Sie zieht ihre Augenwinkel mit den Fingern nach außen. “Hey Schlitzauge, siehst du eigentlich was?”, ruft sie durch die U-Bahn zu mir. Sie ist höchstens 16 Jahre alt, abgesehen von einem Rentner sind wir allein im Waggon. “Ist wie Widescreen”, antworte ich. Sie lacht irritiert und schaut wieder auf ihr Handy.
Das ist vor gut einem Monat passiert. In meiner Kindheit waren solche Äußerungen die Hölle. Ich bin in einer chinesischen Familie aufgewachsen, meine Eltern sind vor 30 Jahren eingewandert. Heute finde ich es nicht mehr ganz so schlimm, meistens lache ich sogar am lautesten, wenn rassistische Witze über mich gerissen werden. Als ein Freund mich von einer Party nach Hause brachte, nannte er das beispielsweise “den Gelben Sack entsorgen”. Natürlich ist es schwer, wenn man sein Aussehen nicht verbergen kann. Aber wenn die Herkunft zur Zielscheibe wird, lernt man, damit umzugehen.
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Im Internet gibt es den Trend, sich freiwillig Beleidigungen, sogenannten “Roasts”, auszusetzen. Populär wurde dieses Phänomen durch die amerikanische TV-Show Comedy Central Roast : Ein Star wird nacheinander von anderen Stars öffentlich verspottet. Angefacht durch den Erfolg der Show entstand auf Reddit der Subreddit r/RoastMe. Dort posten User ein Foto von sich und laden andere Redditors ein, sie zu beleidigen.
In Deutschland beleidigt man sich auf Jodel. Verglichen mit Reddit ist es eine kleine Gemeinde: Unter dem Tag @roastme findet man knapp 3.500 Jodler. Hier will ich mich verspotten lassen.
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Die meisten Roast-Fotos sind spontan aufgenommen, in der Bahn, Uni oder am Arbeitsplatz. Es gibt Bilder, die an Fahndungsfotos erinnern, auf anderen posieren Menschen mit ausgestreckter Zunge und Duckface. Der beliebteste Beitrag ist das Bild eines Asiaten. Die Kommentare sind überwiegend rassistisch. Anders bei den restlichen Bildern, ausschließlich von Weißen. Da reden User über gelbe Zähne und pädophile Blicke. Sie unterscheiden sich von den rassistischen Beleidigungen, wirken scherzhafter, weniger ernst. Wie wird es bei mir sein?
Ich mache ein Foto und versuche dabei, beleidigungswürdig auszusehen. Das Resultat: eine Gratwanderung zwischen Niesen und Krampf. Zusätzlich schreibe ich “Röstet mich” und den Hashtag #lörreslove. Erst nach dem Absenden wird mir bewusst, dass ich mich versehentlich geoutet haben könnte. “Lörres” ist im Fachjargon ein Synonym für Penis.
Vorurteile sind ein solider Einstieg und ein Spruch mit Reis hervorragend geeignet. Wieso nicht gleich das Offensichtlichste nehmen? Man kann auch fragen, ob Chinesen im Reiskocher geboren werden, ob man zu Hochzeiten ebenfalls mit Reis wirft. Und dann gibt es ja noch den beliebten Vergleich, etwas sei so interessant, wie wenn “in China ein Sack Reis umfällt”. Ich wurde nie getauft. Aber wenn ich mich irgendwann dazu entscheiden sollte, trifft dieser erste Jodel genau meine Vorstellung von Religion. Drei Mal in Reis tauchen klingt ziemlich feierlich.
Verdammt, das ist knifflig. Eine Beleidigung, klar, aber auch eine plausible Frage. Wenn Asiaten Erzfeinde haben, dann Kontaktlinsen und den Buchstaben “R”. Im Chinesischen gibt es diesen Laut nicht, weshalb er erst antrainiert werden muss. So wie Deutsche – und vor allem Mitarbeiter der Deutschen Bahn – am englischen “th” verzweifeln. Ich hatte in der Schule Spanisch und keine Schwierigkeiten mit der Aussprache. Allerdings lag die Frage scheinbar vielen auf der Zunge.
Eis mit Erdnuss-Soße klingt wirklich pervers. Vielleicht essen wir Dinge, die vielen von euch seltsam erscheinen, Hühnerfüße oder tausendjährige Eier. Aber Eis mit Erdnuss-Soße? Nein, danke. Und wie sollen denn alle Chinesen in einem Chinarestaurant arbeiten? Wir müssen ja auch noch Mathegenies und Konzertpianisten sein. Und wie läuft es eigentlich so an deiner Bratwurstbude?
Augenwitze, ein Klassiker. Damit hatte es auch schon das Mädchen in der Bahn probiert. Das ist aber ungefähr die langweiligste Beleidigung, die man Asiaten an den Kopf werfen kann. Jedenfalls können einem minus sechs Dioptrien so einiges an Schmerz antun, wenn du wie ich hin und wieder nachts aufs Klo wankst und aus Faulheit deine Brille nicht aufsetzt.
Erst hatte ich mich gefreut. Hangover ist ein grandioser Film und der Schauspieler Ken Jeong so ziemlich der einzige Asiate, der andere Asiaten als “kinda gay” bezeichnet und damit durchkommt. Den Vergleich mit ihm habe ich jedenfalls schon öfter gehört. Aber frisch vom Tiger gevögelt? Wenn das mein Gesicht nach dem Sex sein soll, würde ich mich nach einer Nummer auch nie mehr bei mir melden.
Wem ich sonst noch ähnlich sehen soll: Psy, Jacky Chan, Jet Li und Kim Jong-un.
Wenn alle Asiaten gleich aussehen würden, hätten wir dann nur ein Geschlecht? Dass man Asiaten verschiedener Länder nicht immer auseinanderhalten kann, finde ich noch nachvollziehbar. Aber: Deutsche, Dänen, Holländer – finde da mal den Unterschied. Nun könnte man nachlesen, wie genau sich denn Koreaner und Chinesen unterscheiden. Oder man lässt es und wirft alle in einen Wok. Das ist natürlich viel einfacher.
Endlich mal kein rassistischer Kommentar mehr! Ich hatte mich schon gefragt, wann der erste Schwulenspruch kommt. Immerhin schreit der Hashtag #lörreslove danach und der Rest meines Outfits steht auch nicht für beinharte Männlichkeit. Ach, und ich studiere an einer Modeschule.
Irgendwie berührt mich dieser Jodel. Typen versuchen mit diesem Spruch normalerweise, Frauen aufzureißen, aber jetzt spüre ich die Magie dahinter. Man hat das Gefühl, nicht nur anders zu sein, sondern auch etwas Besonderes. Selbst, wenn es so nicht gemeint ist, es fühlt sich gut an. Immerhin kommt es von jemandem, der anscheinend ebenfalls ausländische Wurzeln hat. Vallah, ich glaube, wir sind beide anders.
Fazit
Für viele gilt Roast Me als digitale Mutprobe. Ich kann damit leben, wenn Leute meinen, dass ich aussehe wie ein Mörder. Dass sie fragen: “Hast du dich gerade eingestuhlt oder warum schaust du so gequält?” Dass sie schreiben: “In diesem Channel postet man ein Bild von seinem Gesicht, nicht von seinem Arsch.” Aber ich hatte nicht so viele rassistische Klischees erwartet. Von 28 Kommentaren hatten nur fünf nichts mit asiatischen Vorurteilen zu tun. Das meiste war rassistischer Trash-Talk, weder witzig noch besonders klug.
Mir macht das nicht sonderlich viel aus, vielen anderen aber schon, für sie sind Rassismus und die “Angst” vor Ausländern qualvoller Alltag in Deutschland. Der Unterschied zwischen Roast Me und Realität ist, dass man auf der Straße nicht als hässlicher pädophiler Gollum bezeichnet wird. Als Schlitzauge schon.
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