Popkultur

Unsere Facebook-Vergangenheit ist verdammt peinlich

Foto: Tumoas Puikkonen | Flickr | CC by 2.0

Wenn wir es nicht aktiv drauf anlegen und unsere digitalen Spuren verwischen, vergisst das Internet absolut nichts—leider auch nicht, wie unangenehm wir früher mal waren.

In den kommenden Tagen jährt sich mein Beitritt zum größten sozialen Netzwerk der Welt zum sechsten Mal, obwohl ich mich eigentlich gar nicht wirklich an eine Welt vor Facebook erinnern kann, beziehungsweise möchte ich das wohl einfach nicht.

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Ich weiß ganz sicher, dass es mal eine Zeit gab, in der ich auf drei verschiedenen VZ-Netzwerken wie ein Depperter gegruschelt und gebuschfunkt habe, aber wirklich vertraut fühlen sich diese Erinnerungen nicht mehr an.

Soziale Netzwerke vor Facebook gibt’s auf Motherboard.

Auffrischen funktioniert leider auch nicht mehr—schülerVZ wurde bereits 2013 komplett gelöscht, meinVZ leitet mittlerweile automatisch auf studiVZ um und auf studiVZ finde ich nur noch die sterblichen Überreste eines Profils, für dessen Löschung ich mich einst entschieden hatte, jedoch auf halbem Weg realisierte, dass das eigentlich eine ziemlich blöde Idee ist und mein Teenie-Ich zu erforschen doch vielleicht später mal ganz lustig sein könnte. Tja.

Jetzt stehe ich dort zwischen den zerfetzten Fragmenten meiner VZ-Existenz, ohne zu wissen, was auf meinen elf verlinkten Fotos einmal zu sehen war. Außer semi-lustigen Gruppen und „bussal hdgdl”-Nachrichten, deren Absender jedoch nicht angezeigt werden können, weil sie ihr Profil tatsächlich gelöscht haben, ist nicht mehr viel übrig.

Ich ahnte auch noch nicht, dass ein Tauchgang in die endlichen Tiefen meines Facebook-Profils auch schon reichen würde, um mich vor Verlegenheit zusammenzucken zu lassen. Cringeworthy wäre jetzt das richtige Wort (zumindest für mich, weil ich nicht ohne Anglizismen leben kann). Ich würde ja sagen wollen, dass ich mich zutiefst schäme, aber ich fühle mich eigentlich mehr so, als würde ich mich für mich selbst fremdschämen, falls das halbwegs Sinn ergibt. Ich habe mich durch sämtliche Postings seit meiner Anmeldung gekämpft, und ich muss wirklich sagen: Ich habe über die Jahre hinweg nicht viel an Peinlichkeit verloren.

Wir schreiben das Jahr 2009. Eine Zeit, in der man „Fan werden” kann, Timelines noch Pinnwände heißen und Coverfotos nicht existierten. Am 18. Juni sitze ich am Laptop und freu mich sehr auf Samstag. Es ist mein erster Facebook-Status und er hat bis heute keinen einzigen Like: „is looking forward to Saturday :)“.

Dazu muss man sagen, dass das Layout 2009 noch ganz anders aussah als heute. Eine Statusmeldung wurde nicht unter, sondern direkt neben dem eigenen Namen angezeigt—was dazu führte, dass so ziemlich jeder von sich selbst in der dritten Person sprach. Deine Schnellchecker-Tante macht das wahrscheinlich bis heute noch so. „Gabi Oberdorfer ist gerade fein Essen mhhh mit Manfred Oberdorfer ;))” (Die Verlinkung von Onkel Manfred ist keine Verlinkung—sie hat sie selber so hingeschrieben).

Foto: Facebook

Allem Anschein nach war Facebook 2009 für mich jedoch vorrangig eines: Eine Plattform, um pseudo-deepe Song-Lyrics rauszuschießen. Und ich rede hier von Dingen wie „and I’m dreaming ’bout times, times that are gone.” Meine Freunde empfanden das als Aufforderung, mit mir „Can you name that song?” oder „Complete the lyric!” zu spielen und kommentierten drauf los. Das resultierte dann in zwei, manchmal sogar drei ziemlich peinlichen Status-Updates an ein und dem selben Tag. Merkt ihr, wie wahnsinnig das heute klingt?

Ich weiß übrigens echt nicht mehr, warum ich ausschließlich auf Englisch geschrieben habe. Erschien mir wohl irgendwie weltlicher. Hauptsache cool und alles in Kleinbuchstaben. Immer.

Im September ist mein Geburtstag. 2009 hatte ich eine fette Gesamtanzahl von sechs Pinnwand-Gratulanten. Danke für nichts. Seitdem wurden es jährlich mehr, bis 2013 waren es fast 150 geworden. Im letzten Jahr wurde die Zahl dann wieder kleiner—entweder mich mögen inzwischen einfach weniger Leute, oder sie haben bemerkt, dass ich auch nie jemandem zum Geburtstag auf die Timeline poste.

Am 20. April 2010 ereignet sich folgendes historisches Ereignis, das ich mittels Status-Update festhalte: „Starting today, people will be able to connect with your Page by clicking ,Like’ rather than ,Become a Fan.’” Es ist das Ende einer Ära—und nicht zuletzt auch das Ende für Pages namens „jedem Scheiß” oder „sich selbst”. Man beachte übrigens das Datum. Zufall? Wahrscheinlich, ja.

Zeitsprung zum 31. Januar 2011: Mein erster Status mit einer okayen Like-Anzahl: 22 (in Worten: zweiundzwanzig). Damals war das fast schon viral. Nein wirklich—das waren verdammt viele Likes, zumindest für mich. Ich erinnere mich noch, dass ich richtig aufgeregt deshalb war, als wäre ich gerade an etwas Großem dran. Ich muss gerade wieder facepalmen. Es ging übrigens um die Kantinenfrau meiner alten Schule, die leider die Grippe erwischt hatte. Ihr Name war Herta. Ich hatte ihr in meinem Status gute Besserung gewünscht und fügte hinzu: „Was sie nicht umbringt, macht sie nur Herta.”

2011 habe ich die Zukunft vorausgesagt.

Ein Pinnwand-Eintrag, der mir noch auffiel, war der eines Freundes: „ Your chat message wasn’t sent because Franz is offline.” Ich war kurz verwundert, bis mir einfiel, dass der—damals gerade neu eingeführte—Chat nur funktionierte, sofern der gewünschte Gesprächspartner auch online war. Was wohl auch der Grund war, warum Smalltalk-Konversationen à la „Hey wie gehts was treibst lg” hauptsächlich über Pinnwand-Einträge abgewickelt wurden. Jede weitere noch so kurze, nichtssagende Antwort bedeutete einen weiteren Pinnwand-Eintrag. Allein der Gedanke, das würde heute noch so laufen, ist völlig absurd.

Sicher wegen der Mathe-Schularbeit.

Zu der ohnehin schon viel zu hohen Dichte an intellektuellen Postings (oft auch in Form einer App namens „Glücksnuss”, die mir täglich das Leben erklärte), kommt mein übermäßiger Use von Smileys :D. Verwendet man die in einer Welt nach Emojis eigentlich noch ^^? Ich habe sie alle gemacht o.O. Alle, bis auf einen—den Fritzl unter den Smileys: xD. Bis heute stehe ich dieser grausigen Buchstabenkombination mit tiefster Verachtung gegenüber. Wenn jemand auf Tinder einen Satz mit „xD” beendet, wird er sofort ohne Zögern ungematcht. Wirklich. Da kenn ich einfach nichts.

Juhu!

Im Grunde genommen sind WhatsApp-Gruppen heute das, was Facebook früher mal war, oder sein wollte—eine Plattform, um Dinge mit Freunden zu teilen. Seit Facebook groß wurde, hat sich in meinem Freundeskreis fast schon sowas wie eine Posting-Scheu entwickelt. Bevor man etwas teilt, das keinen oder wenig Anklang findet und sich damit blamiert, schreibt man lieber gar nichts. Ich habe selbst Updates teilweise schon wieder gelöscht, weil sie nach einer halben Stunde mit 3 Mitleids-Likes—einer davon von meinem Papa—dastanden. Manchmal wünsche ich mir diese Wurschtigkeit von 2009 zurück, als es mich nicht weniger interessieren hätte können, ob jemand meinen Scheiß liket oder nicht.

So bald will ich nicht mehr in meiner Facebook-Vergangenheit versumpfen. Ich kann es aber jedem, der mal so richtig Lust auf selbstbezogene Fremdscham hat, nur empfehlen.

Eines Tages wird sich Franz für seine Tweets schämen: @FranzLicht