Popkultur

Ich war am ‘Tatort’-Casting in Zürich und alles ging schief

Der Sonntag ist mein absoluter Lieblingstag. An keinem anderen Tag ist es akzeptiert, keine Verabredungen zu haben und den Tag über völlig verkatert auf der Couch zu vergammeln. Versuch mich dann gar nicht erst anzurufen—ausser du willst mir ein kühles Powerade und eine Pizza vorbeibringen—dann steht dir meine Tür immer offen. Sonntag ist auch der einzige Tag, an dem sich der TV-Anschluss in unserer WG auszahlt, wenn sich um 20:00 Uhr abends alle meine Mitbewohner nach durchgefeierten Nächten bis zur Couch ins heimische Wohnzimmer durchgekämpft haben, um sich gemeinsam den Tatort reinzuziehen. Der sonntägliche Tatort ist für mich gewissermassen der versöhnliche Abschluss, der auch missratene Wochenenden retten kann.

Als das SRF auf seiner Facebook-Seite zu einem Statisten-Casting für den kommenden Luzerner Tatort aufrief, schrieb mich mein Kumpel sofort an und versuchte mich zu überreden, mein Glück zu versuchen. Da meine schauspielerische Erfahrung sich auf das Primarschultheater begrenzt, bei dem ich einen Baum spielen durfte, war seinerseits sicher eine Menge Sadismus dabei. Mir gefiel jedoch die Vorstellung bei einem Tatort irgendwo im Hintergrund genüsslich einen Kaffee zu trinken und eigentlich habe ich mir sowieso vorgenommen, mehr aus meiner Komfortzone herauszukommen.

Videos by VICE

So mache ich mich am Samstagmorgen mit meinem Mitbewohner auf den Weg zum Sechseläutenplatz ans Zürich Film Festival, wo das Casting stattfindet. Am grünen Teppich des SRF erwartet mich bereits eine nette Empfangsdame, bei der ich meine Körpermasse und meine biographischen Daten angebe. Während wir warten, können wir von einer Aussichtsplattform aus meine Vorgänger beobachten und ich mache mir zum ersten Mal Gedanken darüber, dass ich eigentlich ja gar keine Ahnung von Schauspielerei habe.

Mein Kater vom Vortag beschäftigt mich jedoch zu sehr, um nervös zu werden und die meisten Kandidaten vor mir erhalten von den Juroren nur mittelmässig interessante Streitszenen. ˮKein Problem, das kann ich auch so besserˮ, denke ich mir und lasse mich von der SRF-Praktikantin von allen Seiten für die Schauspielerkartei ablichten.

Nach einer halben Stunde verkündet das Rauschen aus dem Funkgerät, dass unsere Zeit nun gekommen ist. In einer Kleingruppe werden wir auf den grünen Teppich geleitet, wo uns ein sehr wichtig erscheinender Typ mit Knopf im Ohr drei Mal erklärt, dass wir erst vor die Jury treten dürfen, wenn wir von ihm dazu aufgefordert werden. Zudem teilt er mich einer jungen Dame mit dem Namen Charlotte zu, die sich also glücklich schätzen darf, eine Szene mit mir aufzuführen.

Ich, als ich noch entspannt war | Foto von Fabian Kastner

Während wir hinter der Jury auf unseren Einsatz warten, kriege ich dann doch erstmal feuchte Hände. Charlotte macht aber alles richtig und lenkt mich ab, indem sie mein verkatertes Ich ausfragt. Im Gegensatz zu mir ist Charlotte freiwillig hier. Während ihrem Besuch am Zürich Film Festival wurde sie auf das Casting aufmerksam und will jetzt spontan ihre Chance auf eine von zehn Statistenrollen wahrnehmen.

Dann ist es soweit, der Typ mit Knopf im Ohr fuchtelt uns zu, wir sollen vor die Jury treten. Wie wir es in den Casting-Sendungen im TV gelernt haben, stellen wir uns auf die X-Markierung auf dem Boden aus Klebeband. Ich stelle fest, dass weder die Kommissarin Ritschard, noch ihr Partner Flückiger—im echten Leben bekannt als Delia Mayer und Stefan Gubser—Teil der Jury sind und bin etwas enttäuscht. Zeit für Fragen bleibt aber keine, nachdem Charlotte und ich uns der Jury vorgestellt haben, beginnen die Juroren mit einem Grinsen im Gesicht sich eine Story für uns auszudenken.

Wie es kommen musste, schlägt ein Juror etwas Romantisches vor, was Charlotte semi-geil findet. Die Juroren entscheiden sich alternativ für eine Actionszene und geben mir Handschellen, eine Waffe und eine Polizistenmütze, die nach billigster Fasnachtsseemansmütze aussieht, was meinem fotografierenden Mitbewohner schon den ersten Lachflash beschert. Ich lasse mich davon nicht beirren und will mit Charlotte das Vorgehen kurz besprechen, als die Jury mir bereits den Auftrag gibt, Charlotte jetzt festzunehmen. Etwas überrascht, dass wir schon loslegen müssen, gehe ich langsam auf Charlotte zu und gebe ihr zu verstehen, was für einen Auftrag ich gefasst habe.

Nach anfänglichen Diskussionen, die zugegeben etwas klischeemässig wirken, fängt Charlotte plötzlich an, sich gegen die Festnahme zu wehren und nach einigem hin und her werde ich durch die verfahrene Situation ungeduldig. Ich erinnere mich an die langweiligen Vorstellungen zuvor und kriege die Idee, unsere Siegchancen mit einer gekonnten Actioneinlage zu erhöhen. Da die Jury explizit von einer Actionszene sprach, ein Polizist im echten Leben auch mal Zwang anwenden muss, um seinen Gesetzesauftrag zu erfüllen, und ich meine Aufgabe pflichtbewusst korrekt ausführen möchte, entscheide ich mich, der Sache etwas mehr Pfeffer zu geben.

Gekonnt stelle ich mein rechtes Bein vor Charlottes und heble meine Partnerin bäuchlings auf den grünen Teppich. Selbstverständlich halte ich Charlotte dabei mit meinem Arm unter ihrem Körper und lege sie auf den Boden hin, anstatt sie tatsächlich hinzuwerfen, so wie ich denke, dass es ein Stuntman tun würde ohne jemanden zu verletzen.

Zufrieden mit meinem filmreifen Stunt platziere ich mein Knie auf ihrem Rücken, ohne Druck drauf zu geben, und lege Charlotte die Handschellen an. Erstaunt stelle ich dann aber fest, wie die Jury vor Schreck aufspringt und mir mit fuchtelnden Armen und einem ˮCuuut!! CUUUT!!ˮ zu verstehen gibt, dass der Auftritt hier zu Ende ist und besser gar nicht so weit gehen hätte sollen. Ich nehme Charlotte die Handschellen wieder ab, die im Eifer des Gefechtes auch noch kaputt gingen und hieve sie wieder auf die Beine.


Oliver Stone über seinen neuen Film “Snowden”:


Im Gegensatz zur Jury, die sich immer wieder verstört nach ihrem Zustand erkundigt, lacht Charlotte immer noch. Ich entschuldige mich bei Charlotte und Jury für den Stunt und gebe meine Uniform wieder ab, im Wissen dass das wohl auch gleichbedeutend mit dem Ende meiner Schauspielkarriere ist. Die Jury drückt uns zum Abschied Autogrammkarten vom abwesenden Stefan Gubser in die Hand und macht uns—wenn auch wohl vergeblich—darauf aufmerksam, dass wir bei einer erfolgreichen Bewerbung demnächst kontaktiert werden.

Ich verabschiede mich von Charlotte und werde beim Ausgang von meinem Mitbewohner empfangen, dessen immer noch anhaltender Lachflash mich die nächsten Minuten begleitet, während ich mich in Grund und Boden schäme. Falls du das hier liest, Charlotte: Sorry nochmal, vielleicht hätten wir doch die Romanze nehmen sollen.

Kamil auf Twitter.
VICE Schweiz auf Twitter und auf Facebook.