„The Head Ache” von George Cruishank. Bild: Wikimedia
Stell dir vor, du wachst nachts auf und denkst, dass sich etwas in dein Auge bohrt. Das ist keine Metapher. Stell dir vor, es fühlt sich an, als würde jemand einen heißen Metallstab durch deinen Hals in dein Gehirn rammen. Auch das ist keine Metapher. Das sind Cluster-Kopfschmerzen.
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Cluster-Kopfschmerzen sind auch als „Selbstmordkrankheit” bekannt, weil sich die Betroffenen wegen der nicht mehr auszuhaltenden Schmerzen oft das Leben nehmen. Diese Krankheit tritt bei 0,1 Prozent der Weltbevölkerung auf und ich gehöre dazu—eine 27-Jährige, die lernen musste, mit dem Krankheitsbild zu leben.
Als ich 17 Jahre alt war, kam der erste Anfall. Ich wusste sofort, dass es sich nicht um normale Kopfschmerzen handelte. Das lag vor allem daran, dass ich noch nie zuvor so schreckliche Schmerzen verspürt hatte—im Bereich um mein linkes Auge bis hin zu meinem Ohr, meinen Zähnen und über mein Genick hinaus. In den fortgeschrittenen Stadien tat es weh, mein Gesicht zu berühren. Ich erlebte die Art der intensiven körperlichen Qual, die dich schnell zur Verzweiflung bringen kann. Dabei war es keine Hilfe, dass ich keine Ahnung hatte, was da eigentlich mit mir los war.
Zwei Monate lang änderte sich daran nichts. Ich war einem Schmerz ausgeliefert, der täglich in 20-minütigen Intervallen kam. Jeden Tag landete ich in der Notaufnahme, aber die Tabletten, die man mir dort gab, hätten auch Tic Tacs sein können. Die Ärzte konnten einfach nichts gegen meine Kopfschmerzen machen. Ich musste immer warten, bis sie von selbst weggingen.
Meine Familie war durch den ersten Auftritt der Krankheit und dessen Folgen für meinen Körper und meine Psyche tief bestürzt. Ich erinnere mich nicht mehr wirklich an diesen Abschnitt, weil ich schon immer eine Tendenz dazu hatte, Gutes zu behalten und Schlechtes zu vergessen (eigentlich eine gute Sache). Ich weiß nur noch, dass ich meinen Kopf immer wieder gegen die Wand schlug, auf dem Boden herumkroch und damit drohte, aus dem Fenster zu springen.
Erst bei meinem zweiten Anfall fand ich eine effektive Methode, um die Schmerzen zu lindern. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits von zu Hause ausgezogen, wohnte in der andalusischen Stadt Rota und arbeitete in der Immobilienbranche. Immer wenn mein Kopf wieder anfing, weh zu tun, nahm ich Migräne-Tabletten. Letztendlich stellten sie sich aber ebenfalls als sehr teure Zweitverschwendung heraus: zwei Tabletten für knapp 13 Euro zeigten wenig bis gar keine Wirkung.
Eines Tages musste ich mal wieder in die Notaufnahme und stellte mich schon darauf ein, die gleiche Scheiße wie sonst auch immer zu hören (von „Eine Migräne ist schon schlimm, aber Sie sollten sich jetzt auch keine so großen Sorgen machen” bis hin zu „Haben Sie schonmal versucht, eine Zitrone auf ihren Kopf zu legen?”). Dieser Arzt war jedoch anders.
„Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich ihnen Sauerstoff verabreiche?”, fragte er. Verständlicherweise nahm ich an, dass er mich verarschen wollte. Deshalb lachte ich nur und wies ihn an, mir richtige Medizin zu verabreichen. Stattdessen platzierte er aber eine Sauerstoffmaske auf meinem Gesicht, verließ das Zimmer und sagte dabei: „Ich bin in 20 Minuten wieder da.”
So lange musste ich allerdings gar nicht warten. Acht Minuten später waren die Schmerzen weg. Als ich den Arzt darauf ansprach, erzählte er mir von einem seiner Patienten: ein 40-jähriger Mann, der die gleichen, durch Cluster-Kopfschmerzen verursachten Qualen wie ich durchmachte. Dieser Arzt opferte seine Freizeit dafür, das Krankheitsbild des Mannes zu erforschen und kam so zu der Schlussfolgerung, dass Sauerstoff eine größere Wirkung als die Schmerzmittel zeigen könnte.
Immer wenn die Kopfschmerzen nun zurückgekehrt sind, bin ich zu dieser kleinen Klinik in Rota gefahren, wo mein Arzt bzw. mein Retter den Sauerstoff für mich vorbereitet und mich wieder unter die Lebenden bringt. Ich kann diesem Mann nicht oft genug sagen, wie dankbar ich für das bin, was er für mich getan hat.
„The Cluster Headache” von JD Fletcher. Bild: Wikimedia
Die Anfälle, unter denen ich im Alter von 19 bis 26 zu leiden hatte, kamen normalerweise einmal im Jahr und dauerten irgendetwas zwischen drei Wochen und zweieinhalb Monaten, inklusive Abklingphase.
Ich hasste es, mich selbst als krank zu bezeichnen, und vielleicht habe ich mich deswegen auch nie als kranken Menschen angesehen. Damals wäre es für mich absolut undenkbar gewesen, so offen wie hier über meinen Zustand zu schreiben. Ich wollte nicht, dass mich meine Mitmenschen bemitleiden. Deshalb habe ich nie erzählt, was mit mir los war.
Ich war auch nie in Online-Foren für kranke Menschen unterwegs, denn meiner Meinung nach ist das ohne Zweifel der schnellste Weg, bei sich Symptome zu entdecken, die eigentlich gar nicht da sind. Mein Mutter fing jedoch damit an, Foren für Leute mit Cluster-Kopfschmerzen nach potenziellen Therapiemöglichkeiten, Heilmitteln und Tipps zu durchsuchen.
Vor Kurzem erzählte sie mir die Geschichten, die sie dort gefunden hatte. Die Facebook-Feeds der Betroffenen waren voller Fotos, auf denen sie Sauerstoffflaschen in den Händen halten. Sie hatten alle das gleiche Profilbild, einen Teddybären mit nur einem Auge. Sie gaben sich immer gegenseitig Bescheid, wenn „das Biest” (also die Kopfschmerzen) zurückgekommen war. Einige von ihnen waren krankgeschrieben und hatten große Probleme, weil die Gesellschaft sich scheinbar nicht um sie kümmern konnte. Ich verurteile oder bemitleide diese Menschen nicht, aber meine eigenen Erfahrungen sind nunmal komplett anders und ich dachte mir, dass es wichtig sei, mein Wissen mit Hilfe einer öffentlichen Plattform zu teilen.
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Während meiner Anfälle, die aus irgendeinem Grund immer im Sommer auftraten, war ich die ganze Zeit aktiv und am Feiern. Ich ging ins Freibad, an den Strand und zum Frisör (auch wenn mir dort möglicherweise an den Haare gezogen wurde). Dazu half ich allen möglichen Leuten bei allen möglichen Dingen. Ich erinnere mich sogar noch daran, als ich mir auf dem Klo eines Clubs Schmerzmittel verabreichte.
Zum Glück war ich damals schon in der Lage, die Symptome eines Anfalls zehn Minuten vor dem Einsetzen zu erkennen. So hatte ich zehn Minuten Zeit, mich in ein Taxi zu setzen und zur Sauerstoffbehandlung zu fahren. Mein Leben hat sich mit dem Besitz einer eigenen Sauerstoffflasche verändert: Ich bin jetzt nicht mehr von Krankenhäusern abhängig, ich kann mir selbst helfen.
Ganz im Gegensatz zu meinem Verhalten während meiner Teenager-Sturheitsphase bleibe ich beim Auftreten der Kopfschmerzen jetzt lieber zu Hause. Ich habe keine Angst, es ist einfach nur viel angenehmer, in der Nähe meines Sauerstoffvorrats zu bleiben.
Das klingt jetzt vielleicht merkwürdig, aber trotz aller Rückschläge glaube ich, dass die Cluster-Kopfschmerzen eine Bereicherung für mein Leben sind. Das Überstehen von solch schlimmen Qualen kann deinem Selbstvertrauen einen gehörigen Schub geben und auch wenn das jetzt wirklich klischeehaft klingt, aber jeder Anfall macht mein Leben für mich ein Stück weit wertvoller.
Wenn du dich (oder einen Bekannten) in meiner Geschichte wiedererkennst und bis jetzt nicht wusstest, was mit dir los war, dann zögere nicht, mich zu kontaktieren. Ich verrate dir gerne die Tipps, die mir dabei helfen, mit den Schmerzen zurechtzukommen und sie manchmal sogar ganz verschwinden zu lassen.