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Ich war bei einer Networkingmesse für Pornodarstellerinnen

Autorin Madita Oeming (mitte) mit Hannah James (links) und Texas Patti (rechts)

Mit einer pulserhöhenden Mischung aus Neugierde und Unsicherheit betrete ich die Lobby des Hotel Catalonia in Berlin-Mitte und damit eine Welt, zu der ich zwar immer mehr, aber eben doch nicht wirklich dazu gehöre. Drei Tage lang trifft sich hier die internationale Pornoszene zum Networken: XBIZ Berlin.

Are you a performer?”, fragt mich die Dame am Empfang strahlend. Ungläubig scanne ich in einer Art internalisiertem Selbst-Body-Shaming meinen Körper, obwohl gerade ich wissen sollte, dass Pornodarstellerinnen in allen Größen, Formen & Looks existieren und Erfolg haben. Man kann noch so viel wissen und trotzdem im Affekt im simpelsten Klischeedenken gefangen sein. Ihre nachhakend hochgezogenen Augenbrauen holen mich kurz aus meiner Gedankenschleife. “Ähm, nee, Presse!”, verneine ich. Hat schon eine gewisse Ironie, wie ich mich in diesem Augenblick geradezu dafür schäme, KEINE Pornodarstellerin zu sein. Ich denke daran, wie oft selbige ihre Tätigkeit verschweigen müssen.

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Es ist Willkommens-Happy-Hour und ich komme überraschend schnell mit allen möglichen Menschen ins Gespräch. Lächle pseudo- selbstverständlich mit den Camgirls und Produzenten in die Kameras der herumschweifenden Fotografen und denke innerlich: Wenn die wüssten, wie mein Alltag sonst aussieht. Bibliothek, Sprechstunde, Institutskonferenz. Ich bin Pornowissenschaftlerin, promoviere gerade – aber heute bin ich hier, um zu berichten.

Obwohl ich – anders als viele hier – meinen Klarnamen um den Hals trage, fühle ich mich nahezu inkognito. Den Industrie-Jargon habe ich gut genug drauf, um nicht direkt als Zivilistin aufzufallen. So nennen Porno-Insider all diejenigen, die nicht in der Branche arbeiten.

Thomas Fabbri

Nur selten wird beim Kennenlernen zu Visitenkarten, meistens zu Twitter oder Instagram gegriffen. Ich will einer sympathischen Newcomerin folgen, aber finde sie nicht. “Verdammtes Shadow Banning!”, sage ich lächelnd und bin überrascht, dass ihr das kein Begriff ist. Soziale Medien nutzen diese Technik, um Inhalte von Sexarbeitenden gezielt zu blockieren. Sie schaut ungläubig in die Runde etablierterer Namen. Sie alle nicken resignierend.

Darunter eine der sogenannten Ambassadors des Events, also Aushängeschilder. 100.000 Follower hat sie bei Twitter. Sie ist klein und schmal, 23 Jahre alt, und könnte mit ihrer Brille und ihrem Rollkragenpullover völlig unauffällig in einem meiner Literatur-Seminare sitzen. Im charmantesten britischen Akzent erklärt sie mir, dass sie sich in solchen Situationen nicht allzu wohl fühle. Dass es ihr schwer falle, auf neue Menschen zuzugehen. Zwei Abende später wird sie den Preis für Best Female Cam Model 2019 bekommen. Ich vergesse immer wieder, dass exhibitionistisch nicht mit extrovertiert zu verwechseln ist. Soziale Ängste sind in der Pornowelt ungefähr so verbreitet wie in der Wissenschaft. Wir alle fühlen uns hinter unseren Bildschirmen weniger verletzlich.

Am nächsten Tag treffe ich zum Lunch die Gründerin einer Organisation, die stigmafreie psychologische Hilfe anbietet. “Viele Sexarbeitende machen die Erfahrung, in therapeutischer Behandlung auf Verständnislosigkeit, sogar Abwertung zu stoßen”, erklärt sie. Oft wird versucht Frauen vor etwas zu retten, wovor sie nicht gerettet werden wollen. Die bittere Ironie daran ist, dass gerade die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz das ist, wovor sie geschützt werden müssten und was sie überhaupt erst in psychische Krisen treibt.

Beim Treffen der Performenden geht es viel um Work-Life-Balance, um den Druck, auf sozialen Medien permanent präsent zu sein, um die Vermischung von öffentlicher und privater Person, um Themen also, die haargenau so auch unter Nachwuchsjournalistinnen diskutiert werden würden. Der Raum ist überfüllt und so aufgeheizt wie die Stimmung. Es geht schließlich um Existenzen. Ein Performer beschwert sich, dass Männer für die gleiche Szene weniger Geld bekommen als Frauen. Ich kann mir ein kleines feministisch-schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen.

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Auf Produktionsseite fällt als Erstes das umgekehrte Geschlechterverhältnis auf. Frauen sind hier sichtlich in der Unterzahl. Die wohl erfolgreichste von ihnen macht hochstilisierte “Instagram-Pornos”, die durch Dreads und Tätowierungen auffälligste dreht Horror-Pornos, die “da anfangen, wo BDSM aufhört”, die älteste will den “Granny-Porn revolutionieren”. Der Markt ist divers.

Geeint sind alle durch eines: die Veränderungen, die das Internet mit sich bringt. “Wie viele hier verlassen sich noch primär auf DVD-Verkäufe?”, wird in den Raum gefragt – nur drei Hände heben sich. Porno passiert heute digital. Geografische Unterschiede kommen trotzdem immer wieder zur Sprache: “Nutzt die Chancen, die Europa bietet”, erinnert eine erfahrene Stimme. In der Diskussion über Sprachbarrieren schlägt jemand vor: “Wenn sein Akzent stark ist, machst du ihn eben zum russischen Stiefvater!” Es wird gelacht. Im Gegensatz zum Unibetrieb strotzt diese Branche vor sympathischer Selbstironie.

In der Pause outet mich meine Insider-Connection als Pornowissenschaftlerin, als er mich dem XBIZ-Chef vorstellt. “Eine deutsche Constance Penley also!”, kommentiert dieser schmeichelhaft. Penley ist Professorin an einer US-Eliteuni, eine Ikone der Porn Studies. Der Mann kennt sich aus. Warum überrascht mich das? Schon wieder gefangen im Klischee. “Es muss hier komisch für Sie sein, wenn Sie akademische Konferenzen gewohnt sind”, sagt er. “Das nimmt sich eigentlich nix!”, erwidere ich. Und meine es so.

Auch eine Keynote gibt es hier, bei der ich inspiriert der kanadischen Entrepreneurin im grauen Kapuzenpulli lausche und über die Frauen dieser Branche nachdenke, die in meinen Begegnungen so anders und viel diverser sind als das vereinheitlichte Bild, das die Medien zeichnen. Klar gibt es auch die lauten, knallbunten Frauen mit in Lack gepressten Silikonbrüsten. Davon sehe ich hier vielleicht fünf. Von über 100? Aber sie lassen sich halt so viel leichter und eindrucksvoller erzählen und bebildern. Und sind deshalb so restlos überrepräsentiert. Nicht, dass sie nicht genauso ihre Berechtigung hätten, aber sie bieten sich eben als Projektionsfläche für Angst und Abgrenzung – insbesondere für andere Frauen – viel besser an.

Am nächsten Tag wird es technisch und kompliziert: Das Treffen der Paysites ähnelt einer Kreuzung aus IT- und BWL-Vorlesung, zwei weitere Stunden wird über Juristisches diskutiert, im Panel zum Schwerpunkt HIV die Frage aufgeworfen, ob das Vertrauen in PrEP eine Generationenfrage sei. Mein Kopf summt vor lauter Input.

Als ich zum Luftschnappen in den Hof gehe, steht am Rand eine mir bekannte Clique der alternativen Berliner Pornoszene – “Willkommen am Nerd-Tisch!”, begrüßen sie mich. Sie sind hier quasi die Porno-Punks. Es geht ihnen um Kunst, Subkultur, Diversität. Ich habe den Eindruck, sie fühlen sich hier fast mehr fehl am Platz als ich.


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Am Abend sollen die XBIZ Europa Awards den krönenden Abschluss bilden. Rocco Siffredi führt durch die Verleihung. Wer sonst? Trotz optimierbarer Soundqualität kann ich nichts dagegen tun, seinem Charme und italienischem Akzent von der ersten bis zur letzten Sekunde zu verfallen. Ich bin schon ewig Rocco-Fan. Und nein, ich finde das widerspricht meinem Feminismus nicht. Sein Bruder, seine Frau und sein Sohn (ja, als gute Stalkerin erkenne ich alle – auch beim schwächsten Schummerlicht) sind dabei und jubeln ihm zu, während über 50 Kategorien vorbeiziehen. Beste Sexszene. Bester Gonzo-Film. Best Glamcore. Ich habe im Vorhinein brav abgestimmt, bin also bestens im Bilde. “Pornostreber!”, nennt meine Sitznachbarin mich. Korrekt.

Networkingmesse

Während sie sich klatschend freut, dass dieses Jahr merklich mehr queere Filme vorkommen als letztes, dreht sich der Fotograf aus der ersten Reihe bei jedem schwulen Nominierten zu mir um und sagt augenrollend: “Politics!” Nicht allen gefällt der Wandel der Branche. Mir schon. Auch wenn ich mir noch mehr Fortschritt wünsche. Zum Beispiel endlich mehr nicht-weiße Nominierte. Und zwar nicht nur aus explizit als “interracial” vermarkteten, grenzwertigen Produktionen.

Nein, die Pornoindustrie ist nicht frei von Fehlern. Es wäre naiv zu behaupten, dass sie sich von den Machtstrukturen frei machen könnte, die auch jede andere Branche bestimmen. Nur während wir sonst so willentlich einen Schleier über Ungerechtigkeiten legen, wird beim Porno gerne das Vergrößerungsglas angesetzt. Ich fordere kein blindes Abfeiern dieser Szene und der Menschen darin, aber einen differenzierten, respektvollen Blick. Ich wünschte einfach, dieser von Doppelmoral verzerrte Filter, durch den wir auf die Welt der Pornos schauen, wäre genauso leicht zu löschen wie der, den ich über mein Selfie mit Rocco lege, bevor ich es beim Einschlafen ein bisschen stolz zu meinen Favoriten hinzufüge. Fuck Stigma.

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