Johnny Cash dröhnte aus den Lautsprechern. Mein Bruder Paul und ich fanden es unglaublich witzig, “Ring of Fire” laufen zu lassen, während die Leute aus der Kirche kamen. Leider versauten wir das Timing und das Lied ertönte bereits, als wir alle dabei zusahen, wie der Sarg unseres Vaters in die Erde niedergelassen wurde.
“I fell into a burning ring of fire. I went down, down, down. And the flames went higher. And it burns, burns, burns. The ring of fire, the ring of fire.”
Videos by VICE
Schrecklich. Aber auch lustig. Meinem Bruder und mir kamen vor lauter Lachen sogar die Tränen. Damals war uns noch nicht klar, dass noch weitere Beerdigungen folgen sollten. Unser Vater war lediglich eine Art Vorbote.
Paul war (genau wie mein Vater) sehr sportlich und erreichte seine 40er (im Gegensatz zu meinem Vater) in ziemlich guter körperlicher Verfassung. Mit 42 bekam Paul dann die niederschmetternde Diagnose: Darmkrebs im Endstadium. Bei unserem Papa hatten die Ärzte Bauchspeicheldrüsenkrebs unbekannter Herkunft festgestellt, nicht mal sieben Tage später war er tot. Wir hofften, dass Paul mehr Zeit bleiben würde. Er war ja noch jung und relativ fit.
Nach der Diagnose entschied sich Paul, bei einer klinischen Studie für ein Krebsmedikament mitzumachen. Das Mittel war sehr teuer, aber die Teilnehmer bekamen immerhin einen großzügigen Rabatt. Es gab eine Geld-Zurück-Garantie für alle, die das erste Jahr der Behandlung überlebten. Schon verdammt makaber.
Paul bekam sein Geld nie zurück. Er starb, als ich gerade länger in Edinburgh war. Deswegen erlebte ich auch nicht, wie er immer mehr durchdrehte. Die heftigen toxischen Wirkungen des Medikaments machten ihn wütend und wirr. Pauls Freundin musste sich von ihm verabschieden, als er schon nicht mehr er selbst war. Bei meinem letzten Besuch schälte ich Pistazien für meinen Bruder, weil seine Fingerspitzen durch die Chemotherapie zu empfindlich geworden waren. Wir rauchten einen Joint und schauten die Fernsehserie Große Träume, große Häuser. Wenn Paul kiffte, ging es ihm besser. Dann hatte er Appetit und er war wieder mein Bruder. Auch meine streng katholische Mutter glaubte so fest an die heilende Wirkung des Marihuanas, dass sie die Droge für Paul sogar selbst angepflanzt hätte.
Ich bin mit 28 die Jüngste meiner Geschwister, 15 Jahre jünger als mein Bruder. Damit habe ich auch den größten Vorsprung in Bezug auf unsere beschissenen Gene. Genexperten und Ärzte weisen mich ständig an, tierische Eiweiße, verarbeitete Lebensmittel, Zigaretten, Stress und Alkohol zu meiden. Aber niemand weiß, ob das wirklich hilft. Meine Oma hatte ebenfalls Bauchspeicheldrüsenkrebs. In unserer Familie gibt es also ein eindeutiges Muster. Mein Vater und mein Bruder sind jedoch so schnell gestorben, dass keine ausführlichen Tests möglich waren. Die Folge: Wir können nicht viel machen, bis meine ältere Schwester oder ich bei den unangenehm häufigen Darmspiegelungen schlechte Nachrichten zu hören bekommen. Es bleibt uns also nur zu hoffen.
Meine Schwester ist 13 Jahre älter als ich. In ihrem Magen befinden sich bereits prekanzeröse Polypen, eine Vorstufe des Krebses. Ich bin demnach bisher das einzige Familienmitglied ohne Anzeichen einer Krebsentwicklung. Leider können die Ärzte nicht alle Polypen entfernen, ohne meiner Schwester die gesamte Magenschleimhaut rauszureißen. Sie müssen einfach regelmäßig nachschauen und dann die einzelnen Polypen rausholen, die gefährlich werden.
Jede Entscheidung, die ich in Bezug auf meinen Körper treffe, ist von der Vorgeschichte meiner Familie beeinflusst. Ein Arzt hat mir mal gesagt, dass ich mit einer Wahrscheinlichkeit von 97 Prozent entweder an Darm-, Magen-, Bauchspeicheldrüsen- oder Eierstockkrebs erkranken werde. Auf meine Frage, was ich machen könne, antwortete er: “einfach rechtzeitig bemerken.”
Den Krebs rechtzeitig bemerken und bekämpfen. Und das immer wieder. Super!
Ebenfalls bei VICE: Diese Faultiere können vielleicht dabei helfen, Krebs zu heilen
Ich habe eine positive Lebenseinstellung. Ich halte viel aus und sehe immer das Beste in allem. Weil sich der Gedanke an den Krebs wie ein Schatten an mich heftet, störe ich mich nicht an Kleinigkeiten. Dafür muss ich der Krankheit eigentlich danken. Ich habe aber auch Angst davor, jung zu sterben.
Kurz vor dem Tod meines Vaters erlitt ich bei einem Brand Verbrennungen dritten Grades und musste danach wieder laufen lernen – was übrigens ziemlich schnell ging, wir wollen hier mal nicht zu dramatisch sein. Schon komisch, dass der Körper so etwas vergisst. Aber nachdem ich einen ganzen Monat auf Morphium im Bett gelegen hatte, wollte er einfach nicht. In diesem Augenblick fühlte ich mich zum ersten Mal hilflos.
Ich will einfach nur Antworten. Ich will wissen, was ich mit meinem Körper und meiner Zeit am besten anstellen soll. Bald habe ich einen Termin im Krebszentrum am Royal Melbourne Hospital. Dort soll ich dank modernster Technologie mein Risiko besser verstehen können. Sie wollen ein Stück DNA meines Bruders ausfindig machen und jedes einzelne Gen testen.
Ich sollte keinen Alkohol trinken, mache es aber trotzdem. Ich weiß eben nicht, was am besten für mich ist: meine (quasi garantierte) kurze Lebenszeit voll auskosten oder gesund leben und hoffen, dass es sich auszahlt? Zwischen diesen beiden Optionen schwanke ich immer wieder hin und her. Ich esse Bio-Lebensmittel und trinke irgendwelchen Kurkuma-Quatsch, spüle dann aber alles mit Whisky runter. Ich habe immer eine Scheißangst. Jeder Knoten, jede Periode und jede Magenschmerzen sind die Hölle. Dabei soll ich Stress doch meiden. Ich kann aber an nichts anderes denken, bis ich beim Arzt war. Den Krebs rechtzeitig bemerken und bekämpfen. Mir wird immer gesagt, ich solle meinen Vorsprung nutzen und meinen Körper schonen. Also gehe ich zum Yoga. Aber mir wird auch gesagt, dass ich wahrscheinlich jung sterben werde. Also gehe ich feiern und scheiße auf Schlaf.
Vielleicht sollte jeder so leben wie ich: morgens Yoga, abends Whisky. Jeden Sonnenuntergang mitnehmen – es könnte ja der letzte sein. Das Schäferstündchen mit dem C-Promi, der dir schon eine Weile nachsteigt, voll auskosten. Mache das Beste draus. Oder auch nicht. Deine Entscheidung.
Ich habe als Comedian angefangen, weil das die Sache war, die mir am meisten Angst gemacht hat. Jetzt ist das mein Vollzeitjob. Dinge zu tun, die mir Angst machen, halte ich für wichtig. Falls ich dann eines Tages wirklich mit der Krebsdiagnose konfrontiert werde, bin ich auf den Kampf bestens vorbereitet. Also reise ich viel und gebe mein ganzes Geld für Kurkuma-Latte-Macchiatos, Whisky und anderen Bullshit aus. Ich gehe auf die Bühne, mache Musik, erzähle Geschichten wie diese hier und lache anschließend darüber. Das Lachen ist essenziell. Wegen seiner empfindlichen Finger konnte mein Bruder seinen Hosenstall nach der Chemotherapie nicht mehr richtig zumachen. Also hat in der Öffentlichkeit manchmal sein Penis rausgeblitzt. Sehr frustrierend, aber gleichzeitig total witzig. Und das muss es auch sein.
Das Leben ist zu kurz, um es ständig ernst zu nehmen. Aber auch zu kurz, um es zu verschwenden. Ich bin freundlich, mutig, verängstigt, unkompliziert und unerträglich lebensbejahend. Es kommt eben, wie es kommt.
Auf ein langes Leben. Oder zumindest auf eine solide “bemerken-und-bekämpfen”-Schlacht, bevor alles zu Ende ist.