Foto: Grey Hutton
Einer meiner Kollegen hat mal gesagt, dass die Slimanis die deutschen Kardashians sind. Es hat mich Dutzende YouTube-Videos und 237 Seiten voller Lebensmottos und Stylingtipps gekostet, aber mittlerweile habe ich dem nichts mehr hinzuzufügen. Die Familie aus Stuttgart hat nicht nur strahlend weiße Zähne und volles, splissfreies Haar, die Geschwister Sami, Lamiya und Dounia gehören zu den großen Lifestyle-Ikonen von Mädels (und vermutlich auch Jungs) irgendwo zwischen 12 und 20. Selbstgemachte Wohnaccessoires, besonders gesunde Gemüsemuffins oder das ideale Outfit zum Primark-Shopping—das Leben der Slimanis ist vielleicht nicht perfekt, wie sie nicht müde werden zu betonen. Bei all den Lichterketten, den makellos sauberen Wohnungen und der porentief reinen Haut sieht es aber definitiv so aus.
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Mit Das Slimani Prinzip (sic!) ist jetzt eine Art komprimierter Lebensratgeber in Buchform erschienen, in dem Dounia, Lamiya und Sami ihren Weg von pickeligen Teenagern zu den glücklichsten und ausgeglichensten Menschen der Welt beschreiben. Weil ich eine sehr zynische, miesepetrige Person bin (und nach wie vor mit Hautunreinheiten zu kämpfen habe), habe ich mir das Buch besorgt und eigentlich auch gehofft, mit den Autoren selbst über ihre Lebensphilosophie sprechen zu können. Trotz ausgemachtem Interviewtermin hatten sie dann aber irgendwie doch keine Lust drauf und ich habe auf eigene Faust versucht, zu einem besseren Menschen zu werden—zumindest für eine Woche.
MONTAG:
Als ich mich mit verquollenen Augen Richtung Büro schleppe, habe ich das Gefühl, dass ich mich bereits am Wochenende auf mein neues, positives Ich hätte einstellen müssen. Stattdessen bin ich so unausgeruht, dass ich verschlafen habe und keine Zeit hatte, mir ein supergesundes Powerfrühstück zuzubereiten, dass mich positiv und voller Energie in den Tag starten lässt. Dafür trage ich ein Augen-Make-up mit Highlighter unter den Augenbrauen. Ich versuche, nach Kräften positiv auszusehen, während ich am Schreibtisch hänge und an meinem Apfel knabbere. Zumindest mein Desktop-Hintergrund spiegelt meine neue Lebensphilosophie schon angemessen wieder. Carpe Diem, Alter.
Unser zauberhafter Praktikant bemerkt bereits, dass ich „die ganze Zeit lächle”. Ich bin mir unsicher, ob bereits umfassende Veränderungen in meiner Psyche vonstatten gegangen sind, oder es an meinem Wallpaper mit Motivationssprüchen in Comic Sans liegt. Es sind die kleinen Dinge, die einen im Alltag glücklich machen. Konzentriere dich auf sie. Einer meiner Arbeitskollegen weist mich darauf hin, dass mein Augen-Make-up nicht exakt wie der „Night Out”-Look im Buch aussieht. „Du hast auch diesen schwarzen Kram um die Augen, aber das Dreieck sieht nicht richtig aus”, bemerkt er fachkundig. Bei all der Negativität um mich herum fällt es schwer, das pulsierende, glückliche Zentrum meines eigenen Lebens zu bleiben.
Aber es ist ja erst Montag. Ich habe noch genug Zeit, um in mein neues Ich hineinzuwachsen.
DIENSTAG:
Aus beruflichen Gründen habe ich gestern sehr lange in einer Bar rumgehangen und hatte keine Zeit einzukaufen. Demzufolge konnte ich auch keine gesunden Snacks fürs Büro vorbereiten und fühle mich schon jetzt wie ein absoluter Versager. Ich brauche Hilfe, um stark zu bleiben und entscheide mich dafür, für den Rest der Woche in regelmäßigen Abständen Videos von den Slimanis anzuschauen. Zur Motivation. Es gestaltet sich schwieriger als gedacht, ein ansatzweise aktuelles Video zu finden, in dem es nicht um Essen, DM-Produkte oder Fanfragen geht. Meine Wahl fällt aber schließlich auf „FOLLOW MY WEEKEND”.
(Ich weiß nicht viel über POV-Filmaufnahmen, aber ich glaube, man sollte nicht rumspringen, während man eine Kamera in der Hand hält)
Ich weiß nicht, ob ich vielleicht schon ein bisschen zu alt für den Scheiß bin oder es an dem Kichern gegen Satzende liegt, aber nie klangen die Worte „Wir drehen ein Haul-Video zusammen in meinem Auto” bedrohlicher. Trotzdem bringen sie mich auf eine Idee. Ich sollte Abstand von diesem ganzen Kochkram nehmen und das tun, was vollberufstätige Frauen in ihrer eng bemessenen Freizeit am besten können: einkaufen. Bei Primark. Im Buch der Slimanis gibt es dazu einige Anregungen, ich werde also explizit nach Must-Haves wie „Statement-Ketten”, „Jeans im Used-Look” und „khakifarbenen Jacken” Ausschau halten, denn „pfeif drauf, was die anderen denken”. Wofür sollen sie einen auch anfeinden, wenn man genau so angezogen ist wie sie?
Kurz nach 18 Uhr mache ich mich auf. Endlich, so denke ich mir, fühle ich mich ein bisschen wie ein Saminator.
MITTWOCH:
Gekleidet in meinen neuen Super-Basic Wollcardigan, den ich mit zeitlosen Accessoires aufgepeppt habe, komme ich ins Büro und erwarte ein bisschen, dass mich jemand auf meinen neuen Look anspricht. Doch nichts passiert. Klar, auch Sami sagt, dass Veränderungen nicht von heute auf morgen passieren, aber irgendwie hatte ich mir doch irgendeine Art von positiver Auswirkung auf mein Leben erhofft.
Langsam beschleicht mich der Verdacht, dass ich für simple Motivationsphrasendrescherei schon ein bisschen zu alt und geerdet bin. Ich habe keine ständig neuen Lebenskrisen oder werde in der Schule gemobbt. Ich habe einen suboptimalen Körper, splissiges Haar und einen Master in passiv-aggressivem Nachfragen—aber was bedeutet das für mich und eine positivere Selbstwahrnehmung? Bin ich ein hoffnungsvoller Fall oder nicht hoffnungslos genug für das Slimani-Prinzip?
DONNERSTAG:
So positiv und weltbejahend und für sich selbst einstehend zu sein, ist ziemlich ermüdend. Langsam verstehe ich, warum ein selbstgemachtes Vitaminbomben-Powerfrühstück so elementar ist. Ich löse diesen offensichtlichen Konflikt damit, parallel Red Bull und Kaffee zu trinken. Und Wasser natürlich. Wasser ist sehr wichtig, sagt Sami Slimani.
Grundlegend manifestiert sich in mir die Überzeugung, dass es gar nicht unbedingt an fehlender Motivation oder der falschen Einstellung liegt. Mir fehlt einfach die Zeit, mich ausschließlich frisch, gesund und selbstgemacht zu ernähren. Und Make-up im Nude-Ton, das „einfach zu jeder Situation passt”, steht mir einfach nicht. Ich traue mich noch nicht mal mehr, ohne Lippenstift das Haus zu verlassen, nachdem jemand mal zu mir meinte, dass ich „irgendwie krank” aussähe. Immerhin: sämtliche Haarpflegetipps wende ich bereits seit Jahren an und wie der „perfekte faule Tag” aussieht, muss man mir auch nicht erklären. Ist es Zeit, das Experiment abzubrechen? Was ich dringend brauche, sind aufmunternde Worte vom Meister selbst.
„Wer etwas träumen kann, kann es auch erreichen”, strahlt Sami in die Kamera. Mir wird plötzlich ganz warm. Er hat Recht! Wenn ich nur lange genug daraufhin arbeite und genug Begeisterung zeige, werde ich bestimmt irgendwann dafür bezahlt werden, nur noch über fluffige Tiere und guten Whiskey zu schreiben. Bis dahin muss ich aber erstmal meine Videospielesucht in den Griff kriegen. Gesichtsmasken rühren sich schließlich nicht von allein an.
FREITAG:
Der letzte Tag mit dem Slimani-Prinzip und ich ziehe ein Resümee. Ich bin enttäuscht. Nicht von Dounia, Sami oder Lamiya, sondern von mir. Ich hatte die Schlüssel zu einem besseren Leben in der Hand (Sportübungen, gesunde Rezepte und sehr viele—zu viele?—Kinderfotos der Autoren) und ich habe nichts daraus gemacht. Nicht ein einziges Mal habe ich es geschafft, mir morgens ein reichhaltiges Frühstück zu servieren, stattdessen habe ich mir als jämmerlichen Ersatz einen Apfel ins Büro mitgenommen. Andererseits: Viel mehr, geschweige denn Tiefergehendes, gibt das Buch an konkreten Tipps dann auch irgendwie nicht her.
Abgesehen von all den falschen Lifestyle- und Gesundheitsentscheidungen, die ich im Laufe dieser Woche getroffen habe, habe ich aber doch etwas Wichtiges gelernt. Die Leute reagieren wirklich anders auf einen, wenn man die ganze Zeit lächelt. Während man in der Berliner U-Bahn wahlweise für einen Wahnsinnigen oder einen Druffi gehalten wird, bin ich jetzt unter meinen Kollegen diejenige, die von der Bäckerin um die Ecke am wenigsten verachtet wird. Und das ist ja auch etwas. Irgendwie.
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