Mit Monopoly verbinde ich meinen ersten Vollrausch. Das war 2009 und ich gerade 16 geworden. Ich war im Urlaub in Ligurien, im Nordwesten Italiens, und hatte es geschafft, während des Spiels sechs Bier und eine halbe Flasche Gin zu trinken. Wer gewonnen hat, weiß ich nicht mehr.
Aber selbst die anschließende Kotzerei und der darauffolgende Kater minderten nicht meine Freude an Monopoly. Kein anderes Spiel lockt derartig gerissen die selbstzerstörerische, gierige und enthemmt-kapitalistische Seite in uns hervor. Und der amtierende Weltmeister dieses Spiels heißt Nicolò Falcone. Jetzt bekam ich die Chance, gegen ihn zu spielen.
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Nicolò ist 34, Jurist und Stand-up-Comedian aus Venedig. “Bei Monopoly geht es darum, wahllos zu bauen, mit Falschgeld zu hantieren und im Gefängnis ein- und auszugehen”, sagt er in seinem Bühnenprogramm. “Natürlich sind Italiener gut darin.”
Um den Weltmeister in einer richtigen Partie herauszufordern, brauche ich zwei weitere Spieler. Einen Facebook-Post später sind Elio und Lidia mit dabei. Nicolò wiederum möchte Comedian-Kollege Stefano Rapone mitbringen. Dieser will aber gar nicht mitspielen, sondern sich nur an unserer unabdingbaren Zerstörung ergötzen.
Nachdem ich tagelang die Monopoly-Regeln studiert und den früheren Weltmeister Bjørn Halvard Knappskog um ein paar Tipps angebettelt habe, ist endlich Spielzeit. Die Schlacht findet an einem Vormittag in unserem Mailänder VICE-Büro statt. Nach einer kurzen Begrüßung wählen wir unsere Spielfiguren. Da wir mit der neuen Monopoly-Version spielen, gibt es einige Figuren, die ich noch nicht kenne: Nicolò wählt den alten Rennwagen, Lidia den T-Rex, Elio nimmt den Pinguin. Um allen zu zeigen, dass ich nicht zum Spaß hier bin, wähle ich das Schlachtschiff.
Als Ältester übernimmt Weltmeister Nicolò die Bank. Um das Spiel etwas zu beschleunigen, spielen wir mit einem Extrawürfel. Los geht’s!
Die ersten 30 Minuten laufen wie erwartet. Jeder Spieler versucht, sich jedes Grundstück zu sichern, auf dem er landet. Elio landet ein paar Mal im Gefängnis – ein Vorgang, der sich zu seinem Leidwesen noch öfter im Spiel wiederholt und ihn daran hindert, sich ein vernünftiges Grundstücksportfolio aufzubauen. Dank einigen Würfelglücks schaffe ich es, mir zwei der fünf exklusivsten Adressen unter den Nagel zu reißen. Und kurz darauf gehört mir auch das wertvollste Grundstück auf dem ganzen Feld: Parco della Vittoria, die italienische Schlossallee.
Berauscht von meinem Erfolg mache ich ein paar Deals mit Lidia. Ich tausche das Elektrizitätswerk und eins meiner billigeren Grundstücke für die andere blaue Straße: Viale die Giardini, aka Parkstraße. Jetzt gehören mir die beiden teuersten und lukrativsten Grundstücke auf dem Spielfeld.
Dafür musste ich ordentlich blechen, aber das ist mir egal. Ich grinse von einem Ohr zum anderen und drücke jedem, der auf meinen Feldern landet, einen höhnischen Spruch. In dieser Spielphase geht es noch um Kleckerbeträge, aber ich fühle mich schon unbesiegbar.
Nicolò hingegen bleibt ruhig – verdächtig ruhig könnte man meinen. Er scheint ein ganz anderes Spiel zu spielen als wir. Er nimmt Hypotheken für ein Wasserwerk und einen Bahnhof auf und sichert sich lediglich die orangenen Felder – eine beliebte Strategie unter Profispielern. Diese Straßen haben das beste Kosten-Einnahmen-Verhältnis und sind außerdem die Felder, auf denen Menschen am ehesten landen, wenn sie aus dem Gefängnis kommen. Lidia und Elio müssen derweil erst noch ein paar Straßen in der gleichen Farbe bekommen.
Es ist jetzt ein Duell zwischen mir und dem Weltmeister – so jedenfalls in meiner Fantasie. Schon bald werden wir unsere Imperien aufbauen. Nachdem ich für ein paar Häuser aber einen guten Batzen Geld lassen musste, sieht’s in meiner Kasse mau aus. Einige Runden später hat auch Nicolò fast seine ganzen Ersparnisse ausgegeben. Allerdings stehen auf seinen Grundstücken jetzt überall Häuser und sogar Hotels. Von nun an riskiert jeder, der auf seinen Straßen landet, sofortigen Bankrott.
Langsam aber sicher merke ich, dass der Weltmeister nach einer wohlüberlegten Strategie arbeitet, die weit darüber hinausgeht, einfach nur die meisten Straßen zu kaufen. Er baut ganz bewusst Fallen, um seine Gegner ausbluten zu lassen.
Als erste gerät Lidia in die Fänge seines Schuldennetzes und muss Hypotheken für alle ihre Häuser aufnehmen. Immerhin bleiben ihr die Bahnhöfe, die Nicolò allerdings als “nutzlos” bezeichnet.
Ich spüre einen kurzen Anflug persönlicher Genugtuung, als ich Geld vom amtierenden Monopoly-Weltmeister kassiere, der auf einem meiner Felder gelandet ist. Ein paar Würfe später schulde ich ihm allerdings einen Haufen Geld und muss selber mehrere Hypotheken aufnehmen. Spätestens jetzt macht Nicolò klar, dass die Schonzeit vorbei ist. Jetzt akzeptiert er keine Grundstücke zur Schuldentilgung mehr. Er will uns vernichten.
Der einzige Spieler, der von Nicolòs Taktik relativ unbehelligt bleibt, ist Elio. Das liegt vor allem daran, dass er ganz in der Tradition italienischer Großgrundbesitzer weiterhin einen nicht unerheblichen Teil des Spiels im Gefängnis verbringt.
Es sind keine zwei Stunden vergangen und das erste Hühnchen wird gerupft. Natürlich bin das ich. Reich an Grundstücken, aber arm an Geld verbringe ich einige ungewollte Übernachtungen in den Hotels des Weltmeisters. Kein noch so ausgeklügeltes Hypothekensystem kann mich noch retten. Wie es im Regelbuch steht, geht mein ganzes Geld und Land an Nicolò. Und weil Nicolò Geld hat, baut er sofort ein paar Hotels auf meine Grundstücke.
Fünf Minuten später ist Lidia bankrott und nach einer weiteren Viertelstunde muss auch Knastbruder Elio einsehen, dass er immer noch da ist, wo er angefangen hat: bei nichts. Nicolò ist so freundlich und holt seinen Taschenrechner raus, um Elio dabei zu helfen, ob er vor dem Konkurs gerettet werden kann. Vielleicht kann seine Hinrichtung aufgeschoben werden. Kann sie nicht. Zwei Stunden und fünfzehn Minuten nach Spielstart hat Monopoly-Weltmeister Nicolò Falcone seinen Sieg errungen.
Bevor wir alle wieder unserer Wege gehen, bitte ich Nicolò darum, jeden Spieler zu bewerten. Lidia habe gut gespielt, sagt er, sie habe allerdings drei entscheidende Fehler gemacht. Erstens habe sie nur zwei Häuser auf ihre drei Straßen gebaut, man baue jedoch am besten in Dreiergruppen – ein Haus pro Straße. Ihren nächsten großen Fehler habe sie in der Schlussphase des Spiels gemacht, als sie sich dazu entschied, ihre Schulden mit Hypotheken zu bezahlen, anstatt die Bahnhöfe zu verkaufen. Generell würden einem Bahnhöfe und Wasser- und Elektrizitätswerke nicht wirklich beim Gewinnen helfen. Trenn dich also von ihnen, wenn du musst. Der Schlüssel zum Sieg sei es, so schnell wie möglich Häuser und Hotels auf die eigenen Grundstücke zu setzen.
Insgesamt sei sie nicht gnadenlos genug gewesen, lautet Nicolòs letzter Kritikpunkt an Lidia. Sie hat uns erlaubt, uns den Weg aus unseren Schulden raus zu verhandeln. “Du darfst kein Mitleid haben”, sagt er. “Du musst deine Mitspieler so schnell wie möglich ausschalten.”
Elio habe auch gut gespielt, sagt Nicolò. “Aber er hat am Anfang einen riesigen Fehler gemacht: Er ist zu lange im Gefängnis geblieben und hätte sich besser freigekauft.”
Der Weltmeister erklärt, dass das Gefängnis ein guter Ort für die späte Spielphase sei, wenn die Gefahr groß ist, überall teure Mieten zahlen zu müssen. Zu Beginn müsse man sich allerdings frei auf dem Spielfeld bewegen, um Grundstücke zu kaufen.
Und was ist mit mir? “Du hast wirklich nicht schlecht gespielt, aber du hattest Pech”, versichert mir Nicolò. Die grundlegenden Strategien und Taktiken des Spiels zu kennen, hilft durchaus dabei, Weltmeister zu werden. Für den Rest von uns lässt sich der Erfolg bei Monopoly jedoch auf zwei Dinge runterbrechen: pures Glück und möglichst wenig Zeit im Gefängnis. Eigentlich genau wie im echten Leben.
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