Ein Echsenauge beobachtet mich lauernd während ein T-Rex einen Stegosaurus anzugreifen scheint, der mutig seinen Schwanz zur Verteidigung schwingt. Neben der Kampfszene steht “Comeback nach 65 Millionen Jahren …”. Das Plakat der Dinosaurier-Ausstellung “Dinosaurier – Im Reich der Urzeit” erinnert mich an ein Bild, das ich mit sechs Jahren als weltgrößter Dino-Fan gemalt habe. Anatomisch korrekte Dinosaurier. Sie stehen entweder in der Landschaft rum, oder sie fressen einander. Dass ich sechs war, weiß ich, weil ich das Datum groß in die obere rechte Ecke schrieb, 20.11.93. Stolz darauf, dass ich schon schreiben konnte, beschriftete ich auch die Dinos: “Trizeratops”, “Türanosaurusrex”, “Schtei(n)zeitmänsch”. Als ich nun also in Berlin dieses Poster für die Dino-Ausstellung hängen sehe, weiß ich, dass ich an den Ort muss, der mein Bild von damals Wirklichkeit werden lässt.
Denn nicht nur kommen die Dinos an diesem Freitagnachmittag im Juli zurück nach Berlin-Alt-Hohenschönhausen, sondern auch ich zu den Dinos.
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Und doch muss ich erst in den Bauch des Gummimonsters kriechen, bevor ich den Sinn hinter dem Ganzen erkenne. Denn am Ende kann man kaum in die eigene Vergangenheit schauen, ohne über die eigene Zukunft nachzudenken. Wir können von den Dinos lernen, aber das muss auch ich erst verstehen.
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Alt-Hohenschönhausen, tief im Berliner Osten, ist bekannt für seine hohen Wohntürme und seinen IKEA. Beides bildet die Kulisse für besagtes Comeback, zelebriert auf etwa 500 Quadratmetern plattgetretenen Rasens, der in der Nachmittagssonne dieses Julitages an einigen Stellen grün leuchtet und an anderen Stellen braun stirbt.
Aber das passt, denn braun gestorben sind die Dinos ja auch, damals, vor 65 Millionen Jahren. Später wurden sie dann schwarze Schlacke, die wir heute in unseren Motoren verfeuern und durch unsere Auspuffe jagen, um die Erde wieder so unbewohnbar zu machen wie damals, vor 65 Millionen Jahren.
Ich kann es also kaum erwarten, als ich auf die Ausstellung zurolle. Rechts der IKEA, vor mir in der Ferne die Hochhäuser, die wie ein urzeitliches Gebirge in den fast wolkenlosen Himmel ragen und links das eingezäunte und mit grauer Plane abgehangene Gelände, aus dem einige blaue Zeltdächer herausragen. Davor steht aber vor allem eins: Ein gigantischer Brachiosaurus, der mich um vier, fünf Meter überragt und die Vorderbeine in die Luft reckt wie das Pferd der Skulptur eines Menschen, der im Kampf gefallen ist.
Und im Prinzip ist der Brachio das ja auch. Forschenden nach starben die Dinos zwar in mehr oder weniger unmittelbarer Folge eines Meteoriteneinschlags aus. Aber schon viele, viele Jahre vorher hatte wohl ihr Abstieg begonnen, als die Erde immer wärmer wurde. Die Dinos hatten es in ihren letzten Jahren nicht leicht und wenn ich Jahre schreibe, dann meine ich Jahrmillionen. Das einzige was den Brachiosaurus trösten dürfte, ist die Tatsache, dass er in der Oberjura ausgestorben ist, also etwa 50 Millionen Jahre vor dem Meteoriteneinschlag.
Wie kurios ist es also, dass ich gerade in diesem Sommer zu meinen Lieblingstieren zurückkehre, in dem der Klimawandel so richtig alles gibt? Volle Power mit Überschwemmungen und Hitzerekorden und Waldbränden und Toten auch da, wo man sich doch eigentlich eben noch drüber lustig gemacht hat, dass das je passieren könnte, also hier bei uns. Nun ist ein Menschenskelett leider nicht so eindrucksvoll wie das von gigantischen Monsterechsen. Weshalb man uns in 65 Millionen Jahren wohl nicht ausbuddeln und in Museen ausstellen wird, um uns dann aus Hartplastik nachzugießen und nach Hohenschönhausen zu karren.
Doch die Dinos können wir uns wieder anschauen, darum sind wir hier. Ich, weil ich sie bewundern, darüber staunen und schließlich schreiben will und Philipp, der Fotograf, weil er sie fotografieren möchte. Beide sind wir in diesem Moment Forscher wie Werner Janensch, der im 18. Jahrhundert die Kolonie Deutsch-Ostafrika seiner paläontologischen Schätze beraubte.
Denn die Ausstellung versucht sich durchaus an Didaktik. Wer will, kann sich hier nicht nur gruseln, sondern auch bilden. So gibt es in einem seitlich aufklappbaren LKW-Anhänger eine Ausgrabungsstätte: ein Sandkasten, auf dessen Boden ein Dinosaurierskelett eingegossen ist. Nur vier Kinder auf einmal. Weil ich mich körperlich und manchmal auch geistig als mindestens fünf Kinder rechne, lasse ich das. Dabei scheinen das modernste Paläontologen-Methoden zu sein, die hier gelehrt werden, ganz anders noch als im 19. Jahrhundert.
Damals wüteten die sogenannten Knochenkriege zwischen den beiden US-Forschern Edward Drinker Cope und Othniel Charles Marsh. Beide begannen als seriöse Forscher, spezialisiert auf das Ausbuddeln von Dino-Knochen. Nur passierte irgendwann das, was oft passiert, wenn Männer sich in ihrer Ehre verletzt fühlen und gleichzeitig hoffen, richtig Geld machen zu können. Der eine kritisierte einen Fehler des anderen und die Konkurrenz war geschaffen. Nun versuchten beide, so schnell wie möglich so viele Knochen wie möglich auszugraben, vor allem aber mehr als der andere. Dabei gingen sie auch so weit, Funde des anderen zu zerstören. Wobei man damals ohnehin noch mit Dynamit nach Knochen grub und so richtig viel dabei kaum übrig geblieben sein dürfte.
Für unsere Forschung müssen wir keine ganzen Landstriche unterjochen oder in die Luft jagen. Uns reicht der Blick auf die Plastikungetüme und die Tafeln davor. Kaum zu glauben, dass die Dinosaurier schon in unzähligen Büchern und Filmen auftauchten, wie zum Beispiel in King Kong (1933), Godzilla (1954), Barney und seine Freunde (1992), Jurassic Park (1993) und Jurassic Park II (1997). Hier endet die Liste auf einer der Tafeln, es fehlen also mindestens Jurassic Park 3, Jurassic World und Jurassic World II. Aber das ist nicht schlimm, denn man kann den Betreibern der Ausstellung wirklich nicht vorwerfen, die Filmreihe zu ignorieren. In einer quälenden Endlosschleife ballert die Titelmelodie der Filme über das Gelände. Dödädö döda. Dödädö DÖDA. DödädöDÖDAAAA.
1993, als Jurassic Park erschien und der kleine Robert Dino-Bilder malte, war die Zukunft noch nicht so düster wie heute. Da hatte im Kino ein Milliardär immerhin gerade Dinosaurier geklont und auf einer Insel eingesperrt, damit man sie dort begaffen kann. Alles schien möglich und sogar das Ozonloch wirkte weniger bedrohlich. Die Dinos würden sich wohl fühlen, wenn es sie nicht nur im Film gäbe, da war ich sicher.
Aber ich bin nicht hier, um über die Zukunft der Menschheit nachzudenken. Bis das passiert, muss ich erst durch die Trash-Höhle gehen. Noch bin ich nur hier, um die Dinos anzugucken. Dafür muss ich um den Brachio herum, an einem kleinen Kind vorbeigehen, das in einem Dino-Auto über den Bürgersteig fährt und durch ein aufgerissenes Dinomaul aus Plastik schreiten, um an der Kasse zwei Tickets zu kaufen, für Philipp und mich. Die Frau an der Kasse ist sehr freundlich und weiß, wie sie uns in Dinostimmung bringen kann. Ob wir Geschwister seien, fragt sie. Sind wir nicht, aber danke sehr. Sahen nicht auch die Dinos irgendwie alle gleich aus?
Als wir das Gelände betreten, staunen wir nicht schlecht. Aber auch nicht gut. Wir staunen gar nicht, denn das alles ist dann doch nicht so eindrucksvoll wie erhofft. In der Mitte steht ein T-Rex, sicher vier Meter hoch, das Maul weit aufgerissen. Schaut man aus der richtigen Perspektive und zur richtigen Zeit darauf, wirkt es, als brülle er den Mond an. Oder das IKEA-Logo. Daneben ein Stegosaurus, ein Triceratops und sowieso: Alle sind sie hier. Vereint auf diesem halben Quadratkilometer, ungefähr 30 Dinosaurier in allen Farben, Formen und Zuständen. Rechts vom Eingang ist der Dinohof, unter einem Zeltdach stehen zwei mechatronische Dinos, auf denen Kinder für drei Euro reiten können. Die Bewegungen sind lahm, die Geräusche klingen metallisch, die Gesichter der Kinder hellen sich nur dann auf, wenn sie die Kamera ihrer Eltern bemerken, die einfangen wollen, wie sehr sich die zwölf Euro Eintritt (zehn für Kinder) gelohnt haben.
Und natürlich sehen Dinos nicht alle gleich aus. Es gibt die friedlichen mit den Blättern im Maul. Sie schauen glücklich, wenn sie in Frieden ein bisschen rumgrasen können. Oder sie starren stumm in die Ferne, leblos und träge wie es Skulpturen nun mal an sich haben. Und dann gibt es die gruseligen mit großen Schlünden und spitzen Zähnen. Sie gehen aufrecht, strecken ihre Stummelärmchen und haben es auf nichts anderes abgesehen, als die süßen Pflanzenfresser zu fressen. Ein Exponat ist besonders eindrücklich. Da reißt ein kleiner Raubsaurier gerade einem Pflanzenfresser ein Stück Fleisch aus der Flanke. Zum Glück sind Philipp und ich die einzigen Erwachsenen ohne Kinder hier, sonst müssten wir heute Abend einiges erklären.
Und trotz aller Brutalität: Hier und heute, nach 65 Millionen Jahren, da stehen sie alle nebeneinander, die meisten genügsam und regungslos. Als läge es in der Natur der Sache, dass der Erhalt der eigenen Existenz nur dann gelingt, wenn man seine Partikular-Interessen hintanstellt und gemeinsam für das große Ganze arbeitet, also in diesem Fall das Comeback nach 65 Millionen Jahren.
Für Philipp, das sehen wir schnell, wird es schwierig, gute Fotos zu machen. Ständig gilt es zu warten, dass die klebrigen Kinderkörper aus dem Hintergrund verschwunden sind. Die tummeln sich hier überall. Die Kinderdichte ist weit höher als die Dinodichte und das spricht nicht für eine Ausstellung, die explizit Dinosauriern gewidmet ist.
Die Enttäuschung über diese Art des Comebacks überwiegt also die Anerkennung für die gemeinsame Kraftanstrengung. Aber klar, die Dinos reisen ja seit Jahren, vielleicht Jahrzehnten kontinuierlich durch die deutschen Lande. Vor Alt-Hohenschönhausen waren sie in Brandenburg an der Havel. Heute hier, morgen dort. Von der Sonne gebleicht, die Farbe an einigen Stellen abgerieben, hier fehlt eine Schwanzspitze, da eine Kralle und die prominentesten Körperteile zeigen Reibespuren von fettigen Kinderhänden. All das ist aus seelenlosem Plastik, wobei dieses Plastik am Ende ja auch aus Erdöl, also Dinosaurierresten besteht. Dinos aus Dinos. Vor 65 Millionen Jahren sahen sie jedenfalls besser aus, zumindest im Fernsehen.
Denn man darf die Ausstellung “Dinosaurier – Im Reich der Urzeit” bitte nicht verwechseln mit Dinosaurier – Im Reich der Giganten. Das war eine Dino-Dokumentationsserie, mit der die BBC Ende der 90er auf den Dino-Hype aufsprang, den Jurassic Park ausgelöst hatte und der sich durch die gleichnamige Show fortsetzte, die dann durch Europa tourte und die computeranimierten Dinos aus den Dokus durch mechanische aus Plastik und Stahl ersetzte. Das Reich der Urzeit, also die, durch die wir heute spazieren, sprang dann auf den Dino-Ausstellungs-Hype auf und führte das Konzept fort, nur dass die Dinos jetzt vornehmlich unbewegliche Hartplastikschalen waren. Hartplastikschalen, die nun vor uns stehen, allerdings bereits reichlich dezimiert. Vor einigen Jahren brannten Teile der Ausstellung ab und Plastik, wie Öl, brennt meistens hervorragend.
Beeindruckend hingegen wirkt ein T-Rex, der wirklich aussieht wie das Monster aus Jurassic Park. Oder die in einem Zelt ausgestellten Dinos, die sich auch bewegen. Klar, das hat die Eleganz eines Roboters aus einem mittelmäßigen Science-Fiction-Film aus den 60ern, aber die Haut wirkt nicht so künstlich wie die der Dinosaurier, die da in der Julisonne aufheizen. Hier drin knurren sie und wackeln mit dem Schwanz und von unten beleuchten sie Scheinwerfer mit pinkem, blauem und ganz farbenfrohem Licht. Das sieht natürlich auch unecht aus, aber liebevoller, als einfach dreißig Plastikviecher auf die Wiese zu knallen. Hier drin steckt Leben und Atmosphäre, hier im Halbdunkel fühle ich mehr als nur diese Mischung aus Arroganz und ironischer Belustigung über die simplen Freuden meiner Mitmenschen.
Denn natürlich ist so eine Ausstellung aus der Zeit gefallen. Wir gehen ja nicht mal mehr in den Zirkus und da werden wenigstens noch echte Tiere gequält. Hier passiert nichts, alles riecht muffig und künstlich. Aber ist es nicht auch schön, dass man hier tatsächlich etwas anfassen kann? Es fühlt sich nicht echt an, aber doch echter als ein von einem Computer generiertes Bild. Natürlich ist eine Dino-Ausstellung eher ein Phänomen der 90er. Aber die Dinosaurier selbst sind ja ein Phänomen des 19. Jahrhundert. Damals begann die Dinomanie, wie man sie taufte, als alle Welt in die Naturkundemuseen strömte, um die gigantischen Jagdechsen zu bestaunen. Und diese Dinomanie dauert bis heute an. In vielen Schulbüchern, mit denen Kinder lesen und schreiben lernen, repräsentiert das Wort “Dino” das D. Lehrende gehen davon aus, dass das Wort als Bestandteil jedes Kinderwortschatzes vorausgesetzt werden kann.
Hier in der dunklen Höhle erinnere ich mich auch plötzlich wieder daran, warum ich Dinosaurier so geil fand, als ich klein war. Und warum ich sie immer noch so geil finde. Immerhin sind da nicht nur bis vor 65 Millionen Jahren riesige Killerechsen über den Planeten gestampft. Monster, wie wir sie nur aus Mythen und Sagen kennen. Auch sind diese Monster dann ausgestorben, einfach weg. Und trotzdem können wir ihnen heute nachspüren, weil tief in der Erde noch Überreste stecken. In diesen Tieren kulminiert einfach alles, was uns faszinieren muss. Das Alter unserer Erde, die Bedeutungslosigkeit unserer Spezies, wenn man sie auf die Dauer ihrer Existenz hochrechnet, Grusel, Fantasie und Hoffnung. Und die Ahnung, dass das Schicksal der Dinos dem unseren vielleicht gar nicht so unähnlich sein könnte, wenn wir so weitermachen wie bisher.
Als Philipp und ich aus dem stickigen Zelt kommen und die Sonne uns ins Gesicht scheint, beschließen wir, noch ein Bier zu trinken. Und wir beschließen, dass es langsam reicht. Genug Dinos geguckt. Aber wir wollen doch noch eine letzte Attraktion abhaken.. Wir gehen hüpfen. Dafür müssen wir uns für eine der vier Hüpfburgen entscheiden und nehmen die, auf der gerade keine Kinder sind. Hier kann man über den Unterkiefer eines Gummidinos rutschen, nachdem man sich durch dessen Körper und allerlei aufblasbarer Hindernisse gekämpft hat. Junge, macht das Spaß. Als ich endlich oben auf der Rutsche sitze, das Blut noch voller Adrenalin, die Muskeln heiß vom Aufstieg, hoch über den Dinos, den Kindern und dem trockenen Rasen, da bin ich glücklich, dass Kinder hier so viel Freude haben. Dass Kinder hier die Geschichte der Dinos kennenlernen, irgendwo zwischen Ehrfurcht und Furcht vor den Riesenechsen.
Denn nicht nur ist es schön zu sehen, dass manche Dinge für alle Kinder gleich sind – wie etwa die Faszination für prähistorische Monster. Denn mit sechs ist wohl jeder weltgrößter Dino-Fan. Auch meine ich, dass diese Faszination für die Geschichte und den Niedergang der Dinos einen Teil dazu beitragen kann, dass wir ein bisschen besser auf unseren Planeten achtgeben. Ich meine, die Dinosaurier sind unsere Rettung.
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