In meinem Gesicht geht es zu wie in der Weihnachtsbäckerei. Die Visagistin Sarah knetet, zupft, klopft, pinselt meine Visage mit Dutzenden Zutaten zurecht. Sie soll das Unmögliche möglich machen und mich für einen Tag in Kim Kardashian West verwandeln. Hätte eine Fee mich nett gefragt—ich hätte mir lieber einen Tag im Leben von Patti Smith ausgesucht. Leider interessiert sich die Welt aber gerade mehr für Kim Kardashian: 78,5 Millionen Instagram-Follower hat die Frau. Wer einen Internetanschluss hat, kann ihr nicht entkommen.
Kim Kardashian hat eines der härtesten und absurdesten Beautyprogramme, die mir bekannt sind: Sie befestigt ihre Brüste mit Gaffatape, verbringt vier Stunden täglich mit Make-up und presst ihren Busen und sonstige Kurven in gleich zwei Lagen von Shaping-Unterwäsche. Ich finde das Ganze pervers, doch zugleich faszinierend. Und will mir die volle Dröhnung geben und alle Kim-Beautyroutinen auf einmal ausprobieren.
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Sarah trägt Lagen von Concealern, Make-up und Highlightern auf sowie drei unterschiedliche Lippenprodukte. Meine eigene tägliche Beautyroutine besteht meistens eher aus einem unangespitzten Kajalstift, mit dem ich mich hektisch in der Straßenbahn schick mache.
Schicht für Schicht kann ich sehen, wie meine eigenen Formen verschwinden. Plötzlich habe ich Wangenknochen, von denen ich nichts wusste. Sarah zieht meine Haare mit zwei Produkten zu einem “Wetlook” zurück und lässt das Ganze mit einer halben Flasche Haarspray erstarren. Das Haarspray klebt meine dick getuschten Kunstwimpern zusammen und mein Auge beginnt zu tränen. Ich sehe ein bisschen verprügelt aus, es wird nachgeschminkt. Dann tapen wir meine Brüste. Drei Leute ziehen mir mit Gaffatape die Brüste hoch, dann kommen noch ein paar Streifen quer, sodass alles, was geht, zusammengepresst wird. Beim ersten Versuch reißt das Klebeband und wir müssen von vorne beginnen. Schmerzen! Es brennt. Ich glaube, ich habe keine Nippel mehr.
Die zwei Lagen Shapingunterwäsche, die ich übereinander ziehe, sind so eng, dass ich beim Anziehen Hilfe brauche. Meine Lungenflügel kämpfen gegen das harte Polyester an. Ich sitze aufrecht, um besser atmen zu können.
Zum Schluss werden mir Schatten an die Brüste gemalt, damit sie more fabulous aussehen, und Goldschimmer ins Gesicht gerieben. Ready. Go. Ich hab Angst, mein Gesicht anzufassen. Es bröckelt ein bisschen, wenn ich das tue. Ich muss an The House Of Wax denken, diesen billigen Horrorfilm mit Paris Hilton in der Nebenrolle, in dem einem Opfer der halbe Kiefer abfällt, als es versucht zu reden.
Kim Kardashian benutzt beim Schminken einige Modellier-Techniken der Drag Queens. In gewisser Weise ist Kim selbst eine Drag Queen; sie verkörpert die Hyperform eines stereotypen Frauenbilds. Sie zügelt sich nicht mit ihrer Beautyroutine und macht kein Geheimnis daraus. Einerseits stützt sie damit ein monotones, übersexualisiertes Frauenbild. Aber anderseits übertreibt sie dabei so sehr, dass sie damit die Perversion eines weibliches Schönheitsideals zeigt. Ihr Erscheinungsbild ist fast Satire, eine künstlerische Inszenierung. Ihr enormer Erfolg legt die Sehnsüchte unserer Gesellschaft offen.
Ich habe eine Fotografin an meiner Seite, die mir Selfie-Weisheiten gibt, so etwas wie: “Zum Fotografieren immer ans Fenster treten. Tageslicht lässt den Teint strahlen.” Jetzt muss ich sexy gucken—und das ist wirklich nicht leicht. Fotografin und Visagistin raten mir, dafür den Mund etwas offen stehen zu lassen, leicht auf die Wangen zu beißen und die Stirn etwas anzustrengen, “eigentlich so wie bei einem Schlaganfall”. Der Tipp hilft mir auf jeden Fall und ich gebe mein Bestes.
Danach will ich raus in die Welt, sehen, wie die Leute auf mein neues Kim-Ich reagieren. Noch bevor ich an der Straßenbahn angekommen bin, ernte ich Blicke. Viele Frauen lachen und flüstern, die Typen glotzen. Es liegt natürlich auch daran, dass ich mich durch das permanente Selfie-Machen exzessiv selbst zelebriere. Diese Provokation macht mir Spaß. Ich fühle mich, wahrscheinlich besonders durch meine Maskerade, vor den Blicken sicher. Ich nehme auch die abwertenden und sexistischen Blicke nicht persönlich, dennoch fühlen diese sich eher ungut an. Vielmehr stört mich aber, dass der Wind meine Augen wieder zum Tränen bringt und die Schminke zerläuft. Nicht einmal 20 Minuten ohne meine Visagistin und ich habe dicke Make-up-Ränder unter den Augen. Außerdem ist es 30 Grad warm und ich schwitze wie Sau unter meinem Shaping-Polyesterpanzer.
Nachdem ich noch ein paar Stunden etwas planlos durch die Stadt laufe und Selfies mache, treffe ich eine Freundin in einem Café. Sie versucht ein wenig verzweifelt, mein Gesicht zu retten, aber es fließt ihr wortwörtlich durch die Finger. Mittlerweile scheiß’ ich auf den Look. Ich rauche und trinke ohne Strohhalm. An meiner Kippe und meinem Glas hängt dicker Schminkeschmand.
Bis hierhin war es noch witzig, aber langsam macht sich ein Gefühl von klaustrophobischer Beklemmung breit. Gerne würde ich mir die dicken, langen Plastikwimpern, die von innen gegen meine Sonnenbrille schlagen, abreißen. Der Schweiß läuft mir die Knie runter, das Gaffatape an meinen Brüsten löst sich und ragt aus meinem Dekolleté heraus. Game over. Ich beschließe, nach Hause zu fahren.
Ich will nicht Kim Kardashian sein und ohne permanent eine Crew um mich zu haben, schaffe ich es auch nicht. Sie selbst wohl genauso wenig. Das Bild von Schönheit und Weiblichkeit, das sie auf Instagram verkörpert, ist absurd und unrealistisch. Ich kann jedoch nicht leugnen, dass es mir auch ein bisschen Spaß gemacht hat, die Kim in mir zu zelebrieren—ein bisschen Aua, um mich für einen Moment ein bisschen geil zu fühlen.
Als ich auf die Bahn warte, stehen zwei Drogenabhängige neben mir. Wir haben dieselben ramponierten Schwitzgesichter. Am Ende sind wir doch alle Junkies, auf der Suche nach ein bisschen Glück, abhängig von Bestätigung oder dem, was uns Liebe suggeriert. Ich wurde nach dem Experiment gefragt, was die Feministin in mir zu alledem sagt. Sie sagt: Sei die Person, die dich glücklich macht. Mit Schminke oder ohne. Dabei wäre es sicher eine schöne Idee, sich zu befreien von all dem Hype, wie ein Körper, wie ein Mensch, ein Leben zu sein haben. In diesem Sinne: Holt die Brüste aus dem Gaffa.
Pepper fotografiert nicht nur sich selbst als Kim—mehr auf Instagram.