Foto: Martin Petersen
Es gibt Menschen, die bestehen darauf zuzusehen, während sie an ihren Gliedmaßen operiert werden. Sie rufen den Typen an, der sie geghostet hat, und fragen, warum er sich nicht mehr meldet. Sie wollen die Wahrheit – auch wenn sie weh tut. Und dann gibt es Menschen, die eher nach dem Motto leben: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Die gucken weg, wenn sie Blut sehen, und sind froh, wenn sie nicht hören müssen, dass irgendwer sie scheiße findet.
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Ich gehöre eindeutig zum ersten Typ. Ich bin keine Masochistin. Ich bin einfach nur neugierig auf das Leben mit all seinen unangenehmen Wahrheiten.
Zu den Wahrheiten des Lebens gehören auch die Frauen, die mein Freund André* datet. Als wir vor drei Jahren unsere Beziehung öffneten, haben wir beschlossen, uns von unseren Abenteuern zu erzählen, anstatt so zu tun, als gäbe es sie nicht. “Und? Wie war sie?”, ist das Erste, was ich wissen will, wenn er hinterher zu mir ins Bett kriecht.
Und manchmal ist meine Neugierde so groß, dass ich die Frau kennenlernen muss. Das hört sich zwar etwas stalkermäßig an, aber warum eigentlich nicht? Schließlich betrügen André und ich uns nicht, machen nichts Verbotenes. Wir sagen unseren Liebhabern von Anfang an, dass wir in einer Beziehung sind. Es ist kein schlechter Reality-Check, sich persönlich davon zu überzeugen, dass die Frau, mit der dein Freund die eine oder andere Nacht verbringt, kein Übermensch mit einem Supermodelkörper ist – sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut, mit Fehlern und vielleicht sogar Cellulite. Eifersucht funktioniert bei jedem Mensch anders. Meiner Eifersucht nimmt es den Wind aus den Segeln, wenn ich weiß, mit wem mein Freund die Nacht verbringt. Und ganz außerdem hat André einen exzellenten Frauengeschmack (immerhin bin ich seine Freundin).
Oft genug bin ich an dieser Mission gescheitert. Nachdem wir uns entschieden hatten, unsere Beziehung zu öffnen, streckte André ganz arglos die Fühler in unserem Kiez aus, wo sich jeder zumindest vom Sehen her kennt. Zugegeben, es war ein wenig sonderbar, den Frauen, die André traf, in Alltagssituationen zu begegnen. Beim morgendlichen Kaffee-Holen hinter einer anzustehen, mit der er die Nacht verbracht hatte. Beim Sport neben einer Frau Sit-ups zu machen, von der ich wusste, wie gut sie bläst.
Anfangs wollte ich noch Verbündete aus ihnen machen – erfolglos. Sie stiegen nur zaghaft auf meine Gesprächsversuche ein und machten, so schnell sie konnten, dass sie davonkamen. Das war zwar schade, aber ich konnte sie auch verstehen. Als Geliebte befindest du dich der offiziellen Partnerin gegenüber in einer absolut beschissenen Situation. Denn du weißt, dass der Mann zu dieser anderen Frau gehört. Selbst, wenn du ihn dir gar nicht als Partner vorstellen kannst – das Gefühl, der anderen etwas wegzunehmen, bleibt.
Es brauchte auch bei mir eine Weile, bis ich begriff, dass man sich einen Kerl tatsächlich teilen kann. Nun ja, den größeren Teil von André wollte ich immer noch für mich behalten, aber ich war mehr und mehr bereit, etwas von ihm abzugeben. Und mich selbst im Gegenzug nicht mehr auf ihn zu beschränken. Doch wenn Andrés Frauen Single und auf Partnersuche waren, stand ich ihnen im Weg. Irgendwann hörte ich auf mitzuzählen, wie oft André abgeschossen wurde, wenn eine Frau erfuhr, dass unsere Beziehung keineswegs in Trümmern liegt. Ein gebundener Kerl – das ging. Aber nur, solange er unglücklich war.
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Doch dann kam Melanie*. Die erste Frau, die es super fand, dass André in festen Händen war. Denn Melanie hatte selbst einen Freund und wollte ihn auch behalten. Mit André, so ihre Hoffnung, könnte sie ein ungefährliches Experiment in Richtung sexuelle Befreiung starten, ganz ohne die Gefahr, dass er eine Beziehung mit ihr will. Weil er ja immer noch mich hatte.
Ich fand, dass Melanie die perfekte Frau für André war. Und für mich und meine Verschwisterungsphantasien. Also verabredete ich mich mit ihr auf ein Bier. Da saßen wir also an der Bar und kratzten nervös an den Etiketten unserer Bierflaschen. Melanie war sichtlich überfordert von der Idee, mit Andrés Freundin den Abend zu verbringen, aber im Gegensatz zu den anderen Frauen wich sie mir nicht aus.
Es gab Tausend Dinge, die ich sie fragen wollte. Aber dazu kam es nicht. Denn nach dem höflichen Smalltalk der ersten halben Stunde, in der wir uns vor lauter Aufregung ein Bier nach dem anderen reinpfiffen, waren wir schlagartig unglaublich betrunken. Was als vorsichtiges Abchecken begonnen hatte, wurde unversehens zu einem intimen Austausch über sexuelle Phantasien und Vorhaben.
“Stehst du eigentlich auch auf Frauen?”, fragte sie geradeaus. “Auf mich, zum Beispiel?” Selbst wenn ich keinerlei Interesse an Frauen gehabt hätte – spätestens mit Melanies Auftauchen in meinem Leben hätte ich es bekommen. Sie hatte nicht nur diese riesigen braunen Augen, das Gesicht einer Elfe und einen wirklich süßen Hintern. Mit ihr empfand ich genau die Vertrautheit, die ich mir mit Andrés Geliebten immer gewünscht hatte.
An diesem Abend planten wir Sex in allen möglichen Kombinationen – schließlich waren wir mit ihrem Freund zu viert. Diesen kannte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, aber wer zu Melanie gehörte, konnte nur ebenso phantastisch sein wie sie. Bei der Verabschiedung lagen wir zwei uns so innig in den Armen, als seien wir seit der ersten Klasse Freundinnen.
Aber wie das so oft ist mit den Ideen, die man in volltrunkenem Zustand als genial klassifiziert – nach dem Ausnüchtern entpuppen sie sich oft als nicht ganz so genial. Am folgenden Wochenende ging ich mit Melanie und ihrem Freund Robert* tanzen. Der war tatsächlich super – und am Ende des Abends landeten wir schließlich zu dritt im Bett. Die Frau zu sein, die zu einem bestehenden Paar dazukommt, ist immer die leichtere Übung. Zuzusehen, wie dein eigener Freund mit ihr die gleichen Dinge macht wie in den intimsten Momenten mit dir, ist schon eine Nummer härter. So kam es, dass ihre Erregung mitten im Sex in abgrundtiefe Traurigkeit umschlug. Was trotzdem ein schöner und inniger Moment wurde, denn Robert und ich, wir küssten ihre Tränen weg und hielten sie fest, bis sie sich beruhigt hatte. Von nun an trafen wir uns aber, um keine weiteren Wunden zu reißen, nur noch pärchenweise: Melanie und André, und Robert und ich.
Die Wunden kamen trotzdem. Wir waren ja jetzt ein Geflecht aus vier Personen mit all ihren Erwartungen, Gefühlen und Ansprüchen, die schon in einer Zweierbeziehung oft nicht leicht auszuhandeln sind.
Manchmal ging ich auch mit Melanie etwas trinken, aber von Best Friends with Benefits war keine Rede mehr. Unsere Dates verbrachten wir immer mehr damit, unser Sexleben zu koordinieren. Wer trifft welchen Mann wie oft, warum ist eine Ausnahme genau jetzt nötig und all dieses zähe Zeug, das mir das Gefühl gab, wir entwickelten uns mehr zu Buchhalterinnen unserer Beziehungen. Robert war eifersüchtig auf André, André hatte keine Lust mehr auf das Gerangel zwischen Melanie und mir; und Melanie wolle ein immer größeres Stück von meinem Freund. Tja, und das war dann der Punkt, an dem wir alle fanden, dass es Zeit für die Reißleine war.
Auch wenn unsere ménage à quatre nur wenige Wochen gedauert hatte – der Fall war tief, denn er führte mir vor Augen, dass meine Idee von weiblicher Komplizenschaft nicht funktioniert hat – zumindest diesmal nicht, zumindest nicht für mich.
Seitdem haben André und ich uns entschlossen, mehr nach dem “Was-ich-nicht-weiß-macht-mich-nicht-heiß”-Prinzip vorzugehen. Zumindest, was die räumliche Entfernung zu unseren Geliebten angeht. Unser Kiez ist tabu, ebenfalls unser Bekanntenkreis. Eine Entscheidung, die viel Entspannung mit sich brachte. Ich bin immer noch schrecklich neugierig und springe oft als Erste an Andrés Handy, um zu sehen, was sein aktueller Flirt ihm Schönes schreibt. Nur dass ich beim Bäcker nicht seinem grimmigen Blick begegnen muss.
*Die Namen der Personen sind geändert, um ihre Privatsphäre zu schützen.