Ich habe im Chinesen-Kostüm gefeiert, um herauszufinden, wie rassistisch Halloween ist

Wenn Kinderkostüme wieder Debatten über Rassismus auslösen und pietätlose Anne-Frank-Kostüme angeboten werden, wenn dein Newsfeed mit Clips zur perfekten Kürbissuppe mit Totenkopf-Topping überschwemmt wird – dann weiß man: Hurra, es ist Halloween.

Als Kind warf man sich in sein bestes Do-It-Yourself-Heldenkostüm, zog um die Häuser und stritt mit seinen Freunden, wer beim Nachbarn klingeln muss, nur um ein paar abgelaufene Süßigkeiten zu erbeuten. Wenn man sich nicht entscheiden konnte, warf man alle geliebten Verkleidungen zusammen und endete als blutverschmierter Vampir-“Indianer” mit Kopfschmuck und Tomahawk. Heute ist es anders. Halloween und Fasching sind nicht mehr der Freifahrtschein, um wahllos in andere Kulturen zu schlüpfen. Wenn sich kleine Mädchen als Disneys polynesische Heldin Moana verkleiden, wird den Eltern Cultural Appropriation vorgeworfen. Wer sich als Ureinwohner, Chinese oder Massai-Kämpfer verkleidet, gilt als Rassist. Ich finde auch, dass Leute mit Blumenketten und Kokosnuss-BH bescheuert sind. Aber ab wann ist eine Verkleidung rassistisch? Wie reagieren Leute in Berlin, wenn ich als Chinese ein stereotypes Kostüm anziehe? Gelte ich dann ebenfalls als Rassist? Mir bleibt nur ein Weg, um es herauszufinden: Ich muss mich in ein Klischee verwandeln.

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Als Kind habe ich nie eine Verbindung zwischen Verkleidung und Rassismus gesehen. Selbst als wir uns in der Grundschule kollektiv als Harry Potter verkleidet haben, und ich von einem Winnetou-Double den Spitznamen “Ching Chong Potter” bekam, habe ich es ignoriert. Damals wusste ich: Dieser Möchtegern-Winnetou war ein Rassist, aber nicht wegen seiner schwarzen Perücke oder seiner ins Gesicht geschmierten Farbe, sondern wegen seiner Aussagen.

Jigsaw (links) kommt aus Lübeck und studiert Medizin

Heute, knapp 15 Jahre später, hängen neben dem üblichen Deko-Trash aus tanzenden Skeletten und Riesenspinnen, blutverschmierte Arztkittel, aber auch noch immer Afro-Perücken und Kimonos. Bieten Online-Händler, Kostümverleihe oder Dekogeschäfte Kostüme von Geishas und Indianern an, verdienen sie Geld mit der Verbreitung von Stereotypen.

Auf der Suche nach dem idiotischsten Kostüm, das der Markt zu bieten hat, werde ich im Netz fündig. Wenn man “Kostüm” googelt, wird dem Suchenden als erstes der Online-Shop Kostüme.com angezeigt. Ich bin normalerweise skeptisch bei Shops, die ich nicht kenne. Kostüme.com wirbt allerdings mit dem Satz “bekannt aus TV und Radio”, gefolgt von den Logos von Sat1, NDR und Antenne Bayern. Klingt vertrauenswürdig.

Das Sortiment ist ebenfalls beeindruckend: Von Cowboys, Teufeln, Weihnachtsmännern, Obst und Gemüse findet man was aus jeder Epoche. In der Sparte “Aus aller Welt” entdecke ich die Unterkategorie “Asien Kostüme”. Laut Beschreibung findet man hier eine “riesige Auswahl an asiatischen und chinesischen Kostümen wie Asiat, Chinese, Geischa, China Girl”.

“Du kannst es tragen. Bei anderen fänd ich’s schräg”

Auf fünf Seiten findet man ein Sammelsurium an stereotypen Verkleidungen, das nur jemand zusammengestellt haben kann, der “Asien” lediglich aus Kung Fu Panda kennt. Ich scrolle an Ninjas, Indern und Geishas vorbei. Die Kostümmodelle heißen “Jinjin Asiatin”, “Geisha Ayumi” oder “Akiko sexy Geisha” und klingen wie die Google-Übersetzung einer pseudo-asiatischen Pornoseite. Keines der Models sieht asiatisch aus. Sie posen mit Fächern oder machen Karate-Moves. Ich bleibe an einer knallgelben Judo-Jacke mit Gürtel und Kegelhut hängen. Perfekt für mein Vorhaben, aber leider ausverkauft. Ich entscheide mich für eine weibliche Alternative: Ein gelbes Kleid mit Stehkragen und “chinesischen Schriftzeichen”, die wie Fußabdrücke einer Hühnerschar aussehen und so authentisch sind wie (Sorry für die Desillusionierung) gebratene Nudeln vom Asia-Imbiss.

Schon Elvis machte ein Vermögen mit Cultural Appropriation

Meine Mitbewohnerin empfiehlt mir zum Kostüm eine Strumpfhose und bequeme Schuhe. Ich nicke wie ein Erstsemester bei der Antrittsvorlesung. “Make Up!”, schreit sie und wirft die Arme in die Luft. Als Halloween-Freak ist sie schon komplett als blutbespritzte Botschafterin Luzifers geschminkt. Während sie mir einen Lidstrich zieht, “Der macht deine Augen größer!”, tropft Kunstblut von ihrem Hals. Ich frage sie, wie sie mein Kostüm findet. “Du kannst es tragen. Bei anderen fänd ich’s schräg.”

Wenn man so klischeehaft wie ich rumläuft, wird einem Cultural Appropriation vorgeworfen. Kulturelle Aneignung heißt es auf Deutsch und bedeutet, dass eine dominante Kultur sich an einer Minderheit bereichert, ohne sich mit der Kultur näher auseinanderzusetzen. Die Kritik gab es schon bei Elvis, der als weißer Sänger typisch schwarze Bewegungen imitierte und sich an schwarzer Musik bediente – und damit ein Vermögen machte.


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Wir fahren nach Friedrichshain und peilen einen Club an, der “Horrorspektakel der ganz besonderen Sorte” verspricht. In der Schlange vor dem Club stehen so viele Joker und Harley Quinns, als ob drinnen das Casting zu Suicide Squad 2 stattfinden würde. Zwei Dealer bieten uns Drogen an. Beide sind schwarz, der eine trägt einen Pulli mit Wu-Tang-Clan-Logo, der andere einen von Run DMC. Ich traue mich nicht zu fragen, ob das eine Verkleidung ist und lehne dankend ab.

Im Vorbeigehen grinst mich Catwoman an, salutiert und sagt: “Ching Chang Chong Chang”

Im Club beleuchten Neonlichter den spärlich geschmückten Eingangsbereich. Wer nicht tanzt, macht entweder rum oder quetscht sich Richtung Toilette. Die Spinnweben, die weniger Deko und mehr Stolperfalle sind, haben die Konsistenz von aufgedröselten Tampons. Wir werden in Richtung VIP-Bereich geschoben, der von einer 1,50 Meter großen Cleopatra mit Todesblick und Klemmbrett bewacht wird. Ich sehe mich um. Die Frauen sprechen entweder mit den Typen, die sie gerade angraben, oder mit ihrem Spiegelbild bei Instagram. Im Vorbeigehen grinst mich Catwoman an, salutiert und sagt: “Ching Chang Chong Chang”. Ich salutiere zurück. Solche Sprüche gibt es auch ohne das Kleid. Auch nach 23 Jahren habe ich die Bedeutung des Satzes nicht kapiert.

“Ich gehe eigentlich nur auf Fetischpartys”

Neben dem Eingang zur Bar steht ein verstaubtes Bücherregal. Ich weiß nicht, ob es zur Halloween-Deko gehört oder sich Clubgänger in einer Pause wirklich Tristan und Isolde reinziehen. Ein Pärchen starrt mir schon unangenehm lang auf meine Schriftzeichen. Der Typ winkt mir zu. Er trägt einen blutbespritzten weißen Overall, eine Gasmaske und stellt sich als Josep vor. “Dein Kostüm ist dope!”, sagt er. Josep kommt aus der Nähe von Valencia und studiert Luft- und Raumfahrttechnik, seine Freundin ist Halbvietnamesin und jobbt bei Zara. “Danke!”, antworte ich.

Sie singen: “Sie macht alles, jajajaja”, und sehen dabei so aus, als wäre das tatsächlich ihre Vorstellung davon, was “sie” machen soll

Eigentlich, erklärt Josep dann, finde er mein Kostüm scheiße, weil es offensichtlich herabwürdigend sei. Da ich selbst Asiate bin, sei das aber OK. Seine Freundin findet das Outfit witzig und fühlt sich nicht beleidigt, egal wer es trägt. “Es ist ja nicht böse gemeint”, sagt sie. Bevor ich etwas entgegnen kann, sagt Josep: “Klar ist es böse, weil sich andere sich über die Klischees lustig machen würden. In Spanien verkleidet man sich auch als Adolf Hitler, das ist genauso dumm.”

Beim nächsten Song singen die Feiernden so enthusiastisch mit wie Kreisligaspieler nach dem Aufstieg. “Sie macht alles, was ich will, jajajaja. Baby, lass uns heute chill’n, jajajaja”, viele Typen sehen dabei so aus, als wäre das tatsächlich ihre Vorstellung davon, was “sie” machen soll. Neben mir macht einer ein Pocahontas-Double an und brüllt ihr ins Ohr: “Ich kann dein Cowboy sein.” Pocahontas versteht anscheinend im Gegensatz zu allen in der Nähe kein Wort und tanzt weiter. Am Essensstand neben der Bar sehe ich einen schwarzen Wikinger. Oder eher einen Weißen, der sich mit schwarzer Farbe angemalt hat und damit aussieht, als wäre er in ein Teerbecken gesprungen. Ich frage ihn, als was er geht. “Sieht man das nicht?”, fragt er und deutet auf den Wikingerhelm. Nicht wirklich. “Wir arbeiten hier nur. Ist sozusagen unsere Uniform. Willst du was?”, sagt seine Kollegin und deutet auf die dampfenden Essensbehälter. Auch sie ist schwarz angemalt.

“Spritze oder Pfeffi?”, sei der beste Anmachspruch der Welt, sagt er

Blackfacing nennt man es, wenn sich Weiße schwarz anmalen. Im 19. Jahrhundert waren Minstrel Shows mit dunkel geschminkten weißen Schauspielern Teil der alltäglichen Unterhaltungskultur. Obwohl es offensichtlich herabwürdigend ist, sieht man auch heute noch Weiße, die sich an Karneval als “afrikanischer Stammeskrieger” verkleiden. Oder Martin Sonneborn, der sich als Obama kostümiert und damit Politik macht.

Laut dem Soziologen und Kunsthistoriker Dr. Jens Kastner braucht es für kulturelle Aneignung ein Machtgefälle zwischen den beiden Kulturen. Blackfacing sei ein Beispiel. Umgekehrt gehe es nicht – wenn sich Schwarze weiß anmalen sei das offensichtlich ironisch gemeint und eine Reaktion auf Blackfacing, da es kein erniedrigendes “Whitefacing” gebe. Beim Verkleiden sei das nicht immer so deutlich. “Wer sich als Indianer verkleidet, ist nicht gleich ein Rassist. Das Kostüm allerdings ist rassistisch, weil es exotisiert und den historisch verknüpften Völkermord verharmlost”, so Kastner. “Zu Beginn der Karnevalstradition trug man preußische Uniformen, um durch Spaß und Satire die Obrigkeit zu karikieren. Das kann man beim Indianerkostüm nicht sagen.”

Ich frage sie, ob ich ein Foto machen darf. Nur wenn ich “Maleficent” richtig aussprechen kann, antwortet sie

Ich möchte wissen wie Chinesen, die noch nie einen Fuß aus ihrem Land gesetzt haben, auf das Kostüm reagieren und schicke ein Selfie an die Menschen, die noch nie eine Gelegenheit ausgelassen haben, mir die Wahrheit ins Gesicht zu knallen – meine Familie.

Nach langem Schweigen, weiteren Drinks, und dem Kommentar “Wo sind deine Brüste?” von meiner Cousine, schreibt mir mein Onkel: “Ich finde das Kleid schön. Wirklich traditionell sieht es aber nicht aus.” Ich frage ihn, ob er es beleidigend findet. “Ich bin nicht beleidigt. Es zeigt, dass Europäer sich die Mühe machen, unsere Tradition kennenzulernen.” Hat er gerade mit einem Satz die ganze kulturelle Debatte beendet? Dass es der Versuch ist, eine Kultur zu verstehen, ist vermutlich die wohlwollendste Interpretation, die zu sinnlosen Schriftzeichen und Bambushüten möglich ist.

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