitz in die Tür der vierten Zelle werfen: Direkt hinter dem Schlitz schaute mir eine Frau mit einem Säugling auf dem Arm in die Augen. Auf dem Weg in den Gefangenentransporter wechselte ich mit einem syrischen Gefangenen ein paar Worte: Seit 20 Tagen sei er hier eingesperrt, seine Frau und sein Kind konnte er seitdem nicht über sein Verschwinden informieren, auch sonst niemanden. Seit drei Tagen hätte er nichts mehr zu essen bekommen. Er sei nach Kairo gekommen, um seine Familie vor dem Krieg in seiner Heimat zu schützen. 

Wir wurden in den Gefangenentransporter geführt. Wir hatten bis dahin keine Ahnung, wo es hingeht. Mir war nicht danach, einen der prügelnden Polizisten um Auskunft zu bitten. 


Molotowcocktails werden in diesen Tagen in Kairo gern genutzt. 

Kurz nach dem Start gerieten wir in einen Stau. Als wir zum Stehen kamen, vernahmen wir draußen einen Tumult. Plötzlich peitschten Steine gegen die Metallwand des Transporters, ohrenbetäubend. Es fielen Schüsse. Wir warfen uns auf den Boden unserer mobilen Gefängniszelle, das Gesicht so tief auf den Boden gedrückt wie möglich. Ein älterer Mann neben mir fing an zu wimmern und betete die El Shahada—das Bekenntnis zu Allah. Mir schoss durch den Kopf: Wenn nun Molotowcocktails folgen, verbrennen wir bei lebendigen Leibe. Auf diese Weise Polizeifahrzeuge in Brand zu stecken, hatte ich in Kairo bereits mehrfach beobachtet. Beim Versuch, dem Mob zu entkommen, rammte der Transporter parkende Autos beiseite und wankte beim Überqueren von Bordsteinen heftig. Wir wurden von einer Ecke in die andere geschleudert, die Handschellen quetschten unsere Handgelenke ein. Wir nahmen wieder Fahrt auf und entkamen der Meute. 

Wie uns später ein Mitarbeiter der deutschen Botschaft erzählte, hatten Muslimbrüder den Transporter angegriffen. Diese waren aus einem nahegelegenen Leichenschauhaus gekommen, in dem ihre Angehörigen, die bei der Räumung am Tag vorher der Lager gestorben waren, aufgebahrt waren.  


Zwischen den Muslimbrüdern und dem Militär und der Polizei ist eine Steigerung der Eskalation kaum möglich. Rücksicht auf Gefangene, die wie wir in einem Polizeifahrzeug transportiert werden, ist wohl kaum zu erwarten.

Auf einem weiteren Polizeirevier wurden Randel und ich mit neun anderen in einen kleineren Gefangenentransporter umgeladen. Ich konnte einen Blick auf das angegriffenen Fahrzeug werfen: Alle Scheiben des Führerhauses waren zerstört, ich sah einen Polizisten mit einer blutenden Wunde im Gesicht.

Sie drückten uns mit Gewalt in die Luke des nächsten Fahrzeuges, es gab nicht genug Platz und wir saßen teilweise übereinander. Zu meinem Erstaunen war eine junge Frau Mitgefangene. Ihr saß ein junger Mann gegenüber, der nach der Abfahrt begann, sie zu begrapschen. Randel und ich, immer noch aneinander gefesselt, protestierten laut aus der anderen Ecke des Transporters. Vergeblich. Wir waren nicht in der Lage zu helfen, konnten nur zu sehen und schreien. Völlige Ohnmacht. Er wurde aggressiver. Er begann wieder, ihre Beine, ihre Brust zu befummeln, fasste ihr hart ins Gesicht, drückte ihren Kopf gegen die Wand, versuchte, ihr das Kopftuch runterzureißen, und schlug sie schließlich. Dieser Typ war mir bereits während des ersten Transports aufgefallen. Er hatte an Armen und Beinen Verbände und war der Einzige, der mit den Polizisten reden durfte, ohne daraufhin mit Schlägen bestraft zu werden. Obwohl er ein Gefangener wie alle anderen war, wurden ihm keine Handschellen angelegt.   

Der Sitznachbar der jungen Frau versuchte, die grapschenden Hände abzuwehren. Doch der Aggressor zog unter seinem Beinverband eine kleine Messerklinge hervor und stach dem mutigen Helfer direkt in die Hand. Blut strömte auf den Boden. Durch unterwürfiges Bitten gelang es einem älteren Gefangenen schließlich, den Typen zu beruhigen. Ich versuchte, mir die Gefühle dieser Frau vorzustellen, gab es aber auf, ich war zu schwach.


Ein Muslimbruder wird von einem Mob verhauen.

Als wir vor einem Gerichtsgebäude anhielten, wurden wir aus dem Transporter geführt. Ich entdeckte zwei auf uns wartende Freunde. Diese riefen uns zu, dass die deutschen Diplomaten bereits im Gebäude auf uns warteten. Nach mehreren Anhörungen durch die  Staatsanwaltschaft wurde die Anklage gegen uns fallengelassen. Die Intervention der deutschen Botschaft war hier sicherlich ausschlaggebend. Alle anderen Gefangen waren keine Deutschen. Wo diese heute sind, weiß ich nicht. 

Sebastian Backhaus dürfte sich wohl nicht als Fotograf bezeichnen. Er hat nie gelernt, mit einer Kamera umzugehen, hat keine Ahnung von ihrer Technik und fotografiert daher grundsätzlich im Autofokus. Wie ihm seine beeindruckenden Aufnahmen gelingen, weiß er wohl selber nicht. Vielleicht gleicht er diesen Mangel mit seinen engen Verbindungen in das extremistische Milieu Kairos aus. Großen Ärger machte er sich besonders dann, als er versuchte, seine Freunde des ägyptischen Black Blocks mit seinen islamistischen Freunden zum gemeinsamen Dinner an einen Tisch zu bringen. Das hat einmal funktioniert, seitdem lässt er das lieber.  

Sebastian Backhaus führt zwei Leben gleichzeitig, die sich ähnlich wie sein ägyptischer Freundeskreis kaum vereinen lassen: In Deutschland geht er einem Job mit Hemd und Bügelfalte nach und stürzt sich, sobald er frei hat, in die Wirren des verlängerten Arabischen Frühlings.

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