Zwei Männer mit langen Bärten und Maschinengewehren stehen zwischen den Ruinen der antiken Stadt Palmyra. Vor ihnen knien zwei Gefangene. Sie rufen zum Mord an den Ungläubigen in Deutschland auf und drohen Angela Merkel. Danach schießen sie den beiden Gefangenen wie in einem Actionfilm inszeniert in den Kopf. Die beiden Terroristen im jüngsten grausamen IS-Propagandavideo kommen aus Deutschland und Österreich. Das Video zeigt einmal mehr: Der syrische Bürgerkrieg ist seit langem ein internationales Schlachtfeld. Längst verfügen aber nicht mehr nur die Islamisten über internationale Freiwillige.
Seit dem Angriff des Islamischen Staats auf die nordsyrische Stadt Kobane im vergangenen Jahr geht eine Welle der Kurdistan-Solidarität um die Welt. Auch den kurdischen Guerilla-Gruppen PKK und YPG schließen sich seitdem mehr internationale Freiwillige an. Türkische Kommunisten kämpfen mit amerikanischen Veteranen, kanadischen Ex-Models und deutschen Linken gegen den islamistischen Terror. Mit Ivana Hoffmann und Kevin Joachim sind in den vergangenen Monaten auch mindestens zwei Deutsche auf der Seite der Kurden ums Leben gekommen.
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Einer, der es lebendig zurückgeschafft hat, ist Alexander (Name geändert). Er ist Anfang 20, kommt aus einer Stadt im Ruhrgebiet und war, wie er sagt, sein „halbes Leben in linksradikalen Zusammenhängen aktiv”. Ohne vorher jemals eine Waffe in der Hand gehabt zu haben, ist er im März 2015 ins Kriegsgebiet gereist.
Kurz nach seiner Rückkehr nach Deutschland haben wir uns mit ihm unterhalten.
VICE: Wieso hast du dich entschieden, in den Bürgerkrieg zu gehen und zu kämpfen?
Alexander: Das war jetzt nicht so wie das Klischee der IS-Freiwilligen, dass mein Leben in Trümmern lag und ich gesagt habe, ich muss hier raus. Das war eine ganz bewusste Entscheidung. Mein Berufswunsch, seitdem ich 12 war oder so, war immer Revolutionär. Für mich war immer klar, dass es das ist, was ich mit meinem Leben machen möchte: Radikale politische Veränderungen bewirken. Ich hatte lange überlegt, meine akademische Laufbahn und das Streben nach einer Karriere aufzugeben und mich dann nach einigen Monaten entschlossen, das wirklich zu tun. Das war natürlich ‘ne schwere Entscheidung, mein Leben quasi „der Revolution zu opfern”—das klingt verdammt pathetisch.
Hattest du irgendeine Vorbereitung auf das, was dich erwartet hat? Den Umgang mit dem Maschinengewehr lernt man ja nicht in der Schule.
Ich habe es immer abgelehnt, einer professionellen Armee beizutreten. Darum hatte ich natürlich auch keinerlei militärische Erfahrung. Ich habe mir deshalb damals Sorgen gemacht und versucht das zu kompensieren. Ich habe viel mit alten Freunden gesprochen, die heute bei der Bundeswehr sind, habe viel gelesen und mir Lehrvideos von verschiedenen Armeen angeguckt. Dann habe ich überlegt, was ich wohl brauchen könnte und mir Ausrüstung gekauft. Also keine militärische, sondern hauptsächlich Outdoor-Ausrüstung.
Wenn man zum Kämpfen in einen Bürgerkrieg geht, steht es ja zumindest im Raum, dass man nicht zurückkommt. Wenn alles „nach Plan” verläuft, tötest du Menschen, wenn nicht, stirbst du selber. Wie hast du dich damit auseinandergesetzt?
Das klingt komisch, aber für mich war immer klar, dass ich als Revolutionär der Revolution untergeordnet bin. Das ist schwer auszudrücken, ohne dabei völlig pathetisch zu klingen, das ist ein sehr pathetisches Thema. Aber so ist das. Ich war bereit, mich da unterzuordnen und sowohl bereit zu töten, als auch dort zu sterben. Für mich war das selbstverständlich: Wenn ich dahin gehe, dann muss ich das in voller Konsequenz tun. Ich bin dann nicht mehr Student oder Freizeitaktivist, sondern, wie mir später oft gesagt wurde, „Soldat der Revolution” und Soldaten und Revolutionäre füllen nun nicht gerade die Altersheime.
Wie bist du überhaupt in Kontakt mit der YPG gekommen?
Ich habe mich bei Facebook angemeldet und habe der YPG eine Nachricht geschickt. Zwei Nachrichten später wurde mir gesagt, dass ich nach Suleymania fliegen soll, und eine Telefonnummer mitgeteilt, die ich anrufen soll, wenn ich da bin.
Waren die gar nicht misstrauisch?
Nein, überhaupt nicht, ich war auch selbst total überrascht. Die haben gefragt, wer ich bin. Das habe ich denen gesagt, eine Kopie von meinem Reisepass hingeschickt und dann die Nummer bekommen.
Wie ging es für dich weiter, nachdem du im Nordirak angekommen bist?
Ich bin in Suleymania zuerst in ein Safe House gekommen. Die Stadt liegt ja in der autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Das ist quasi ein turbokapitalistisches staatsähnliches Gebilde und eigentlich eine sehr interessante Region. Politisch aber natürlich ganz anders als Rojava und der YPG und der PKK gegenüber auch sehr feindlich eingestellt.
In dieser konspirativen Wohnung der YPG wurden wir dann mit anderen Internationalen gesammelt. Von da aus ging es in die Berge, wo wir zweieinhalb Wochen waren. Da fing die Ausbildung an.
Wie wurdest du dort ausgebildet? Bei professionellen Armeen ist das ja in der Regel ein sehr langer Prozess, bis die ihre Soldaten tatsächlich in einen bewaffneten Einsatz schicken.
Die YPG und die PKK sind eine Guerilla, darauf geben die sehr viel und da sind die sehr stolz drauf. Die kämpfen in Rojava auch mit Guerilla-Methoden, obwohl das eigentlich eher ein konventioneller Krieg ist. Darum war die Ausbildung nicht unbedingt optimal und auch nicht sehr umfassend. Was wir gelernt haben, war zum Beispiel Waffenkunde, was auch, glaube ich, das Sinnvollste war. Geschossen haben wir in der Ausbildung nur mit Kalaschnikows und der PK [ein russisches Maschinengewehr, Anm. d. Red.]. Jeweils acht Mal. Ansonsten ging es vor allem um Kommunikation, wir hatten auch einen Sprachkurs mit Fokus auf den militärischen Bereich. Außerdem haben wir gelernt, wie sich die Guerilla im Feld verhält: Fortbewegung, Aufteilung in der Gruppe und so. Einen zweiten Ausbildungsteil gab es dann noch an der Akademie in Rojava, wo wir in dem Terrain gelernt haben, in dem wir auch kämpfen sollten. Da haben wir dann vor allem geübt, wie wir uns bei einem Angriff verhalten und wie wir selber angreifen.
Ein Teil war aber auch die ideologische Ausbildung. Da haben wir über den Apoismus und Abdullah Öcalan gelernt und über das Zusammenleben in der PKK. Das soziale Verhalten und das Zusammenleben sind ein wichtiger Teil der Ideologie und innerhalb der PKK sehr streng reglementiert. Das fängt schon damit an, wie man sitzt: Die Sitzhaltung soll immer signalisieren, dass man seinem Gegenüber aufmerksam zuhört und nicht gerade bequem ist, sich mit sich selbst beschäftigt oder gedanklich abschweift. Man soll auch nicht schlecht über andere reden, oder jemandem in Gegenwart anderer etwas ins Ohr flüstern. Drogen sind auch sehr strikt verboten.
Was in der PKK auch ganz wichtig ist, ist das Wort Heval. Das heißt soviel wie Freund und Genosse. In der PKK sind alle Heval. Darum ist es verboten zu zeigen, dass man jemanden mehr mag als andere. In deiner Einheit, deinem Tabur, hast du alle gleich zu mögen. Besondere intensive Freundschaften darfst du nicht führen, wenn du Teil der Guerilla bist. Das klingt vielleicht blöd, aber das wird auch krass durchgesetzt. Es gibt natürlich eine Informationshierarchie und eine militärische Hierarchie, aber dieses Heval-Ding gilt auch da. Auch der allerhöchste Kommandant ist Heval und redet mit dir wie jeder andere.
Es kämpfen dort ja nicht nur PKK-Anhänger und Linksradikale, sondern auch englische und amerikanische Ex-Militärs, denen es vor allem um den Kampf gegen den IS geht. Klappt das, denen diese Ideologie beizubringen?
Na ja, die geben da natürlich nichts drauf. Es gibt viele Leute, die kommen da hin, wissen gar nichts und denken: „Ich kann da gegen den IS kämpfen.” Die beschäftigen sich da vorher nicht mit und haben dementsprechend auch Probleme, sich darauf einzulassen. 90-95% der Leute hauen auch nach wenigen Wochen wieder ab, weil die von dieser Ideologie schockiert, oder nicht darauf vorbereitet sind. Die sind dann schon wieder weg, bevor sie tatsächlich gekämpft haben—bis die Kurden einen kämpfen lassen, dauert es nämlich auch eine ganze Weile. Dieses Kanonenfutter-Ding gibt es da überhaupt nicht. Die versuchen, einen eher immer ein bisschen rauszuhalten. Wir haben diese Leute immer Kreuzzügler und Glücksritter genannt. Zum großen Teil waren das irgendwelche Rechtskonservativen, die meisten kamen aus den USA, aber auch aus allen anderen Teilen der Welt.
Wie ging es nach deiner Ausbildung in den Bergen für dich weiter?
Wir sind von dem Lager in den Bergen zuerst in ein anderes Lager gekommen, das näher an der Grenze zu Syrien liegt. Von da aus ging es dann irgendwann nachts los. Wir sind mit unserem ganzen Gepäck, ohne Licht und ohne zu reden im Dunkeln durch das Peshmerga-Gebiet marschiert. Irgendwann wurden wir dann von einem Auto abgeholt und durch einen vermutlich bestochenen Peshmerga-Checkpoint gebracht. Wir wurden dann an einer Straße rausgeworfen und sind während eines Sturms durch Felder und hüfthohen Schlamm nochmal zwei Stunden marschiert, wieder ohne Licht. Nur unser Führer hatte ein Nachtsichtgerät. An der Grenze sind wir dann erst durch ein Loch im Grenzzaun und danach durch die natürliche Grenze, den Tigris. Wir mussten dann eine halbe Ewigkeit mitten im Fluss warten, bis jemand mit einem Schlauchboot kam. Dann waren wir in Rojava. Da haben wir unsere Ausbildung an der Akademie abgeschlossen, hatten dann unsere eigene Waffe und waren offiziell Soldaten der YPG. Damit hat der Krieg für uns angefangen.
Wie ging dein Einsatz dort für dich los?
Für mich ging es anders los als für viele andere Internationale. Die Kurden haben das sehr ernst genommen, dass ich aus politischen Gründen da war. Die nennen die Internationalen sonst alle „Emeriki”, also Amerikaner. Ich war für die aber kein „Amerikaner”, sondern ich war Revolutionär—und damit war ich Heval. Freund der Partei quasi. Dadurch hatte ich eine gewisse Sonderbehandlung. Während der Ausbildung hatte ich zufällig einen Deutschen kennengelernt, der schon seit drei Jahren da war. Der ist jetzt vor Kurzem gestorben, heute weiß ich, dass er Kevin Joachim hieß. Wir hatten uns gut verstanden und er hat dann geklärt, dass ich in seine Einheit komme. Dadurch bin ich dann ziemlich direkt an die erste Frontlinie gekommen. Vom ersten Tag an waren wir 120 Meter an Daesh [IS, Anm. d. Red.] dran.
Nachdem meine Einheit mich in Hasseke abgeholt hat, ging es nach Tel Tamer, das ist eine hauptsächlich assyrische Stadt. Da war ich dann an der Front und habe zum ersten Mal gekämpft. Danach habe ich die Einheit gewechselt. Die neue Einheit war ein mobiles Tabur, also eine mobile Einheit, wir waren eigentlich immer in Bewegung. Wir haben dann den ersten Teil der Al-Hassaka-Offensive vollendet und sind bis Abd al-Aziz, der natürlichen südlichen Grenze von Rojava. Das war für uns ein sehr historischer Tag, als wir das Gebirge befreit haben. Da haben wir am Abend viel gefeiert, mit Singen, Tanzen und durchs Feuer Springen.
Danach ging es für uns weiter nach Sere Kaniye an der türkischen Grenze. Innerhalb von drei Wochen sind wir dann bis nach Tel Abiad. Nach der Befreiung von Tel Abiad habe ich nochmal die Einheit gewechselt und bin dann zum „International Freedom Batallion”, das nur aus internationalen Freiwilligen besteht.
Wie kam es dazu, dass du schon wieder in eine andere Einheit gekommen bist?
In meiner zweiten Einheit hatte ich sehr negative Erfahrungen gemacht und viel über den Krieg gelernt. Krieg ist ein sehr intensiver Zustand, der einen krass verändert. Und da habe ich Sachen beobachtet, die mir nicht gefallen haben und die ich auch nicht mehr mit meinen politischen Vorstellungen und Ansprüchen vereinbaren konnte. Es ging da vor allem um Plünderungen, Zerstörungen und Misshandlung von Gefangenen. Vor allem um die Plünderungen. Ich bin dann vor allem aus der Einheit raus, weil ich im Gespräch mit dem Kommandanten festgestellt habe, dass sich daran zumindest in der Einheit auch nichts ändern wird.
Im Internationalen „Tabur” habe ich dann das gefunden, was ich gesucht hatte. Das waren alles Freiwillige und Idealisten, genauso wie ich. Wir haben zum Beispiel die Umwelt sauber gehalten und waren immer nett zu Zivilisten. Wir haben halt das gemacht, was ich eigentlich von der YPG insgesamt erwartet hatte.
Hatte eure internationale Einheit denn auch andere Aufgaben, und wurdet ihr da überhaupt ernst genommen?
Das war natürlich alles sehr anders. Wir waren zwar ein Teil der YPG, aber eigenständig, mit eigenem Emblem und so. Und mit einem starken politischen Anspruch, den die YPG an sich zwar hat, aber die einzelnen Einheiten nicht unbedingt. Wir hatten leider auch absurd hohe Verluste innerhalb von drei Wochen. Nach den ersten zwei Vorfällen, bei denen wir Leute verloren hatten, kam der Frontkommandant zu uns und sagte: „Ihr habt Blut gelassen, das ist jetzt auch euer Krieg.” Vorher hatten wir das Gefühl, dass wir nicht so richtig ernst genommen werden. Wir hatten von der YPG nur ein Minimum an Ausrüstung bekommen und mussten richtig kämpfen, um Autos zu bekommen. Danach war das aber anders und wir wurden ernst genommen. Wir hatten gekämpft, wir hatten Leute verloren, wir hatten uns quasi bewiesen.
Wie haben eure Kampfhandlungen denn ausgesehen?
Die YPG ist im Gegensatz zu einer normalen Armee sehr dezentral organisiert und dementsprechend auch ziemlich chaotisch. Es gibt eine Logistik, die aber sehr schlecht funktioniert. Im Prinzip hat man nichts. Man hat eine Uniform, eine Munitionsweste, fünf Magazine, zwei Granaten und sein Gewehr. Wenn’s funktioniert, bekommt man von der Logistik ab und zu mal ein paar Tomaten, Gurken, Brot und Zigaretten—wenn der Truck einen findet und wenn gerade genug da ist. Dementsprechend chaotisch ist auch das Kämpfen.
Es gibt aber viel Luftunterstützung durch die Internationale Koalition. Ohne die wäre während der Offensive wenig gegangen. Das waren teilweise unglaublich intensive Bombardierungen, die uns krass unterstützt haben. Wir haben nie angegriffen, ohne dass vorher bombardiert wurde. Richtigen Widerstand haben wir darum am Anfang gar nicht erlebt. Das ist ja klar, dass Daesh keine Chance gegen diese Übermacht der Nato hat. Da sind immer nur Einzelne zurückgeblieben, die sterben wollten. Wir wurden vielleicht zwei oder drei Mal mit Mörsern beschossen, aber nach ein paar Schüssen kam ein Flugzeug und dann war der Mörser weg.
War diese internationale Luftunterstützung ausreichend?
Nach der Al Hassaka-Offensive sind die Luftangriffe der Nato weniger geworden. Da wurde klar, was die Taktik von Daesh war: Die haben uns ein riesiges Gebiet überlassen, das aber voll mit Sprengfallen war. In Tel Abiad haben sich zum Beispiel auch Daesh-Leute versteckt und erst, als ein Großteil der Truppen wieder abgezogen war, von innen heraus angegriffen. Erst hinterher, 80 Kilometer vor Raqqa sind wir dann auch an der Front auf einen Widerstand gestoßen, den ich vorher gar nicht für möglich gehalten hätte. Da hat man den Daesh-Kämpfern auch angemerkt, dass das hochprofessionelle und ausgebildete Soldaten sind. Die waren erfahren und viel besser ausgerüstet als wir.
Wir haben immer die Leichen durchsucht und vorher waren das zum größten Teil Türken, Tadschiken und Tschetschenen, dort waren das jetzt auch Araber. Hier wurden wir dann auch zum ersten Mal mit schweren Waffen angegriffen, wirklich mit allem, was man sich vorstellen kann: Schützenpanzern, Kampfpanzern, Mörsern, mit Raketen-Artillerie … Da haben wir 17 Stunden am Stück gekämpft, uns zurückgezogen, sind schließlich wieder vorgerückt und hatten starke Verluste. Das war der krasseste und intensivste Kampf, den ich dort erlebt habe.
Aber auch da kam irgendwann zum Glück Luftunterstützung. Der Kampfpanzer von Daesh hatte viermal Gelegenheit zu schießen und dann kam ein Flugzeug. Da hatten wir unsere Panzerabwehrwaffen schon alle verwendet. Ohne die Unterstützung wären wir ganz sicher alle tot.
Ein Teil einer normalen militärischen Ausbildung ist, dass man auch auf die emotionalen Auswirkungen eines Kriegseinsatzes vorbereitet wird. Was hat es mit dir gemacht, zum ersten Mal auf Menschen zu schießen und Menschen sterben zu sehen?
Das kann ich jetzt noch gar nicht beurteilen. Krieg ist wie gesagt eine sehr intensive Situation und als ich da erstmal drin war, hatte ich gleichzeitig tausend und auch gar keine Gefühle. Ich habe die Situation einfach so hingenommen und erstmal nur funktioniert. Ich habe da nicht viel drüber nachgedacht, ich hab’s einfach gemacht. Ich hab nicht viel bewusst gedacht und nicht viel bewusst gefühlt. Das war aber natürlich auch Teil meiner eigenen emotionalen Vorbereitung: Mir war klar, dass ich da hin gehe und auf Menschen schieße.
Was hat in den Monaten, die du in Syrien warst, den bleibendsten Eindruck bei dir hinterlassen?
Es gab einen sehr schweren und verheerenden Autobomben-Anschlag auf unsere Einheit. Ich war glaube ich 60 Meter davon entfernt. Einer wurde getötet und zwei Leute aus unserer Einheit wurden schwer verletzt und haben massive bleibende Schäden davongetragen. Die Bombe hätte uns fast alle getötet. Das das nicht passiert ist, war reiner Zufall. Erst eine Stunde vorher waren wir zwei Häuser weiter gezogen und die Attentäter wussten das offenbar nicht.
Wieso hast du am Ende beschlossen, zurückzukommen?
Naja, ich hab’ viel gesehen, viel getan, viel über mich gelernt, viel über die Revolution gelernt, viel über Politik gelernt. Ich hatte ja zweimal die Einheit gewechselt und nach dem zweiten Wechsel habe ich gesagt, ich gehe bald nach Hause. Das tu ich mir nicht an. Ich akzeptiere, dass das Krieg ist, ich akzeptiere, dass das notwendig ist und ich akzeptiere, dass das was an der Front los ist, nicht stellvertretend für alles ist, was dort passiert. Das denke ich auch immer noch, aber persönlich möchte ich mir das nicht antun. Außerdem habe ich gemerkt, dass die Wahrscheinlichkeit an der Front zu sterben sehr viel höher ist, als ich dachte. Wegen der Art zu kämpfen und wegen der militärischen Situation. Dass ich noch lebe, ist vor allem Glück. Mir wurde zwar gesagt, das hätte auch mit meinem Können zu tun und in gewissen Situationen glaube ich das auch. Aber in ganz vielen Situationen war das einfach nur Glück. Ich war zwar bereit, das Risiko einzugehen, aber ich möchte nicht sterben. Und ich habe gemerkt, dass ich unter den Umständen auch doch nicht dazu bereit bin. Ich habe mir gedacht, dass ich der politischen Arbeit hier in Europa vielleicht doch mehr Gutes tun kann, als da – und gleichzeitig auch noch am Leben bleiben.
Hattest du mit Dingen wie Plünderungen, Zerstörungen und Misshandlungen gerechnet?
Ich hätte damit rechnen sollen, aber ich habe da vorher gar nicht so drüber nachgedacht. Dementsprechend war ich überrascht. Vor allem weil uns in der Ausbildung sehr scharf eingebläut wurde, dass sowas nicht erlaubt ist und auch nicht geduldet wird.
Haben dich diese Erfahrungen in Hinsicht auf die PKK und die YPG desillusioniert?
Nein, gar nicht. Ich sehe da nicht unbedingt einen strukturellen Fehler, ich würde das nicht der YPG ankreiden. Das sind Dinge, die in einem Krieg nunmal passieren. Ganz oft hat das was mit Rache zu tun. Ich war immer in Einheiten aus türkischen Kurden, aber die syrischen Kurden hatten einen teilweise total verständlichen Hass auf die arabischen Dorfbewohner. Im Krieg Freunde zu verlieren, macht halt was mit einem. All dieser Tod um einen herum. Das ist einfach alles sehr dreckig, sehr blutig und emotional sehr intensiv.